Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Der 19te April.
schwalben, dann folgen Kirschvögel, Gereuthlerchen, der Guckguck,
die Dornreiche, Nachtigallen, Störche, Steinbeisser, Rothschwänz-
lein, und andre Vögel die sich von Gewürm ernähren. Dann ver-
lassen uns im September die Neuntödter, Bachstolzen, Weisdros-
seln, Wachteln, Schwalben, Heidelerchen, wilde Tauben, Wiedeho-
pfen und Weidenzeisige. Endlich verlieren sich Kibitze, Schne-
pfen, Kornlerchen und Staare. Der Widerstrich dieser Geschö-
pfe im Frühlinge geschiehet fast durchgehends in der Ordnung, daß
je später sie wegziehen, desto früher sie wiederkommen. Die Korn-
lerche macht um Lichtmeß den Anfang, Kirschvogel und Rhein-
schwalbe aber beschliessen den ansehnlichen jährlichen Zug.

Einige Zugvögel bleiben hier und finden Nahrung, warum
bleiben ihrer nicht mehr hier, und wer benennet eben diese? Wer
bestimmt ihnen die bequemste Zeit? Nicht alle treibt der Mangel
an Nahrung weg. Und wie wunderbar! Die Welt ist nun um-
schiffet, man kennet Länder, Wüsten und Seen. Aber allenthalben
ziehen die Vögel weg, und nur von wenigen findet man den eigent-
lichen Winteraufenthalt. Wohin ziehen sie? Woher kommen sie?
Besonders ist es auch, daß die Männlein einige Tage früher zu
kommen, Einrichtungen zu treffen und dann das Weiblein einzuho-
len pflegen. -- Gelehrte! Welt weise! Naturforscher! antwortet
doch auf alle diese Fragen! Jhr sagt: der Vogel hat zu gewissen Zei-
ten einen innerlichen Trieb wegzugehen, und dazu komt ein äus-
serer Zug von einer Gegend; oder er hat einen besondern Sinn,
von dem wir Menschen gar keinen Begrif haben. -- Antwort ge-
nug, um den Schöpfer groß und die Weltweisen klein zu finden!

Allweiser! dir übergeb ich mich und mein Schicksal mit
Zuversicht. Soltest du mich, dein vernünftiges Geschöpf, nicht
sicher und gut führen, der du deine gefiederte Boten so gut zu
ihrem Besten führst? Störche, Turteltauben, Kraniche und
Schwalben merken ihre Zeit, wann sie wiederkommen sollen:
(Jer. 8, 7.) und ich solte nicht die Zeit wissen, welche zu meinem
Frieden dient? Und welches ist sie? Warhaftig die jetzige!

Der

Der 19te April.
ſchwalben, dann folgen Kirſchvoͤgel, Gereuthlerchen, der Guckguck,
die Dornreiche, Nachtigallen, Stoͤrche, Steinbeiſſer, Rothſchwaͤnz-
lein, und andre Voͤgel die ſich von Gewuͤrm ernaͤhren. Dann ver-
laſſen uns im September die Neuntoͤdter, Bachſtolzen, Weisdroſ-
ſeln, Wachteln, Schwalben, Heidelerchen, wilde Tauben, Wiedeho-
pfen und Weidenzeiſige. Endlich verlieren ſich Kibitze, Schne-
pfen, Kornlerchen und Staare. Der Widerſtrich dieſer Geſchoͤ-
pfe im Fruͤhlinge geſchiehet faſt durchgehends in der Ordnung, daß
je ſpaͤter ſie wegziehen, deſto fruͤher ſie wiederkommen. Die Korn-
lerche macht um Lichtmeß den Anfang, Kirſchvogel und Rhein-
ſchwalbe aber beſchlieſſen den anſehnlichen jaͤhrlichen Zug.

Einige Zugvoͤgel bleiben hier und finden Nahrung, warum
bleiben ihrer nicht mehr hier, und wer benennet eben dieſe? Wer
beſtimmt ihnen die bequemſte Zeit? Nicht alle treibt der Mangel
an Nahrung weg. Und wie wunderbar! Die Welt iſt nun um-
ſchiffet, man kennet Laͤnder, Wuͤſten und Seen. Aber allenthalben
ziehen die Voͤgel weg, und nur von wenigen findet man den eigent-
lichen Winteraufenthalt. Wohin ziehen ſie? Woher kommen ſie?
Beſonders iſt es auch, daß die Maͤnnlein einige Tage fruͤher zu
kommen, Einrichtungen zu treffen und dann das Weiblein einzuho-
len pflegen. — Gelehrte! Welt weiſe! Naturforſcher! antwortet
doch auf alle dieſe Fragen! Jhr ſagt: der Vogel hat zu gewiſſen Zei-
ten einen innerlichen Trieb wegzugehen, und dazu komt ein aͤuſ-
ſerer Zug von einer Gegend; oder er hat einen beſondern Sinn,
von dem wir Menſchen gar keinen Begrif haben. — Antwort ge-
nug, um den Schoͤpfer groß und die Weltweiſen klein zu finden!

