schwisterten Künste ahmen der Natur so getreu nach, daß uns meistens die Kopie besser gefält, als das Original.
Höchst bemerkenswerth ist hiebei die Güte Gottes, welche uns unser Leben so viel möglich versüssen wolte. Die Tonkunde ist keine natürliche Folge unsrer Menschheit, sondern ein besondres Geschenk der Vorsicht. Es gibt noch immer würdige Menschen, welche weder Geschmack an der Musik, noch Fähigkeit dazu ha- ben: wer sie also hat, muß sein Glück dankbar erkennen, die Empfindlichkeit seiner Nerven durch Ausschweifungen nicht schwä- chen, und niemals dis himlische Geschenk der Ueppigkeit aufopfern.
Man hat öfters in der Natur eine, wiewohl geringe Aehn- lichkeit mit dem Geheimnisse der heiligen Dreieinigkeit finden wol- len. Die Musik liefert vieleicht noch das unanstößigste Bild, wofern es je erlaubt ist, eine sinnliche Erläuterung für Geheim- nisse zu suchen. Jede scharf angeschlagne Saite hallet, ausses ihren eigentlichen Ton, noch zwei andre Töne sanft nach, welche alle drei zusammen genommen einen Akord ausmachen. Je stär- ker die Saite und je stiller es umher ist, desto merklicher wird dieser bewundernswürdige Nachhall.
Vergib es, Allerhöchster! wofern die Begierde mich zu er- bauen auf Abwege geräth. Aber du selbst hast ja die Musik ge- heiliget, und sie zu einem Stück des levitischen Gottesdienstes ge- macht. Dein Knecht David that fast Wunder mit seinem Sai- tenspiel, und selbst die Freuden des ewigen Lebens schildertest du in deinem Worte zum theil unter der Musik ab. Habe ich die- ses dein Gram linderndes Geschenk bis hieher nicht genug geach- tet, oder habe ich es zu Anfeurung wilder Leidenschaften gemiß- braucht: so vergib mir auch diese unerkante Sünden. Ja! schla- get nur noch, unermüdete Nachtigallen! zum Lobe unsers Schö- pfers. Mein Morgengesang soll den euren begleiten, wenn Gott mich diese Nacht gesund erhält. Jndessen russet ihr nicht allein. Alle Engel und Sphären singen mit voller Harmonie den dreimal beiligen Gott.
Der
Der 13te Mai.
ſchwiſterten Kuͤnſte ahmen der Natur ſo getreu nach, daß uns meiſtens die Kopie beſſer gefaͤlt, als das Original.
Hoͤchſt bemerkenswerth iſt hiebei die Guͤte Gottes, welche uns unſer Leben ſo viel moͤglich verſuͤſſen wolte. Die Tonkunde iſt keine natuͤrliche Folge unſrer Menſchheit, ſondern ein beſondres Geſchenk der Vorſicht. Es gibt noch immer wuͤrdige Menſchen, welche weder Geſchmack an der Muſik, noch Faͤhigkeit dazu ha- ben: wer ſie alſo hat, muß ſein Gluͤck dankbar erkennen, die Empfindlichkeit ſeiner Nerven durch Ausſchweifungen nicht ſchwaͤ- chen, und niemals dis himliſche Geſchenk der Ueppigkeit aufopfern.
Man hat oͤfters in der Natur eine, wiewohl geringe Aehn- lichkeit mit dem Geheimniſſe der heiligen Dreieinigkeit finden wol- len. Die Muſik liefert vieleicht noch das unanſtoͤßigſte Bild, wofern es je erlaubt iſt, eine ſinnliche Erlaͤuterung fuͤr Geheim- niſſe zu ſuchen. Jede ſcharf angeſchlagne Saite hallet, auſſes ihren eigentlichen Ton, noch zwei andre Toͤne ſanft nach, welche alle drei zuſammen genommen einen Akord ausmachen. Je ſtaͤr- ker die Saite und je ſtiller es umher iſt, deſto merklicher wird dieſer bewundernswuͤrdige Nachhall.
