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Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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gerettet worden! Er nahm das Tagebuch und las, indem er nach rückwärts das Blatt umschlug:

Treue! -- Diese wundersame Erscheinung, die der Mensch so oft am Hunde bewundern will, wird in der Regel am eignen Menschengeschlecht viel zu wenig beachtet. Es ist unglaublich und kommt doch täglich vor, welchen sonderbaren, oft ganz verwirrten Begriff sich so Viele von den sogenannten Pflichten machen. Wenn ein Dienstbote das Unmögliche thut, so hat er nur seine Pflicht gethan, und an dieser Pflicht künsteln die höhern Stände so herum und herab, daß sie diese Pflichten, so viel sie nur können, nach ihrer Bequemlichkeit beugen oder zu ihrem Egoismus erziehen. Wäre die unerbittliche Galeerenarbeit, der eiserne Zwang der Papier- und Actenverhältnisse nicht, so würden wir vermuthlich die seltsamsten Erscheinungen beobachten können. Es ist unleugbar, daß diese Sclavenarbeit der endlosen Schreiberei in unserm Jahrhundert größtentheils unnütz, nicht selten sogar schädlich ist. -- Aber man denke nur einmal dieses große Rad der Hemmung in dieser egoistischen Zeit, bei dieser sinnlichen Generation plötzlich ausgehoben, -- was könnte da entstehen, was sich Alles zerstörend verwirren?

Pflichtlos sein ist der eigentliche Zustand, zu welchem die sogenannten Gebildeten in allen Richtungen stürzen wollen; sie nennen es Unabhängigkeit, Selbständigkeit, Freiheit. Sie bedenken nicht, daß, sowie sie sich diesem Ziele nähern wollen, die Pflichten wachsen,

gerettet worden! Er nahm das Tagebuch und las, indem er nach rückwärts das Blatt umschlug:

Treue! — Diese wundersame Erscheinung, die der Mensch so oft am Hunde bewundern will, wird in der Regel am eignen Menschengeschlecht viel zu wenig beachtet. Es ist unglaublich und kommt doch täglich vor, welchen sonderbaren, oft ganz verwirrten Begriff sich so Viele von den sogenannten Pflichten machen. Wenn ein Dienstbote das Unmögliche thut, so hat er nur seine Pflicht gethan, und an dieser Pflicht künsteln die höhern Stände so herum und herab, daß sie diese Pflichten, so viel sie nur können, nach ihrer Bequemlichkeit beugen oder zu ihrem Egoismus erziehen. Wäre die unerbittliche Galeerenarbeit, der eiserne Zwang der Papier- und Actenverhältnisse nicht, so würden wir vermuthlich die seltsamsten Erscheinungen beobachten können. Es ist unleugbar, daß diese Sclavenarbeit der endlosen Schreiberei in unserm Jahrhundert größtentheils unnütz, nicht selten sogar schädlich ist. — Aber man denke nur einmal dieses große Rad der Hemmung in dieser egoistischen Zeit, bei dieser sinnlichen Generation plötzlich ausgehoben, — was könnte da entstehen, was sich Alles zerstörend verwirren?

Pflichtlos sein ist der eigentliche Zustand, zu welchem die sogenannten Gebildeten in allen Richtungen stürzen wollen; sie nennen es Unabhängigkeit, Selbständigkeit, Freiheit. Sie bedenken nicht, daß, sowie sie sich diesem Ziele nähern wollen, die Pflichten wachsen,

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[0028] gerettet worden! Er nahm das Tagebuch und las, indem er nach rückwärts das Blatt umschlug: Treue! — Diese wundersame Erscheinung, die der Mensch so oft am Hunde bewundern will, wird in der Regel am eignen Menschengeschlecht viel zu wenig beachtet. Es ist unglaublich und kommt doch täglich vor, welchen sonderbaren, oft ganz verwirrten Begriff sich so Viele von den sogenannten Pflichten machen. Wenn ein Dienstbote das Unmögliche thut, so hat er nur seine Pflicht gethan, und an dieser Pflicht künsteln die höhern Stände so herum und herab, daß sie diese Pflichten, so viel sie nur können, nach ihrer Bequemlichkeit beugen oder zu ihrem Egoismus erziehen. Wäre die unerbittliche Galeerenarbeit, der eiserne Zwang der Papier- und Actenverhältnisse nicht, so würden wir vermuthlich die seltsamsten Erscheinungen beobachten können. Es ist unleugbar, daß diese Sclavenarbeit der endlosen Schreiberei in unserm Jahrhundert größtentheils unnütz, nicht selten sogar schädlich ist. — Aber man denke nur einmal dieses große Rad der Hemmung in dieser egoistischen Zeit, bei dieser sinnlichen Generation plötzlich ausgehoben, — was könnte da entstehen, was sich Alles zerstörend verwirren? Pflichtlos sein ist der eigentliche Zustand, zu welchem die sogenannten Gebildeten in allen Richtungen stürzen wollen; sie nennen es Unabhängigkeit, Selbständigkeit, Freiheit. Sie bedenken nicht, daß, sowie sie sich diesem Ziele nähern wollen, die Pflichten wachsen,

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:30:27Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:30:27Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/28>, abgerufen am 21.11.2024.