Allweiſer! dir uͤbergeb ich mich und mein Schickſal mit
Zuverſicht. Solteſt du mich, dein vernuͤnftiges Geſchoͤpf, nicht
ſicher und gut fuͤhren, der du deine gefiederte Boten ſo gut zu
ihrem Beſten fuͤhrſt? Stoͤrche, Turteltauben, Kraniche und
Schwalben merken ihre Zeit, wann ſie wiederkommen ſollen:
(Jer. 8, 7.) und ich ſolte nicht die Zeit wiſſen, welche zu meinem
Frieden dient? Und welches iſt ſie? Warhaftig die jetzige!

Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0265" n="228[258]"/><fw place="top" type="header">Der 19<hi rendition="#sup">te</hi> April.</fw><lb/>
&#x017F;chwalben, dann folgen Kir&#x017F;chvo&#x0364;gel, Gereuthlerchen, der Guckguck,<lb/>
die Dornreiche, Nachtigallen, Sto&#x0364;rche, Steinbei&#x017F;&#x017F;er, Roth&#x017F;chwa&#x0364;nz-<lb/>
lein, und andre Vo&#x0364;gel die &#x017F;ich von Gewu&#x0364;rm erna&#x0364;hren. Dann ver-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en uns im September die Neunto&#x0364;dter, Bach&#x017F;tolzen, Weisdro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;eln, Wachteln, Schwalben, Heidelerchen, wilde Tauben, Wiedeho-<lb/>
pfen und Weidenzei&#x017F;ige. Endlich verlieren &#x017F;ich Kibitze, Schne-<lb/>
pfen, Kornlerchen und Staare. Der Wider&#x017F;trich die&#x017F;er Ge&#x017F;cho&#x0364;-<lb/>
pfe im Fru&#x0364;hlinge ge&#x017F;chiehet fa&#x017F;t durchgehends in der Ordnung, daß<lb/>
je &#x017F;pa&#x0364;ter &#x017F;ie wegziehen, de&#x017F;to fru&#x0364;her &#x017F;ie wiederkommen. Die Korn-<lb/>
lerche macht um Lichtmeß den Anfang, Kir&#x017F;chvogel und Rhein-<lb/>
&#x017F;chwalbe aber be&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en den an&#x017F;ehnlichen ja&#x0364;hrlichen Zug.</p><lb/>
            <p>Einige Zugvo&#x0364;gel bleiben hier und finden Nahrung, warum<lb/>
bleiben ihrer nicht mehr hier, und wer benennet eben die&#x017F;e? Wer<lb/>
be&#x017F;timmt ihnen die bequem&#x017F;te Zeit? Nicht alle treibt der Mangel<lb/>
an Nahrung weg. Und wie wunderbar! Die Welt i&#x017F;t nun um-<lb/>
&#x017F;chiffet, man kennet La&#x0364;nder, Wu&#x0364;&#x017F;ten und Seen. Aber allenthalben<lb/>
ziehen die Vo&#x0364;gel weg, und nur von wenigen findet man den eigent-<lb/>
lichen Winteraufenthalt. Wohin ziehen &#x017F;ie? Woher kommen &#x017F;ie?<lb/>
Be&#x017F;onders i&#x017F;t es auch, daß die Ma&#x0364;nnlein einige Tage fru&#x0364;her zu<lb/>
kommen, Einrichtungen zu treffen und dann das Weiblein einzuho-<lb/>
len pflegen. &#x2014; Gelehrte! Welt wei&#x017F;e! Naturfor&#x017F;cher! antwortet<lb/>
doch auf alle die&#x017F;e Fragen! Jhr &#x017F;agt: der Vogel hat zu gewi&#x017F;&#x017F;en Zei-<lb/>
ten einen innerlichen Trieb wegzugehen, und dazu komt ein a&#x0364;u&#x017F;-<lb/>
&#x017F;erer Zug von einer Gegend; oder er hat einen be&#x017F;ondern Sinn,<lb/>
von dem wir Men&#x017F;chen gar keinen Begrif haben. &#x2014; Antwort ge-<lb/>
nug, um den Scho&#x0364;pfer groß und die Weltwei&#x017F;en klein zu finden!</p><lb/>
