uns unbekante Veranlassung einen gröbern und sichtbaren Kör[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] annähmen, und unsern Sinnen merklich würden. Ob dis ab[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] jemals geschah, wollen wir denen gewissenhaft zu beantwort[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] überlassen, welche sie gesehen und gehört haben wollen. M[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] zwinge uns nur seine Erfahrung nicht als Glaubenssachen au[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] wir wollen dagegen bescheiden seyn, und nicht gerade zu verspotte[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] was wir nicht begreifen. Zweifeln aber müssen wir in einer so u[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] wahrscheinlichen Sache, bis wir selbst ohne Betrug etwas höre[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] und sehen, was alle Kräfte der sichtbaren Geschöpfe übersteigt.
Da kein Ding so unbedeutend ist, welches nicht Anlaß z[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] Betrachtungen gäbe, so will ich jetzt von den Gespenstern folgen[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] des lernen: 1) Der Mensch ist witzig zu seiner Qual. Der größt[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] Theil meiner Plagen ist ein Gespenst, das ich mir selber in de[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] fürchterlichsten Gestalt erschuf 2) Die Begriffe unsrer Kindheit[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] sind schwer zu tilgen. Mancher Vernünftiger kan sich zeitlebens eines kleinen Schauders nicht erwehren, wenn er zur Mitternacht an einsamen Orten geht. 3) Vorurtheile, weil sie des Menschen Werk sind, haben meistens mehr Stärke, als erwiesene Wahr- heiten. 4) Man kan seine Einbildungskraft nicht genung bewa- chen. Wie sie in der Nacht Gespenster mahlt, so entwirft sie bei Tage reizende Bilder zur Sünde. 5) Der Mensch ist so furcht- sam als trotzig. Er scherzt bei den Drohungen des Allerhöchsten, und zittert, wenn des Nachts eine Thüre knarret. 6) Angstge- bete sind nicht viel werth: das beweiset der leichtsinnige Wandel derer, welche im Mondschein bei Erblickung ihres Schattens schwitzen und beten. 7) Erscheinungen wären heut zu Tage un- nütz; denn wir haben Mosen und die Propheten: ja was? wir haben Jesum und seine Apostel. Wer ist wol durch vermeintlich gehabte Erscheinungen wahrhaftig fromm geworden? 8) Die Gottseligkeit vertreibt unnöthige Furcht. Wer sich der Liebe Jesu und des Schutzes der Engel getrösten kan: was frägt der nach Gespenstern?
Nichts soll mir furchtbar seyn, als dein Zorn, o Gott! Und nichts in der Nacht mir vor Augen kommen als deine Liebe. Du, Allgegenwärtiger! bist bei mir: es wäre Schande, wenn ich zit- tern wolte. Jch will jetzt ruhig schlafen, denn ich bin ein erlöster Christ.
Der
Der 2te Januar.
uns unbekante Veranlaſſung einen groͤbern und ſichtbaren Koͤr[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] annaͤhmen, und unſern Sinnen merklich wuͤrden. Ob dis ab[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] jemals geſchah, wollen wir denen gewiſſenhaft zu beantwort[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] uͤberlaſſen, welche ſie geſehen und gehoͤrt haben wollen. M[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] zwinge uns nur ſeine Erfahrung nicht als Glaubensſachen au[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] wir wollen dagegen beſcheiden ſeyn, und nicht gerade zu verſpotte[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] was wir nicht begreifen. Zweifeln aber muͤſſen wir in einer ſo u[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] wahrſcheinlichen Sache, bis wir ſelbſt ohne Betrug etwas hoͤre[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] und ſehen, was alle Kraͤfte der ſichtbaren Geſchoͤpfe uͤberſteigt.
Da kein Ding ſo unbedeutend iſt, welches nicht Anlaß z[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] Betrachtungen gaͤbe, ſo will ich jetzt von den Geſpenſtern folgen[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] des lernen: 1) Der Menſch iſt witzig zu ſeiner Qual. Der groͤßt[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] Theil meiner Plagen iſt ein Geſpenſt, das ich mir ſelber in de[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] fuͤrchterlichſten Geſtalt erſchuf 2) Die Begriffe unſrer Kindheit[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] ſind ſchwer zu tilgen. Mancher Vernuͤnftiger kan ſich zeitlebens eines kleinen Schauders nicht erwehren, wenn er zur Mitternacht an einſamen Orten geht. 3) Vorurtheile, weil ſie des Menſchen Werk ſind, haben meiſtens mehr Staͤrke, als erwieſene Wahr- heiten. 4) Man kan ſeine Einbildungskraft nicht genung bewa- chen. Wie ſie in der Nacht Geſpenſter mahlt, ſo entwirft ſie bei Tage reizende Bilder zur Suͤnde. 5) Der Menſch iſt ſo furcht- ſam als trotzig. Er ſcherzt bei den Drohungen des Allerhoͤchſten, und zittert, wenn des Nachts eine Thuͤre knarret. 6) Angſtge- bete ſind nicht viel werth: das beweiſet der leichtſinnige Wandel derer, welche im Mondſchein bei Erblickung ihres Schattens ſchwitzen und beten. 7) Erſcheinungen waͤren heut zu Tage un- nuͤtz; denn wir haben Moſen und die Propheten: ja was? wir haben Jeſum und ſeine Apoſtel. Wer iſt wol durch vermeintlich gehabte Erſcheinungen wahrhaftig fromm geworden? 8) Die Gottſeligkeit vertreibt unnoͤthige Furcht. Wer ſich der Liebe Jeſu und des Schutzes der Engel getroͤſten kan: was fraͤgt der nach Geſpenſtern?
Nichts ſoll mir furchtbar ſeyn, als dein Zorn, o Gott! Und nichts in der Nacht mir vor Augen kommen als deine Liebe. Du, Allgegenwaͤrtiger! biſt bei mir: es waͤre Schande, wenn ich zit- tern wolte. Jch will jetzt ruhig ſchlafen, denn ich bin ein erloͤſter Chriſt.
Der
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[70[100]/0107]
Der 2te Januar.
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haben Jeſum und ſeine Apoſtel. Wer iſt wol durch vermeintlich
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Gottſeligkeit vertreibt unnoͤthige Furcht. Wer ſich der Liebe Jeſu
und des Schutzes der Engel getroͤſten kan: was fraͤgt der nach
Geſpenſtern?
Nichts ſoll mir furchtbar ſeyn, als dein Zorn, o Gott! Und
nichts in der Nacht mir vor Augen kommen als deine Liebe. Du,
Allgegenwaͤrtiger! biſt bei mir: es waͤre Schande, wenn ich zit-
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 70[100]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/107>, abgerufen am 16.02.2025.
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