Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.brennendes Licht zu holen. Dieses hielt er jetzt mit starker Faust empor und leuchtete in den leeren Raum hinein. Emmerich blickte verwundernd hinauf, stand eine Weile mit aufgesperrtem Munde, starr vor Schrecken und Erstaunen, und schrie dann mit den lautesten Tönen, deren seine Lunge fähig war: Donnerwetter noch einmal! Das ist mir ja eine verfluchte Bescherung! Herr Brand! Herr Brand da oben! Jetzt half kein Verleugnen mehr, Heinrich ging hinaus, beugte sich über den Abgrund und sah beim ungewissen Schein des flackernden Lichts die beiden dämonischen Gestalten in der Dämmerung des Hausflurs. Ach! werthgeschätzter Herr Emmerich, rief er freundlich hinab, seien Sie uns willkommen; es ist ein schönes Zeichen Ihres Wohlseins, daß Sie früher ankommen, als Sie es sich vorgesetzt hatten. Es freut mich, Sie so gesund zu sehen. Gehorsamer Diener! antwortete Jener, -- aber davon ist hier die Rede nicht. Herr! wo ist meine Treppe geblieben? Ihre Treppe, verehrter Herr? erwiderte Heinrich; was gehn mich denn Ihre Sachen an? Haben Sie sie mir bei Ihrer Abreise aufzuheben gegeben? Stellen Sie sich nicht so dumm, schrie Jener, -- wo ist die Treppe hier geblieben? Meine große, schöne, solide Treppe? War hier eine Treppe? fragte Heinrich; ja, mein Freund, ich komme so wenig oder vielmehr gar nicht brennendes Licht zu holen. Dieses hielt er jetzt mit starker Faust empor und leuchtete in den leeren Raum hinein. Emmerich blickte verwundernd hinauf, stand eine Weile mit aufgesperrtem Munde, starr vor Schrecken und Erstaunen, und schrie dann mit den lautesten Tönen, deren seine Lunge fähig war: Donnerwetter noch einmal! Das ist mir ja eine verfluchte Bescherung! Herr Brand! Herr Brand da oben! Jetzt half kein Verleugnen mehr, Heinrich ging hinaus, beugte sich über den Abgrund und sah beim ungewissen Schein des flackernden Lichts die beiden dämonischen Gestalten in der Dämmerung des Hausflurs. Ach! werthgeschätzter Herr Emmerich, rief er freundlich hinab, seien Sie uns willkommen; es ist ein schönes Zeichen Ihres Wohlseins, daß Sie früher ankommen, als Sie es sich vorgesetzt hatten. Es freut mich, Sie so gesund zu sehen. Gehorsamer Diener! antwortete Jener, — aber davon ist hier die Rede nicht. Herr! wo ist meine Treppe geblieben? Ihre Treppe, verehrter Herr? erwiderte Heinrich; was gehn mich denn Ihre Sachen an? Haben Sie sie mir bei Ihrer Abreise aufzuheben gegeben? Stellen Sie sich nicht so dumm, schrie Jener, — wo ist die Treppe hier geblieben? Meine große, schöne, solide Treppe? War hier eine Treppe? fragte Heinrich; ja, mein Freund, ich komme so wenig oder vielmehr gar nicht <TEI> <text> <body> <div n="4"> <p><pb facs="#f0072"/> brennendes Licht zu holen. Dieses hielt er jetzt mit starker Faust empor und leuchtete in den leeren Raum hinein. Emmerich blickte verwundernd hinauf, stand eine Weile mit aufgesperrtem Munde, starr vor Schrecken und Erstaunen, und schrie dann mit den lautesten Tönen, deren seine Lunge fähig war: Donnerwetter noch einmal! Das ist mir ja eine verfluchte Bescherung! Herr Brand! Herr Brand da oben!</p><lb/> <p>Jetzt half kein Verleugnen mehr, Heinrich ging hinaus, beugte sich über den Abgrund und sah beim ungewissen Schein des flackernden Lichts die beiden dämonischen Gestalten in der Dämmerung des Hausflurs. Ach! werthgeschätzter Herr Emmerich, rief er freundlich hinab, seien Sie uns willkommen; es ist ein schönes Zeichen Ihres Wohlseins, daß Sie früher ankommen, als Sie es sich vorgesetzt hatten. Es freut mich, Sie so gesund zu sehen.</p><lb/> <p>Gehorsamer Diener! antwortete Jener, — aber davon ist hier die Rede nicht. Herr! wo ist meine Treppe geblieben?</p><lb/> <p>Ihre Treppe, verehrter Herr? erwiderte Heinrich; was gehn mich denn Ihre Sachen an? Haben Sie sie mir bei Ihrer Abreise aufzuheben gegeben?</p><lb/> <p>Stellen Sie sich nicht so dumm, schrie Jener, — wo ist die Treppe hier geblieben? Meine große, schöne, solide Treppe?</p><lb/> <p>War hier eine Treppe? fragte Heinrich; ja, mein Freund, ich komme so wenig oder vielmehr gar nicht<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0072]
brennendes Licht zu holen. Dieses hielt er jetzt mit starker Faust empor und leuchtete in den leeren Raum hinein. Emmerich blickte verwundernd hinauf, stand eine Weile mit aufgesperrtem Munde, starr vor Schrecken und Erstaunen, und schrie dann mit den lautesten Tönen, deren seine Lunge fähig war: Donnerwetter noch einmal! Das ist mir ja eine verfluchte Bescherung! Herr Brand! Herr Brand da oben!
Jetzt half kein Verleugnen mehr, Heinrich ging hinaus, beugte sich über den Abgrund und sah beim ungewissen Schein des flackernden Lichts die beiden dämonischen Gestalten in der Dämmerung des Hausflurs. Ach! werthgeschätzter Herr Emmerich, rief er freundlich hinab, seien Sie uns willkommen; es ist ein schönes Zeichen Ihres Wohlseins, daß Sie früher ankommen, als Sie es sich vorgesetzt hatten. Es freut mich, Sie so gesund zu sehen.
Gehorsamer Diener! antwortete Jener, — aber davon ist hier die Rede nicht. Herr! wo ist meine Treppe geblieben?
Ihre Treppe, verehrter Herr? erwiderte Heinrich; was gehn mich denn Ihre Sachen an? Haben Sie sie mir bei Ihrer Abreise aufzuheben gegeben?
Stellen Sie sich nicht so dumm, schrie Jener, — wo ist die Treppe hier geblieben? Meine große, schöne, solide Treppe?
War hier eine Treppe? fragte Heinrich; ja, mein Freund, ich komme so wenig oder vielmehr gar nicht
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