nünftigen Menschen begeanete! In jenen barbarischen Jahrhun- derten, wo es selbst den Adel nicht schändete, wenn er aus seinem Raubschloß die Ebne übersah, und auf Beute lauerte, gleich einer Spinne in ihrem Gewebe! wo Kometen, Gespenster, Heren und Legenden in beständiger kindischen Furcht erhielten!
Aber wie schön ist in diesem meinem Jahrhundert alles um mich her! Welche Kenntnisse und Einsichten! Noch vor fünf hundert Jahren würden unsre zehnjährige Schüler grosse Gelehr- ten vorgestellt haben. Welche gemilderte Sitten! Keine Befeh- dung, kein Duell, weder Wasser- noch Feuerprobe werden uns jetzt aufgedrungen. Wir besitzen, was uns Fleiß und Geschick- lichkeit erwirbt, in Ruhe. Wir können den Würkungen der Na- tur nachforschen, ohne der Zauberei beschuldiget, oder wol gar verbrannt zu werden! Wie viele Bequemlichkeit und Vergnügen verschaft uns nicht das gegenwärtige Weltalter! Fast alle Deli- katessen der Tafel, gemächlicher und schöner Hausrath, hinreis- sende Musik, redende Mahlerei, wohlfeile und lehrreiche Bü- cher, und wer kan alle Vorzüge und Erfindungen erzählen, von welchen unsre rohere Ureltern wenig oder gar nichts wußten? Hauptsächlich aber der Gottesdienst! Vier hundert Jahr früher geboren, so zittre ich für meine Religion!
Womit, mein gütigster Vater! womit habe ich diesen Vor- zug verdient? Aber statt mein Glück zu empfinden, setze ich mich öfters, wie Jonas, hin und murre über mein Schicksal. O Gott! welche Verantwortung samlen wir uns zum Gerichtstage auf, wenn wir dich so wenig für deine Gaben preisen! Ach! laß mich doch, so viel möglich, alle deine Wohlthaten aufsuchen, mich dar- über freuen und dir danken. Innigste Anbetung sey dir, daß ich jetzt ruhig in meinem Zimmer, so wohl von dir ausgestatter, ein- schlafen, und mich so anständig mit dir unterhalten kan! Ich solte dich nicht lieben, und du besorgtest von Ewigkeit her mein Da- seyn so gütig?
Der
Der 18te Februar.
nuͤnftigen Menſchen begeanete! In jenen barbariſchen Jahrhun- derten, wo es ſelbſt den Adel nicht ſchaͤndete, wenn er aus ſeinem Raubſchloß die Ebne uͤberſah, und auf Beute lauerte, gleich einer Spinne in ihrem Gewebe! wo Kometen, Geſpenſter, Heren und Legenden in beſtaͤndiger kindiſchen Furcht erhielten!
Aber wie ſchoͤn iſt in dieſem meinem Jahrhundert alles um mich her! Welche Kenntniſſe und Einſichten! Noch vor fuͤnf hundert Jahren wuͤrden unſre zehnjaͤhrige Schuͤler groſſe Gelehr- ten vorgeſtellt haben. Welche gemilderte Sitten! Keine Befeh- dung, kein Duell, weder Waſſer- noch Feuerprobe werden uns jetzt aufgedrungen. Wir beſitzen, was uns Fleiß und Geſchick- lichkeit erwirbt, in Ruhe. Wir koͤnnen den Wuͤrkungen der Na- tur nachforſchen, ohne der Zauberei beſchuldiget, oder wol gar verbrannt zu werden! Wie viele Bequemlichkeit und Vergnuͤgen verſchaft uns nicht das gegenwaͤrtige Weltalter! Faſt alle Deli- kateſſen der Tafel, gemaͤchlicher und ſchoͤner Hausrath, hinreiſ- ſende Muſik, redende Mahlerei, wohlfeile und lehrreiche Buͤ- cher, und wer kan alle Vorzuͤge und Erfindungen erzaͤhlen, von welchen unſre rohere Ureltern wenig oder gar nichts wußten? Hauptſaͤchlich aber der Gottesdienſt! Vier hundert Jahr fruͤher geboren, ſo zittre ich fuͤr meine Religion!
