Wenn ich in stiller Einsamkeit Mein Herz an dich ergebe, Und, über deine Huld erfreut, Lobsingend dich erhebe: So hörst du es, und stehst mir bei, Daß ich dir immer treuer sey.
Die Einsamkeit ist ein ziemlich sichrer Probierstein unsers Charakters. Die Chinesen haben ein Sprüchwort: daß niemand sich für keusch halten dürfe, der es nicht auch in der sichersten Einsamkeit freiwillig ist; oder für versöhnlich, der seinen schlafenden von aller Hülfe abgesonderten Feind, im Schlafe stöhrt; und endlich, daß wer kein Dieb seyn wolle, ungesehen das Gold seines Nächsten mit Füssen treten müsse. -- Wenn Heiden solche Tugenden fodern, so muß der einsame Christ ein Engel seyn. Er, der eine Gesellschaft um sich weiß, welche jene nicht kennen.
Es gibt nur wenig Personen, denen die Einsamkeit schädlich wäre, und das sind mutwillige Sünder und schwermütige Chri- sten. Jene hecken alsdann Bosheiten, und diese Verzweiflung aus. Erstere hängen mit allen ihren Gedanken noch zu bege- henden Sünden nach: letztere härmen sich zu sehr über begangene, die doch Gott ihnen schon längstens und öfters auf ihr Gebet ver- geben hat. Für beide ist anhaltende Arbeit und vernünftige Ge- sellschaft eine Arzenei. Erstere nehmen auch dieses Heilmittel zu zeiten an: letztere aber weinen, wenn ihnen die Gelegenheit zu weinen benommen wird. Sie scheinen Gott zu suchen: und su- chen ihre Qual.
Jedoch;
O 4
Der 13te April.
Wenn ich in ſtiller Einſamkeit Mein Herz an dich ergebe, Und, uͤber deine Huld erfreut, Lobſingend dich erhebe: So hoͤrſt du es, und ſtehſt mir bei, Daß ich dir immer treuer ſey.
Die Einſamkeit iſt ein ziemlich ſichrer Probierſtein unſers Charakters. Die Chineſen haben ein Spruͤchwort: daß niemand ſich fuͤr keuſch halten duͤrfe, der es nicht auch in der ſicherſten Einſamkeit freiwillig iſt; oder fuͤr verſoͤhnlich, der ſeinen ſchlafenden von aller Huͤlfe abgeſonderten Feind, im Schlafe ſtoͤhrt; und endlich, daß wer kein Dieb ſeyn wolle, ungeſehen das Gold ſeines Naͤchſten mit Fuͤſſen treten muͤſſe. — Wenn Heiden ſolche Tugenden fodern, ſo muß der einſame Chriſt ein Engel ſeyn. Er, der eine Geſellſchaft um ſich weiß, welche jene nicht kennen.
Es gibt nur wenig Perſonen, denen die Einſamkeit ſchaͤdlich waͤre, und das ſind mutwillige Suͤnder und ſchwermuͤtige Chri- ſten. Jene hecken alsdann Bosheiten, und dieſe Verzweiflung aus. Erſtere haͤngen mit allen ihren Gedanken noch zu bege- henden Suͤnden nach: letztere haͤrmen ſich zu ſehr uͤber begangene, die doch Gott ihnen ſchon laͤngſtens und oͤfters auf ihr Gebet ver- geben hat. Fuͤr beide iſt anhaltende Arbeit und vernuͤnftige Ge- ſellſchaft eine Arzenei. Erſtere nehmen auch dieſes Heilmittel zu zeiten an: letztere aber weinen, wenn ihnen die Gelegenheit zu weinen benommen wird. Sie ſcheinen Gott zu ſuchen: und ſu- chen ihre Qual.
Jedoch;
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[215[245]/0252]
Der 13te April.
Wenn ich in ſtiller Einſamkeit
Mein Herz an dich ergebe,
Und, uͤber deine Huld erfreut,
Lobſingend dich erhebe:
So hoͤrſt du es, und ſtehſt mir bei,
Daß ich dir immer treuer ſey.
Die Einſamkeit iſt ein ziemlich ſichrer Probierſtein unſers
Charakters. Die Chineſen haben ein Spruͤchwort: daß
niemand ſich fuͤr keuſch halten duͤrfe, der es nicht auch in der
ſicherſten Einſamkeit freiwillig iſt; oder fuͤr verſoͤhnlich, der ſeinen
ſchlafenden von aller Huͤlfe abgeſonderten Feind, im Schlafe
ſtoͤhrt; und endlich, daß wer kein Dieb ſeyn wolle, ungeſehen
das Gold ſeines Naͤchſten mit Fuͤſſen treten muͤſſe. — Wenn
Heiden ſolche Tugenden fodern, ſo muß der einſame Chriſt ein
Engel ſeyn. Er, der eine Geſellſchaft um ſich weiß, welche jene
nicht kennen.
Es gibt nur wenig Perſonen, denen die Einſamkeit ſchaͤdlich
waͤre, und das ſind mutwillige Suͤnder und ſchwermuͤtige Chri-
ſten. Jene hecken alsdann Bosheiten, und dieſe Verzweiflung
aus. Erſtere haͤngen mit allen ihren Gedanken noch zu bege-
henden Suͤnden nach: letztere haͤrmen ſich zu ſehr uͤber begangene,
die doch Gott ihnen ſchon laͤngſtens und oͤfters auf ihr Gebet ver-
geben hat. Fuͤr beide iſt anhaltende Arbeit und vernuͤnftige Ge-
ſellſchaft eine Arzenei. Erſtere nehmen auch dieſes Heilmittel zu
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 215[245]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/252>, abgerufen am 21.11.2024.
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