            <p>Allwei&#x017F;er! dir u&#x0364;bergeb ich mich und mein Schick&#x017F;al mit<lb/>
Zuver&#x017F;icht. Solte&#x017F;t du mich, dein vernu&#x0364;nftiges Ge&#x017F;cho&#x0364;pf, nicht<lb/>
&#x017F;icher und gut fu&#x0364;hren, der du deine gefiederte Boten &#x017F;o gut zu<lb/>
ihrem Be&#x017F;ten fu&#x0364;hr&#x017F;t? Sto&#x0364;rche, Turteltauben, Kraniche und<lb/>
Schwalben merken ihre Zeit, wann &#x017F;ie wiederkommen &#x017F;ollen:<lb/>
(Jer. 8, 7.) und ich &#x017F;olte nicht die Zeit wi&#x017F;&#x017F;en, welche zu meinem<lb/>
Frieden dient? Und welches i&#x017F;t &#x017F;ie? Warhaftig die jetzige!</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228[258]/0265] Der 19te April. ſchwalben, dann folgen Kirſchvoͤgel, Gereuthlerchen, der Guckguck, die Dornreiche, Nachtigallen, Stoͤrche, Steinbeiſſer, Rothſchwaͤnz- lein, und andre Voͤgel die ſich von Gewuͤrm ernaͤhren. Dann ver- laſſen uns im September die Neuntoͤdter, Bachſtolzen, Weisdroſ- ſeln, Wachteln, Schwalben, Heidelerchen, wilde Tauben, Wiedeho- pfen und Weidenzeiſige. Endlich verlieren ſich Kibitze, Schne- pfen, Kornlerchen und Staare. Der Widerſtrich dieſer Geſchoͤ- pfe im Fruͤhlinge geſchiehet faſt durchgehends in der Ordnung, daß je ſpaͤter ſie wegziehen, deſto fruͤher ſie wiederkommen. Die Korn- lerche macht um Lichtmeß den Anfang, Kirſchvogel und Rhein- ſchwalbe aber beſchlieſſen den anſehnlichen jaͤhrlichen Zug. Einige Zugvoͤgel bleiben hier und finden Nahrung, warum bleiben ihrer nicht mehr hier, und wer benennet eben dieſe? Wer beſtimmt ihnen die bequemſte Zeit? Nicht alle treibt der Mangel an Nahrung weg. Und wie wunderbar! Die Welt iſt nun um- ſchiffet, man kennet Laͤnder, Wuͤſten und Seen. Aber allenthalben ziehen die Voͤgel weg, und nur von wenigen findet man den eigent- lichen Winteraufenthalt. Wohin ziehen ſie? Woher kommen ſie? Beſonders iſt es auch, daß die Maͤnnlein einige Tage fruͤher zu kommen, Einrichtungen zu treffen und dann das Weiblein einzuho- len pflegen. — Gelehrte! Welt weiſe! Naturforſcher! antwortet doch auf alle dieſe Fragen! Jhr ſagt: der Vogel hat zu gewiſſen Zei- ten einen innerlichen Trieb wegzugehen, und dazu komt ein aͤuſ- ſerer Zug von einer Gegend; oder er hat einen beſondern Sinn, von dem wir Menſchen gar keinen Begrif haben. — Antwort ge- nug, um den Schoͤpfer groß und die Weltweiſen klein zu finden! Allweiſer! dir uͤbergeb ich mich und mein Schickſal mit Zuverſicht. Solteſt du mich, dein vernuͤnftiges Geſchoͤpf, nicht ſicher und gut fuͤhren, der du deine gefiederte Boten ſo gut zu ihrem Beſten fuͤhrſt? Stoͤrche, Turteltauben, Kraniche und Schwalben merken ihre Zeit, wann ſie wiederkommen ſollen: (Jer. 8, 7.) und ich ſolte nicht die Zeit wiſſen, welche zu meinem Frieden dient? Und welches iſt ſie? Warhaftig die jetzige! Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-05-24T12:24:22Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/265
Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 228[258]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/265>, abgerufen am 21.11.2024.