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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 7te März.
vergeßliches Herz! jener schlechten Handlung, welche du so sorg-
fältig vor Menschen vertuschtest, und über welche du erblassen
oder erröthen würdest, wenn sie deine besten Freunde wüßten:
diese That wird vieleicht bald auf der Erde vergessen seyn; aber im
Himmel nicht. Mit einem oder zween Menschen können deine
angelegentlichste Heimlichkeiten aussterben: aber der Verstorbene
muß ja mit Gott davon reden! Hier erreiche ich meinen Zweck,
und rette mein Geheimniß: aber dort wird es feierlich bekant ge-
macht! Weg mit allen Geheimnissen, über welche ich mich nicht
mit Gott unterhalten darf!

So fürchterlich die göttliche Eigenschaft der Allgegenwart
dem Frevler ist: so tröstend und erfreulich ist sie dem, der Gott
fürchtet. Die Ueberzeugung: Gott ist bei mir, setzt mich über
alle Drohungen des Unglücks, über alle Niederträchtigkeit und
sündliche Menschenfurcht hinweg. Dasselbe unendliche Wesen,
welches die Jubel der Erzengel als ein Opfer annimmt, höret auch
meine Seufzer und die Verleumdungen und Rathschläge meiner
Widersacher. Ein geflistertes gottloses Wort wird ein Donner-
wetter in der Ewigkeit, wofern Jesus die Wetter nicht zertheilt.
Aber auch ein stummer Blick gen Himmel, ein gebrochnes Ach!
wird ein lauter, die Himmel durchschallender Gesang werden,
wann ich einst die Absicht und mächtige Hülfe des Allgütigsten
näher verstehen werde.

Allgegenwärtiger! niemals abwesender Gott! allenthalben
und in Ewigkeit mein Herr! Wie dürfte ich dir mein Inneres
verheelen! Vergessen kanst du nicht, aber wol vergeben, so, daß
meiner Uebertretungen nimnunermehr gedacht wird. Ich aber
vergesse leichter, als ich vergebe, oder Vergebung bei dir suche!
Du durchforschest die Falten meines Herzens? -- Ich werfe
mich in die Arme Jesu: und so kan ich ruhig einschlafen, leben
und sterben; denn du, versöhnter Vater! bist bei mir!

Der

Der 7te Maͤrz.
vergeßliches Herz! jener ſchlechten Handlung, welche du ſo ſorg-
faͤltig vor Menſchen vertuſchteſt, und uͤber welche du erblaſſen
oder erroͤthen wuͤrdeſt, wenn ſie deine beſten Freunde wuͤßten:
dieſe That wird vieleicht bald auf der Erde vergeſſen ſeyn; aber im
Himmel nicht. Mit einem oder zween Menſchen koͤnnen deine
angelegentlichſte Heimlichkeiten ausſterben: aber der Verſtorbene
muß ja mit Gott davon reden! Hier erreiche ich meinen Zweck,
und rette mein Geheimniß: aber dort wird es feierlich bekant ge-
macht! Weg mit allen Geheimniſſen, uͤber welche ich mich nicht
mit Gott unterhalten darf!

So fuͤrchterlich die goͤttliche Eigenſchaft der Allgegenwart
dem Frevler iſt: ſo troͤſtend und erfreulich iſt ſie dem, der Gott
fuͤrchtet. Die Ueberzeugung: Gott iſt bei mir, ſetzt mich uͤber
alle Drohungen des Ungluͤcks, uͤber alle Niedertraͤchtigkeit und
ſuͤndliche Menſchenfurcht hinweg. Daſſelbe unendliche Weſen,
welches die Jubel der Erzengel als ein Opfer annimmt, hoͤret auch
meine Seufzer und die Verleumdungen und Rathſchlaͤge meiner
Widerſacher. Ein gefliſtertes gottloſes Wort wird ein Donner-
wetter in der Ewigkeit, wofern Jeſus die Wetter nicht zertheilt.
Aber auch ein ſtummer Blick gen Himmel, ein gebrochnes Ach!
wird ein lauter, die Himmel durchſchallender Geſang werden,
wann ich einſt die Abſicht und maͤchtige Huͤlfe des Allguͤtigſten
naͤher verſtehen werde.

Allgegenwaͤrtiger! niemals abweſender Gott! allenthalben
und in Ewigkeit mein Herr! Wie duͤrfte ich dir mein Inneres
verheelen! Vergeſſen kanſt du nicht, aber wol vergeben, ſo, daß
meiner Uebertretungen nimnunermehr gedacht wird. Ich aber
vergeſſe leichter, als ich vergebe, oder Vergebung bei dir ſuche!
Du durchforſcheſt die Falten meines Herzens? — Ich werfe
mich in die Arme Jeſu: und ſo kan ich ruhig einſchlafen, leben
und ſterben; denn du, verſoͤhnter Vater! biſt bei mir!

Der
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[140[170]/0177] Der 7te Maͤrz. vergeßliches Herz! jener ſchlechten Handlung, welche du ſo ſorg- faͤltig vor Menſchen vertuſchteſt, und uͤber welche du erblaſſen oder erroͤthen wuͤrdeſt, wenn ſie deine beſten Freunde wuͤßten: dieſe That wird vieleicht bald auf der Erde vergeſſen ſeyn; aber im Himmel nicht. Mit einem oder zween Menſchen koͤnnen deine angelegentlichſte Heimlichkeiten ausſterben: aber der Verſtorbene muß ja mit Gott davon reden! Hier erreiche ich meinen Zweck, und rette mein Geheimniß: aber dort wird es feierlich bekant ge- macht! Weg mit allen Geheimniſſen, uͤber welche ich mich nicht mit Gott unterhalten darf! So fuͤrchterlich die goͤttliche Eigenſchaft der Allgegenwart dem Frevler iſt: ſo troͤſtend und erfreulich iſt ſie dem, der Gott fuͤrchtet. Die Ueberzeugung: Gott iſt bei mir, ſetzt mich uͤber alle Drohungen des Ungluͤcks, uͤber alle Niedertraͤchtigkeit und ſuͤndliche Menſchenfurcht hinweg. Daſſelbe unendliche Weſen, welches die Jubel der Erzengel als ein Opfer annimmt, hoͤret auch meine Seufzer und die Verleumdungen und Rathſchlaͤge meiner Widerſacher. Ein gefliſtertes gottloſes Wort wird ein Donner- wetter in der Ewigkeit, wofern Jeſus die Wetter nicht zertheilt. Aber auch ein ſtummer Blick gen Himmel, ein gebrochnes Ach! wird ein lauter, die Himmel durchſchallender Geſang werden, wann ich einſt die Abſicht und maͤchtige Huͤlfe des Allguͤtigſten naͤher verſtehen werde. Allgegenwaͤrtiger! niemals abweſender Gott! allenthalben und in Ewigkeit mein Herr! Wie duͤrfte ich dir mein Inneres verheelen! Vergeſſen kanſt du nicht, aber wol vergeben, ſo, daß meiner Uebertretungen nimnunermehr gedacht wird. Ich aber vergeſſe leichter, als ich vergebe, oder Vergebung bei dir ſuche! Du durchforſcheſt die Falten meines Herzens? — Ich werfe mich in die Arme Jeſu: und ſo kan ich ruhig einſchlafen, leben und ſterben; denn du, verſoͤhnter Vater! biſt bei mir! Der

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 140[170]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/177>, abgerufen am 21.11.2024.