Vergib es, Allerhoͤchſter! wofern die Begierde mich zu er- bauen auf Abwege geraͤth. Aber du ſelbſt haſt ja die Muſik ge- heiliget, und ſie zu einem Stuͤck des levitiſchen Gottesdienſtes ge- macht. Dein Knecht David that faſt Wunder mit ſeinem Sai- tenſpiel, und ſelbſt die Freuden des ewigen Lebens ſchilderteſt du in deinem Worte zum theil unter der Muſik ab. Habe ich die- ſes dein Gram linderndes Geſchenk bis hieher nicht genug geach- tet, oder habe ich es zu Anfeurung wilder Leidenſchaften gemiß- braucht: ſo vergib mir auch dieſe unerkante Suͤnden. Ja! ſchla- get nur noch, unermuͤdete Nachtigallen! zum Lobe unſers Schoͤ- pfers. Mein Morgengeſang ſoll den euren begleiten, wenn Gott mich dieſe Nacht geſund erhaͤlt. Jndeſſen ruſſet ihr nicht allein. Alle Engel und Sphaͤren ſingen mit voller Harmonie den dreimal beiligen Gott.
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[278[308]/0315]
Der 13te Mai.
ſchwiſterten Kuͤnſte ahmen der Natur ſo getreu nach, daß uns
meiſtens die Kopie beſſer gefaͤlt, als das Original.
Hoͤchſt bemerkenswerth iſt hiebei die Guͤte Gottes, welche
uns unſer Leben ſo viel moͤglich verſuͤſſen wolte. Die Tonkunde
iſt keine natuͤrliche Folge unſrer Menſchheit, ſondern ein beſondres
Geſchenk der Vorſicht. Es gibt noch immer wuͤrdige Menſchen,
welche weder Geſchmack an der Muſik, noch Faͤhigkeit dazu ha-
ben: wer ſie alſo hat, muß ſein Gluͤck dankbar erkennen, die
Empfindlichkeit ſeiner Nerven durch Ausſchweifungen nicht ſchwaͤ-
chen, und niemals dis himliſche Geſchenk der Ueppigkeit aufopfern.
Man hat oͤfters in der Natur eine, wiewohl geringe Aehn-
lichkeit mit dem Geheimniſſe der heiligen Dreieinigkeit finden wol-
len. Die Muſik liefert vieleicht noch das unanſtoͤßigſte Bild,
wofern es je erlaubt iſt, eine ſinnliche Erlaͤuterung fuͤr Geheim-
niſſe zu ſuchen. Jede ſcharf angeſchlagne Saite hallet, auſſes
ihren eigentlichen Ton, noch zwei andre Toͤne ſanft nach, welche
alle drei zuſammen genommen einen Akord ausmachen. Je ſtaͤr-
ker die Saite und je ſtiller es umher iſt, deſto merklicher wird
dieſer bewundernswuͤrdige Nachhall.
Vergib es, Allerhoͤchſter! wofern die Begierde mich zu er-
bauen auf Abwege geraͤth. Aber du ſelbſt haſt ja die Muſik ge-
heiliget, und ſie zu einem Stuͤck des levitiſchen Gottesdienſtes ge-
macht. Dein Knecht David that faſt Wunder mit ſeinem Sai-
tenſpiel, und ſelbſt die Freuden des ewigen Lebens ſchilderteſt du
in deinem Worte zum theil unter der Muſik ab. Habe ich die-
ſes dein Gram linderndes Geſchenk bis hieher nicht genug geach-
tet, oder habe ich es zu Anfeurung wilder Leidenſchaften gemiß-
braucht: ſo vergib mir auch dieſe unerkante Suͤnden. Ja! ſchla-
get nur noch, unermuͤdete Nachtigallen! zum Lobe unſers Schoͤ-
pfers. Mein Morgengeſang ſoll den euren begleiten, wenn Gott
mich dieſe Nacht geſund erhaͤlt. Jndeſſen ruſſet ihr nicht allein.
Alle Engel und Sphaͤren ſingen mit voller Harmonie den dreimal
beiligen Gott.
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 278[308]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/315>, abgerufen am 21.11.2024.
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