Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.Zweite Abtheilung. 3. Doktor. Der jüngste hier, erlaube man mir nun Nach den verehrten Herren auch zu sprechen Es scheint wohl, daß der Majestät des Herrn Die Meinung unsrer Freunde nicht behagt, Mit Unrecht nicht, denn sicher ist der Schaden, Die Hülfe ungewiß. Ich muß nur bitten, Nil admirari, ruhig zuzuhören. Denn alles, was jetzt alt, war auch einst neu. Die Fürstinn hat zwei große, starke Hörner, Das ist der Fall: wo, frag' ich, ist das Unglück? König. Wo, Bester? Auf dem Kopf, Ihr saht' es ja. 3. Doktor. Nicht so ist es gemeint. Wo ist das Unglück? So frag' ich wieder. Ward nicht alles Wesen Aus Schleim zuerst und Wurm? Polypen, Schlangen Entstanden dann und Fische, aufwärts stieg es Zum Thier und Vogel, endlich sprang der Affe Fast schon vollendet hin, und, siehe da, Die neue Mißgeburt, der Mensch, erhub sich. So schuf auf ihrem Gange die Natur. Doch soll es dabei bleiben? Lang auf Lauer Lag ich, wohin der Strom der Zeiten gehe, Ob wir zum Fliegen uns erhöben, Schnabel Und Klaue sich wo zeigten, erst natürlich Als Monstrum, dann zu wahrer Art gereift. Jetzt seh' ich aber, daß die Menschheit mehr Sich mit dem Thier verbinden, stärken will, Und grüße froh die neue Morgenröthe. Ein alter Weiser sang: es gab Natur Dem Manne Waffen und dem Vogel Schwingen, Dem Pferde Hufen und dem Stier die Hörner; Zweite Abtheilung. 3. Doktor. Der juͤngſte hier, erlaube man mir nun Nach den verehrten Herren auch zu ſprechen Es ſcheint wohl, daß der Majeſtaͤt des Herrn Die Meinung unſrer Freunde nicht behagt, Mit Unrecht nicht, denn ſicher iſt der Schaden, Die Huͤlfe ungewiß. Ich muß nur bitten, Nil admirari, ruhig zuzuhoͤren. Denn alles, was jetzt alt, war auch einſt neu. Die Fuͤrſtinn hat zwei große, ſtarke Hoͤrner, Das iſt der Fall: wo, frag' ich, iſt das Ungluͤck? Koͤnig. Wo, Beſter? Auf dem Kopf, Ihr ſaht' es ja. 3. Doktor. Nicht ſo iſt es gemeint. Wo iſt das Ungluͤck? So frag' ich wieder. Ward nicht alles Weſen Aus Schleim zuerſt und Wurm? Polypen, Schlangen Entſtanden dann und Fiſche, aufwaͤrts ſtieg es Zum Thier und Vogel, endlich ſprang der Affe Faſt ſchon vollendet hin, und, ſiehe da, Die neue Mißgeburt, der Menſch, erhub ſich. So ſchuf auf ihrem Gange die Natur. Doch ſoll es dabei bleiben? Lang auf Lauer Lag ich, wohin der Strom der Zeiten gehe, Ob wir zum Fliegen uns erhoͤben, Schnabel Und Klaue ſich wo zeigten, erſt natuͤrlich Als Monſtrum, dann zu wahrer Art gereift. Jetzt ſeh' ich aber, daß die Menſchheit mehr Sich mit dem Thier verbinden, ſtaͤrken will, Und gruͤße froh die neue Morgenroͤthe. Ein alter Weiſer ſang: es gab Natur Dem Manne Waffen und dem Vogel Schwingen, Dem Pferde Hufen und dem Stier die Hoͤrner; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0402" n="392"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> <sp who="#3Doktor"> <speaker>3. <hi rendition="#g">Doktor</hi>.