Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

turwalten ist sein Verhältniß; in der Liebe zum Herrn liegt ihm jedes Verständniß.

Und gegen solche Diener hätte die Herrschaft keine Pflichten? Sie hat sie gegen alle ihre Diener, über den bedingten Lohn hinaus, aber gegen solche schuldet sie weit mehr und ganz etwas Anderes und Höheres, nämlich eine wahre Liebe, eine echte, die dieser unbedingten Hingebung entgegenkommt.

Und womit sollen wir das je gut machen, erwidern (denn vom Vergelten ist die Rede gar nicht), was unsre alte Christine an uns thut? Sie ist die Amme meiner Frau; wir trafen sie auf der ersten Station, und sie zwang uns beinah mit Gewalt, sie auf unsrer Reise mitzunehmen. Ihr durften wir Alles sagen; denn sie ist die Verschwiegenheit selbst; sie fand sich auch gleich in die Rolle, die sie unterwegs und hier zu spielen hatte. Und wie ist sie uns, vorzüglich meiner Clara, ergeben! -- Sie bewohnt unten ein ganz kleines, finsteres Kämmerchen und nährt sich eigentlich davon, daß sie in etlichen Nachbarhäusern noch gelegentliche Dienste thut. Wir begriffen es nicht, wie sie uns für so Weniges unsere Wäsche unterhielt, immer wohlfeil einkaufte, bis wir endlich dahinter kamen, daß sie alles nur irgend Entbehrliche uns aufgeopfert hat. Jetzt arbeitet sie viel auswärts, um uns bedienen, um nur bei uns bleiben zu können.

So werde ich also nun doch meinen Chaucer, von Caxton gedruckt, verstoßen und das schimpfliche Gebot

turwalten ist sein Verhältniß; in der Liebe zum Herrn liegt ihm jedes Verständniß.

Und gegen solche Diener hätte die Herrschaft keine Pflichten? Sie hat sie gegen alle ihre Diener, über den bedingten Lohn hinaus, aber gegen solche schuldet sie weit mehr und ganz etwas Anderes und Höheres, nämlich eine wahre Liebe, eine echte, die dieser unbedingten Hingebung entgegenkommt.

Und womit sollen wir das je gut machen, erwidern (denn vom Vergelten ist die Rede gar nicht), was unsre alte Christine an uns thut? Sie ist die Amme meiner Frau; wir trafen sie auf der ersten Station, und sie zwang uns beinah mit Gewalt, sie auf unsrer Reise mitzunehmen. Ihr durften wir Alles sagen; denn sie ist die Verschwiegenheit selbst; sie fand sich auch gleich in die Rolle, die sie unterwegs und hier zu spielen hatte. Und wie ist sie uns, vorzüglich meiner Clara, ergeben! — Sie bewohnt unten ein ganz kleines, finsteres Kämmerchen und nährt sich eigentlich davon, daß sie in etlichen Nachbarhäusern noch gelegentliche Dienste thut. Wir begriffen es nicht, wie sie uns für so Weniges unsere Wäsche unterhielt, immer wohlfeil einkaufte, bis wir endlich dahinter kamen, daß sie alles nur irgend Entbehrliche uns aufgeopfert hat. Jetzt arbeitet sie viel auswärts, um uns bedienen, um nur bei uns bleiben zu können.

So werde ich also nun doch meinen Chaucer, von Caxton gedruckt, verstoßen und das schimpfliche Gebot

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0030"/>
turwalten ist sein Verhältniß; in der             Liebe zum Herrn liegt ihm jedes Verständniß.</p><lb/>
        <p>Und gegen solche Diener hätte die Herrschaft keine Pflichten? Sie hat sie gegen alle             ihre Diener, über den bedingten Lohn hinaus, aber gegen solche schuldet sie weit mehr             und ganz etwas Anderes und Höheres, nämlich eine wahre Liebe, eine echte, die dieser             unbedingten Hingebung entgegenkommt.</p><lb/>
        <p>Und womit sollen wir das je gut machen, erwidern (denn vom Vergelten ist die Rede gar             nicht), was unsre alte Christine an uns thut? Sie ist die Amme meiner Frau; wir trafen             sie auf der ersten Station, und sie zwang uns beinah mit Gewalt, sie auf unsrer Reise             mitzunehmen. Ihr durften wir Alles sagen; denn sie ist die Verschwiegenheit selbst; sie             fand sich auch gleich in die Rolle, die sie unterwegs und hier zu spielen hatte. Und wie             ist sie uns, vorzüglich meiner Clara, ergeben! &#x2014; Sie bewohnt unten ein ganz kleines,             finsteres Kämmerchen und nährt sich eigentlich davon, daß sie in etlichen Nachbarhäusern             noch gelegentliche Dienste thut. Wir begriffen es nicht, wie sie uns für so Weniges             unsere Wäsche unterhielt, immer wohlfeil einkaufte, bis wir endlich dahinter kamen, daß             sie alles nur irgend Entbehrliche uns aufgeopfert hat. Jetzt arbeitet sie viel auswärts,             um uns bedienen, um nur bei uns bleiben zu können.</p><lb/>
        <p>So werde ich also nun doch meinen Chaucer, von Caxton gedruckt, verstoßen und das             schimpfliche Gebot<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0030] turwalten ist sein Verhältniß; in der Liebe zum Herrn liegt ihm jedes Verständniß. Und gegen solche Diener hätte die Herrschaft keine Pflichten? Sie hat sie gegen alle ihre Diener, über den bedingten Lohn hinaus, aber gegen solche schuldet sie weit mehr und ganz etwas Anderes und Höheres, nämlich eine wahre Liebe, eine echte, die dieser unbedingten Hingebung entgegenkommt. Und womit sollen wir das je gut machen, erwidern (denn vom Vergelten ist die Rede gar nicht), was unsre alte Christine an uns thut? Sie ist die Amme meiner Frau; wir trafen sie auf der ersten Station, und sie zwang uns beinah mit Gewalt, sie auf unsrer Reise mitzunehmen. Ihr durften wir Alles sagen; denn sie ist die Verschwiegenheit selbst; sie fand sich auch gleich in die Rolle, die sie unterwegs und hier zu spielen hatte. Und wie ist sie uns, vorzüglich meiner Clara, ergeben! — Sie bewohnt unten ein ganz kleines, finsteres Kämmerchen und nährt sich eigentlich davon, daß sie in etlichen Nachbarhäusern noch gelegentliche Dienste thut. Wir begriffen es nicht, wie sie uns für so Weniges unsere Wäsche unterhielt, immer wohlfeil einkaufte, bis wir endlich dahinter kamen, daß sie alles nur irgend Entbehrliche uns aufgeopfert hat. Jetzt arbeitet sie viel auswärts, um uns bedienen, um nur bei uns bleiben zu können. So werde ich also nun doch meinen Chaucer, von Caxton gedruckt, verstoßen und das schimpfliche Gebot

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:30:27Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:30:27Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/30
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/30>, abgerufen am 23.11.2024.