Womit, mein guͤtigſter Vater! womit habe ich dieſen Vor- zug verdient? Aber ſtatt mein Gluͤck zu empfinden, ſetze ich mich oͤfters, wie Jonas, hin und murre uͤber mein Schickſal. O Gott! welche Verantwortung ſamlen wir uns zum Gerichtstage auf, wenn wir dich ſo wenig fuͤr deine Gaben preiſen! Ach! laß mich doch, ſo viel moͤglich, alle deine Wohlthaten aufſuchen, mich dar- uͤber freuen und dir danken. Innigſte Anbetung ſey dir, daß ich jetzt ruhig in meinem Zimmer, ſo wohl von dir ausgeſtatter, ein- ſchlafen, und mich ſo anſtaͤndig mit dir unterhalten kan! Ich ſolte dich nicht lieben, und du beſorgteſt von Ewigkeit her mein Da- ſeyn ſo guͤtig?
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[102[132]/0139]
Der 18te Februar.
nuͤnftigen Menſchen begeanete! In jenen barbariſchen Jahrhun-
derten, wo es ſelbſt den Adel nicht ſchaͤndete, wenn er aus ſeinem
Raubſchloß die Ebne uͤberſah, und auf Beute lauerte, gleich
einer Spinne in ihrem Gewebe! wo Kometen, Geſpenſter, Heren
und Legenden in beſtaͤndiger kindiſchen Furcht erhielten!
Aber wie ſchoͤn iſt in dieſem meinem Jahrhundert alles um
mich her! Welche Kenntniſſe und Einſichten! Noch vor fuͤnf
hundert Jahren wuͤrden unſre zehnjaͤhrige Schuͤler groſſe Gelehr-
ten vorgeſtellt haben. Welche gemilderte Sitten! Keine Befeh-
dung, kein Duell, weder Waſſer- noch Feuerprobe werden uns
jetzt aufgedrungen. Wir beſitzen, was uns Fleiß und Geſchick-
lichkeit erwirbt, in Ruhe. Wir koͤnnen den Wuͤrkungen der Na-
tur nachforſchen, ohne der Zauberei beſchuldiget, oder wol gar
verbrannt zu werden! Wie viele Bequemlichkeit und Vergnuͤgen
verſchaft uns nicht das gegenwaͤrtige Weltalter! Faſt alle Deli-
kateſſen der Tafel, gemaͤchlicher und ſchoͤner Hausrath, hinreiſ-
ſende Muſik, redende Mahlerei, wohlfeile und lehrreiche Buͤ-
cher, und wer kan alle Vorzuͤge und Erfindungen erzaͤhlen, von
welchen unſre rohere Ureltern wenig oder gar nichts wußten?
Hauptſaͤchlich aber der Gottesdienſt! Vier hundert Jahr fruͤher
geboren, ſo zittre ich fuͤr meine Religion!
Womit, mein guͤtigſter Vater! womit habe ich dieſen Vor-
zug verdient? Aber ſtatt mein Gluͤck zu empfinden, ſetze ich mich
oͤfters, wie Jonas, hin und murre uͤber mein Schickſal. O Gott!
welche Verantwortung ſamlen wir uns zum Gerichtstage auf,
wenn wir dich ſo wenig fuͤr deine Gaben preiſen! Ach! laß mich
doch, ſo viel moͤglich, alle deine Wohlthaten aufſuchen, mich dar-
uͤber freuen und dir danken. Innigſte Anbetung ſey dir, daß ich
jetzt ruhig in meinem Zimmer, ſo wohl von dir ausgeſtatter, ein-
ſchlafen, und mich ſo anſtaͤndig mit dir unterhalten kan! Ich ſolte
dich nicht lieben, und du beſorgteſt von Ewigkeit her mein Da-
ſeyn ſo guͤtig?
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 102[132]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/139>, abgerufen am 21.11.2024.
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