</speaker><lb/> <p>Der juͤngſte hier, erlaube man mir nun<lb/> Nach den verehrten Herren auch zu ſprechen<lb/> Es ſcheint wohl, daß der Majeſtaͤt des Herrn<lb/> Die Meinung unſrer Freunde nicht behagt,<lb/> Mit Unrecht nicht, denn ſicher iſt der Schaden,<lb/> Die Huͤlfe ungewiß. Ich muß nur bitten,<lb/><hi rendition="#aq">Nil admirari,</hi> ruhig zuzuhoͤren.<lb/> Denn alles, was jetzt alt, war auch einſt neu.<lb/> Die Fuͤrſtinn hat zwei große, ſtarke Hoͤrner,<lb/> Das iſt der Fall: wo, frag' ich, iſt das Ungluͤck?</p> </sp><lb/> <sp who="#Koͤnig"> <speaker><hi rendition="#g">Koͤnig</hi>.</speaker><lb/> <p>Wo, Beſter? Auf dem Kopf, Ihr ſaht' es ja.</p> </sp><lb/> <sp who="#3Doktor"> <speaker>3. <hi rendition="#g">Doktor</hi>.</speaker><lb/> <p>Nicht ſo iſt es gemeint. Wo iſt das Ungluͤck?<lb/> So frag' ich wieder. Ward nicht alles Weſen<lb/> Aus Schleim zuerſt und Wurm? Polypen, Schlangen<lb/> Entſtanden dann und Fiſche, aufwaͤrts ſtieg es<lb/> Zum Thier und Vogel, endlich ſprang der Affe<lb/> Faſt ſchon vollendet hin, und, ſiehe da,<lb/> Die neue Mißgeburt, der Menſch, erhub ſich.<lb/> So ſchuf auf ihrem Gange die Natur.<lb/> Doch ſoll es dabei bleiben? Lang auf Lauer<lb/> Lag ich, wohin der Strom der Zeiten gehe,<lb/> Ob wir zum Fliegen uns erhoͤben, Schnabel<lb/> Und Klaue ſich wo zeigten, erſt natuͤrlich<lb/> Als Monſtrum, dann zu wahrer Art gereift.<lb/> Jetzt ſeh' ich aber, daß die Menſchheit mehr<lb/> Sich mit dem Thier verbinden, ſtaͤrken will,<lb/> Und gruͤße froh die neue Morgenroͤthe.<lb/> Ein alter Weiſer ſang: es gab Natur<lb/> Dem Manne Waffen und dem Vogel Schwingen,<lb/> Dem Pferde Hufen und dem Stier die Hoͤrner;<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [392/0402]
Zweite Abtheilung.
3. Doktor.
Der juͤngſte hier, erlaube man mir nun
Nach den verehrten Herren auch zu ſprechen
Es ſcheint wohl, daß der Majeſtaͤt des Herrn
Die Meinung unſrer Freunde nicht behagt,
Mit Unrecht nicht, denn ſicher iſt der Schaden,
Die Huͤlfe ungewiß. Ich muß nur bitten,
Nil admirari, ruhig zuzuhoͤren.
Denn alles, was jetzt alt, war auch einſt neu.
Die Fuͤrſtinn hat zwei große, ſtarke Hoͤrner,
Das iſt der Fall: wo, frag' ich, iſt das Ungluͤck?
Koͤnig.
Wo, Beſter? Auf dem Kopf, Ihr ſaht' es ja.
3. Doktor.
Nicht ſo iſt es gemeint. Wo iſt das Ungluͤck?
So frag' ich wieder. Ward nicht alles Weſen
Aus Schleim zuerſt und Wurm? Polypen, Schlangen
Entſtanden dann und Fiſche, aufwaͤrts ſtieg es
Zum Thier und Vogel, endlich ſprang der Affe
Faſt ſchon vollendet hin, und, ſiehe da,
Die neue Mißgeburt, der Menſch, erhub ſich.
So ſchuf auf ihrem Gange die Natur.
Doch ſoll es dabei bleiben? Lang auf Lauer
Lag ich, wohin der Strom der Zeiten gehe,
Ob wir zum Fliegen uns erhoͤben, Schnabel
Und Klaue ſich wo zeigten, erſt natuͤrlich
Als Monſtrum, dann zu wahrer Art gereift.
Jetzt ſeh' ich aber, daß die Menſchheit mehr
Sich mit dem Thier verbinden, ſtaͤrken will,
Und gruͤße froh die neue Morgenroͤthe.
Ein alter Weiſer ſang: es gab Natur
Dem Manne Waffen und dem Vogel Schwingen,
Dem Pferde Hufen und dem Stier die Hoͤrner;
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