Die Unterscheidungsstücke eines jeden Tages, sind eine nütz- liche Untersuchung für den Verehrer Gottes; denn jeder Tag hat seine eigne Plage, aber auch seine eigne Gaben. Jeder hat einen besondern Antrag an uns zu thun, der zwar immer derselbe ist, nemlich: Thut Busse und gläubet an das Evangelium! Aber je- der dieser Boten verändert seine Bewegungsgründe, und spricht heiserer, oder lauter und freimüthiger; je nachdem ihm seine Vorgänger unsre Denkungsart geschildert, und ihm Lobsprüche, oder Anweisung auf uns als Schuldner hinterlassen haben. Und wenn ich noch tausend Jahre auf Erden lebte, so würde mir kein einziger Tag die Gelegenheit zum Guten wieder anbieten, die ich heute gehabt habe, und die ich (Gott erbarme dich meiner!) nun auf ewig verloren habe! Die Umstände, unser Zusammenhang mit der Welt, unsre Einsichten und Geschmack, alles das ist mit jedem Tage der Verändrung unterworfen. Jeder ist ein beson- ders verzierter Schauplatz. Jeder lobet uns entweder, oder kla- get uns an, wenn er für uns verloren war. Lieber ein König- reich als einen Tag verloren! Und wäre er gar der letzte unsers Lebens: dann lieber die ganze Welt verloren, als einen so unwie- derbringlichen Schaden an seiner Seele genommen! Nun oder niemals muß die Losung bei Ausübung aller Tugenden seyn.
Dreieiniger, ewiger Gott! Um einen starken Schritt bin ich dir heute näher gekommen, aber auch näher und ähnlicher an Ge- sinnung? Der morgende Tag liegt noch in deiner Hand, und ich muß an dem heutigen meine Rechnung mit dir schliessen. Aber was kan ich anders berechnen, als deine Wohlthaten, meine Sünden und nachläßige Tugenden! Nun so löse du mich denn aus, Herr Jesu! Jch habe durch dich etwas gültiges, nemlich Reue und Vorsatz mich zu bessern. Darum schenk mir Verge- bung meiner Sünden und Antheil an deinem Verdienst. Alsdann wird jeder künftige Tag von mir mit neuen Tugenden bezeichnet werden; mein ganzes Leben wird dir ähnlicher, und die Ewigkeit mein Ziel und Erbe seyn.
Der
Der 1te Februar.
Die Unterſcheidungsſtuͤcke eines jeden Tages, ſind eine nuͤtz- liche Unterſuchung fuͤr den Verehrer Gottes; denn jeder Tag hat ſeine eigne Plage, aber auch ſeine eigne Gaben. Jeder hat einen beſondern Antrag an uns zu thun, der zwar immer derſelbe iſt, nemlich: Thut Buſſe und glaͤubet an das Evangelium! Aber je- der dieſer Boten veraͤndert ſeine Bewegungsgruͤnde, und ſpricht heiſerer, oder lauter und freimuͤthiger; je nachdem ihm ſeine Vorgaͤnger unſre Denkungsart geſchildert, und ihm Lobſpruͤche, oder Anweiſung auf uns als Schuldner hinterlaſſen haben. Und wenn ich noch tauſend Jahre auf Erden lebte, ſo wuͤrde mir kein einziger Tag die Gelegenheit zum Guten wieder anbieten, die ich heute gehabt habe, und die ich (Gott erbarme dich meiner!) nun auf ewig verloren habe! Die Umſtaͤnde, unſer Zuſammenhang mit der Welt, unſre Einſichten und Geſchmack, alles das iſt mit jedem Tage der Veraͤndrung unterworfen. Jeder iſt ein beſon- ders verzierter Schauplatz. Jeder lobet uns entweder, oder kla- get uns an, wenn er fuͤr uns verloren war. Lieber ein Koͤnig- reich als einen Tag verloren! Und waͤre er gar der letzte unſers Lebens: dann lieber die ganze Welt verloren, als einen ſo unwie- derbringlichen Schaden an ſeiner Seele genommen! Nun oder niemals muß die Loſung bei Ausuͤbung aller Tugenden ſeyn.
