Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.Der 23te April. ihr mir für Ehre, Vergnügen und Schadloshaltung an? (denngewinnen muß ich dabei!) Wem könnt ihr mich empfehlen, wen heimlich verfolgen? Bietet, und ich schlage mein Herz dem Meist- bietenden zu, jedoch auch nur auf Genehmhaltung aller meiner künftigen Leidenschaften." Warum Freunde so selten sind? -- Weil wir Bedienten- Mein größter Freund, mein Bruder! erhabenstes Muster Jch danke dir von Herzen, O du mein größter Freund! Für deine Todesschmerzen: Wie gut hast du's gemeint! Ach! gib, daß ich mich halte Zu dir und deiner Treu, Und bis ich einst erkalte, Ganz nur der Deine sey! Der
Der 23te April. ihr mir fuͤr Ehre, Vergnuͤgen und Schadloshaltung an? (denngewinnen muß ich dabei!) Wem koͤnnt ihr mich empfehlen, wen heimlich verfolgen? Bietet, und ich ſchlage mein Herz dem Meiſt- bietenden zu, jedoch auch nur auf Genehmhaltung aller meiner kuͤnftigen Leidenſchaften.„ Warum Freunde ſo ſelten ſind? — Weil wir Bedienten- Mein groͤßter Freund, mein Bruder! erhabenſtes Muſter Jch danke dir von Herzen, O du mein groͤßter Freund! Fuͤr deine Todesſchmerzen: Wie gut haſt du’s gemeint! Ach! gib, daß ich mich halte Zu dir und deiner Treu, Und bis ich einſt erkalte, Ganz nur der Deine ſey! Der
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0273" n="236[266]"/><fw place="top" type="header">Der 23<hi rendition="#sup">te</hi> April.</fw><lb/> ihr mir fuͤr Ehre, Vergnuͤgen und Schadloshaltung an? (denn<lb/> gewinnen muß ich dabei!) Wem koͤnnt ihr mich empfehlen, wen<lb/> heimlich verfolgen? Bietet, und ich ſchlage mein Herz dem Meiſt-<lb/> bietenden zu, jedoch auch nur auf Genehmhaltung aller meiner<lb/> kuͤnftigen Leidenſchaften.„</p><lb/> <p>Warum Freunde ſo ſelten ſind? — Weil wir Bedienten-<lb/> rollen von ihnen fodern. Laſſet uns wieder Kinder werden, wel-<lb/> chen es, ohne alle ſolche Jnquiſitionsfragen, niemals an Freun-<lb/> den mangelt. Laſſet uns die Vortheile des neuen Freundes ſu-<lb/> chen; nicht immer fragen: was hab ich von ihm; ſondern: was<lb/> hat er von mir? Sonderlich wollen wir uns fuͤr den Verluſt des<lb/> geringſten Freundes huͤten, und deſto mehr huͤten, je aͤlter wir<lb/> ſind. Jm funfzigſten Jahre ſind wir ſo traͤge, einen Freund<lb/> wieder aufzuſuchen, und haben ſo wenig Reize aufgeſucht zu wer-<lb/> den, daß wir lieber in den Winkel ſitzen, und mit der ganzen<lb/> Welt maulen. Ein wahrer Freund aber kan uns mehr helfen<lb/> in Krankheiten, als Arzeneien und Herzſtaͤrkungen; mehr in truͤ-<lb/> ben Stunden, als ein Kaſten voll Gold; und mehr zur Tugend<lb/> reizen, als hundert waͤßrige Predigten.</p><lb/> <p>Mein groͤßter Freund, mein Bruder! erhabenſtes Muſter<lb/> der Freundſchaft! du ſteheſt auch im ſpaͤtſten Alter noch vor mir,<lb/> und bieteſt dein Herz, deine Wunden mir an! Was ſoll ich<lb/> thun? —</p><lb/> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">J</hi>ch danke dir von Herzen,</l><lb/> <l>O du mein groͤßter Freund!</l><lb/> <l>Fuͤr deine Todesſchmerzen:</l><lb/> <l>Wie gut haſt du’s gemeint!</l><lb/> <l>Ach! gib, daß ich mich halte</l><lb/> <l>Zu dir und deiner Treu,</l><lb/> <l>Und bis ich einſt erkalte,</l><lb/> <l>Ganz nur der Deine ſey!</l> </lg> </div><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [236[266]/0273]
Der 23te April.
ihr mir fuͤr Ehre, Vergnuͤgen und Schadloshaltung an? (denn
gewinnen muß ich dabei!) Wem koͤnnt ihr mich empfehlen, wen
heimlich verfolgen? Bietet, und ich ſchlage mein Herz dem Meiſt-
bietenden zu, jedoch auch nur auf Genehmhaltung aller meiner
kuͤnftigen Leidenſchaften.„
Warum Freunde ſo ſelten ſind? — Weil wir Bedienten-
rollen von ihnen fodern. Laſſet uns wieder Kinder werden, wel-
chen es, ohne alle ſolche Jnquiſitionsfragen, niemals an Freun-
den mangelt. Laſſet uns die Vortheile des neuen Freundes ſu-
chen; nicht immer fragen: was hab ich von ihm; ſondern: was
hat er von mir? Sonderlich wollen wir uns fuͤr den Verluſt des
geringſten Freundes huͤten, und deſto mehr huͤten, je aͤlter wir
ſind. Jm funfzigſten Jahre ſind wir ſo traͤge, einen Freund
wieder aufzuſuchen, und haben ſo wenig Reize aufgeſucht zu wer-
den, daß wir lieber in den Winkel ſitzen, und mit der ganzen
Welt maulen. Ein wahrer Freund aber kan uns mehr helfen
in Krankheiten, als Arzeneien und Herzſtaͤrkungen; mehr in truͤ-
ben Stunden, als ein Kaſten voll Gold; und mehr zur Tugend
reizen, als hundert waͤßrige Predigten.
Mein groͤßter Freund, mein Bruder! erhabenſtes Muſter
der Freundſchaft! du ſteheſt auch im ſpaͤtſten Alter noch vor mir,
und bieteſt dein Herz, deine Wunden mir an! Was ſoll ich
thun? —
Jch danke dir von Herzen,
O du mein groͤßter Freund!
Fuͤr deine Todesſchmerzen:
Wie gut haſt du’s gemeint!
Ach! gib, daß ich mich halte
Zu dir und deiner Treu,
Und bis ich einſt erkalte,
Ganz nur der Deine ſey!
Der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |