Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.werden, daß sie uns die Stube verengten, und so wüchse uns um die Haut her jener berühmte Eispalast in Petersburg. Wir wollen aber lieber bürgerlich und nicht wie die Fürsten leben. Wie wunderbar, rief Clara, sind doch diese Blumen gezeichnet, wie mannigfaltig! Man glaubt sie alle schon in der Wirklichkeit gesehen zu haben, so wenig man sie auch namhaft zu machen weiß. Und sieh nur, die eine verdeckt oft die andre, und die großartigen Blätter scheinen noch nachzuwachsen, indem wir darüber sprechen. Ob wohl, fragte Heinrich, die Botaniker schon diese Flora beobachtet, abgezeichnet und in ihre gelehrten Bücher übertragen haben? Ob diese Blumen und Blätter nach gewissen Regeln wiederkehren oder sich phantastisch immer neu verwandeln? Dein Hauch, dein süßer Athem hat diese Blumengeister oder Revenants einer erloschenen Vorzeit hervorgerufen, und so wie du süß und lieblich denkst und phantasirst, so zeichnet ein humoristischer Genius deine Einfälle und Fühlungen hier in Blumenphantomen und Gespenstern wie mit Leichenschrift in einem vergänglichen Stammbuche auf, und ich lese hier, wie du mir treu und ergeben bist, wie du an mich denkst, obgleich ich neben dir sitze. Sehr galant, mein verehrter Herr, versetzte sie sehr freundlich; Sie könnten in der Weise diese Eisblumen lehr- und sinnreich erklären, wie wir zu Umrissen der werden, daß sie uns die Stube verengten, und so wüchse uns um die Haut her jener berühmte Eispalast in Petersburg. Wir wollen aber lieber bürgerlich und nicht wie die Fürsten leben. Wie wunderbar, rief Clara, sind doch diese Blumen gezeichnet, wie mannigfaltig! Man glaubt sie alle schon in der Wirklichkeit gesehen zu haben, so wenig man sie auch namhaft zu machen weiß. Und sieh nur, die eine verdeckt oft die andre, und die großartigen Blätter scheinen noch nachzuwachsen, indem wir darüber sprechen. Ob wohl, fragte Heinrich, die Botaniker schon diese Flora beobachtet, abgezeichnet und in ihre gelehrten Bücher übertragen haben? Ob diese Blumen und Blätter nach gewissen Regeln wiederkehren oder sich phantastisch immer neu verwandeln? Dein Hauch, dein süßer Athem hat diese Blumengeister oder Revenants einer erloschenen Vorzeit hervorgerufen, und so wie du süß und lieblich denkst und phantasirst, so zeichnet ein humoristischer Genius deine Einfälle und Fühlungen hier in Blumenphantomen und Gespenstern wie mit Leichenschrift in einem vergänglichen Stammbuche auf, und ich lese hier, wie du mir treu und ergeben bist, wie du an mich denkst, obgleich ich neben dir sitze. Sehr galant, mein verehrter Herr, versetzte sie sehr freundlich; Sie könnten in der Weise diese Eisblumen lehr- und sinnreich erklären, wie wir zu Umrissen der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0014"/> werden, daß sie uns die Stube verengten, und so wüchse uns um die Haut her jener berühmte Eispalast in Petersburg. Wir wollen aber lieber bürgerlich und nicht wie die Fürsten leben.</p><lb/> <p>Wie wunderbar, rief Clara, sind doch diese Blumen gezeichnet, wie mannigfaltig! Man glaubt sie alle schon in der Wirklichkeit gesehen zu haben, so wenig man sie auch namhaft zu machen weiß. Und sieh nur, die eine verdeckt oft die andre, und die großartigen Blätter scheinen noch nachzuwachsen, indem wir darüber sprechen.</p><lb/> <p>Ob wohl, fragte Heinrich, die Botaniker schon diese Flora beobachtet, abgezeichnet und in ihre gelehrten Bücher übertragen haben? Ob diese Blumen und Blätter nach gewissen Regeln wiederkehren oder sich phantastisch immer neu verwandeln? Dein Hauch, dein süßer Athem hat diese Blumengeister oder Revenants einer erloschenen Vorzeit hervorgerufen, und so wie du süß und lieblich denkst und phantasirst, so zeichnet ein humoristischer Genius deine Einfälle und Fühlungen hier in Blumenphantomen und Gespenstern wie mit Leichenschrift in einem vergänglichen Stammbuche auf, und ich lese hier, wie du mir treu und ergeben bist, wie du an mich denkst, obgleich ich neben dir sitze.</p><lb/> <p>Sehr galant, mein verehrter Herr, versetzte sie sehr freundlich; Sie könnten in der Weise diese Eisblumen lehr- und sinnreich erklären, wie wir zu Umrissen der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
werden, daß sie uns die Stube verengten, und so wüchse uns um die Haut her jener berühmte Eispalast in Petersburg. Wir wollen aber lieber bürgerlich und nicht wie die Fürsten leben.
Wie wunderbar, rief Clara, sind doch diese Blumen gezeichnet, wie mannigfaltig! Man glaubt sie alle schon in der Wirklichkeit gesehen zu haben, so wenig man sie auch namhaft zu machen weiß. Und sieh nur, die eine verdeckt oft die andre, und die großartigen Blätter scheinen noch nachzuwachsen, indem wir darüber sprechen.
Ob wohl, fragte Heinrich, die Botaniker schon diese Flora beobachtet, abgezeichnet und in ihre gelehrten Bücher übertragen haben? Ob diese Blumen und Blätter nach gewissen Regeln wiederkehren oder sich phantastisch immer neu verwandeln? Dein Hauch, dein süßer Athem hat diese Blumengeister oder Revenants einer erloschenen Vorzeit hervorgerufen, und so wie du süß und lieblich denkst und phantasirst, so zeichnet ein humoristischer Genius deine Einfälle und Fühlungen hier in Blumenphantomen und Gespenstern wie mit Leichenschrift in einem vergänglichen Stammbuche auf, und ich lese hier, wie du mir treu und ergeben bist, wie du an mich denkst, obgleich ich neben dir sitze.
Sehr galant, mein verehrter Herr, versetzte sie sehr freundlich; Sie könnten in der Weise diese Eisblumen lehr- und sinnreich erklären, wie wir zu Umrissen der
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