Dreieiniger, ewiger Gott! Um einen ſtarken Schritt bin ich dir heute naͤher gekommen, aber auch naͤher und aͤhnlicher an Ge- ſinnung? Der morgende Tag liegt noch in deiner Hand, und ich muß an dem heutigen meine Rechnung mit dir ſchlieſſen. Aber was kan ich anders berechnen, als deine Wohlthaten, meine Suͤnden und nachlaͤßige Tugenden! Nun ſo loͤſe du mich denn aus, Herr Jeſu! Jch habe durch dich etwas guͤltiges, nemlich Reue und Vorſatz mich zu beſſern. Darum ſchenk mir Verge- bung meiner Suͤnden und Antheil an deinem Verdienſt. Alsdann wird jeder kuͤnftige Tag von mir mit neuen Tugenden bezeichnet werden; mein ganzes Leben wird dir aͤhnlicher, und die Ewigkeit mein Ziel und Erbe ſeyn.
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[68[98]/0105]
Der 1te Februar.
Die Unterſcheidungsſtuͤcke eines jeden Tages, ſind eine nuͤtz-
liche Unterſuchung fuͤr den Verehrer Gottes; denn jeder Tag hat
ſeine eigne Plage, aber auch ſeine eigne Gaben. Jeder hat einen
beſondern Antrag an uns zu thun, der zwar immer derſelbe iſt,
nemlich: Thut Buſſe und glaͤubet an das Evangelium! Aber je-
der dieſer Boten veraͤndert ſeine Bewegungsgruͤnde, und ſpricht
heiſerer, oder lauter und freimuͤthiger; je nachdem ihm ſeine
Vorgaͤnger unſre Denkungsart geſchildert, und ihm Lobſpruͤche,
oder Anweiſung auf uns als Schuldner hinterlaſſen haben. Und
wenn ich noch tauſend Jahre auf Erden lebte, ſo wuͤrde mir kein
einziger Tag die Gelegenheit zum Guten wieder anbieten, die ich
heute gehabt habe, und die ich (Gott erbarme dich meiner!) nun
auf ewig verloren habe! Die Umſtaͤnde, unſer Zuſammenhang
mit der Welt, unſre Einſichten und Geſchmack, alles das iſt mit
jedem Tage der Veraͤndrung unterworfen. Jeder iſt ein beſon-
ders verzierter Schauplatz. Jeder lobet uns entweder, oder kla-
get uns an, wenn er fuͤr uns verloren war. Lieber ein Koͤnig-
reich als einen Tag verloren! Und waͤre er gar der letzte unſers
Lebens: dann lieber die ganze Welt verloren, als einen ſo unwie-
derbringlichen Schaden an ſeiner Seele genommen! Nun oder
niemals muß die Loſung bei Ausuͤbung aller Tugenden ſeyn.
Dreieiniger, ewiger Gott! Um einen ſtarken Schritt bin ich
dir heute naͤher gekommen, aber auch naͤher und aͤhnlicher an Ge-
ſinnung? Der morgende Tag liegt noch in deiner Hand, und ich
muß an dem heutigen meine Rechnung mit dir ſchlieſſen. Aber
was kan ich anders berechnen, als deine Wohlthaten, meine
Suͤnden und nachlaͤßige Tugenden! Nun ſo loͤſe du mich denn
aus, Herr Jeſu! Jch habe durch dich etwas guͤltiges, nemlich
Reue und Vorſatz mich zu beſſern. Darum ſchenk mir Verge-
bung meiner Suͤnden und Antheil an deinem Verdienſt. Alsdann
wird jeder kuͤnftige Tag von mir mit neuen Tugenden bezeichnet
werden; mein ganzes Leben wird dir aͤhnlicher, und die Ewigkeit
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 68[98]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/105>, abgerufen am 21.11.2024.
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