Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.Der 23te Mai. quemlichkeiten. Der Schöpfer vertraute uns einen Verstand an,vermittelst dessen wir die Lüfte, das Meer und die Erde beherschen. Jn dieser Absicht gab er uns Einsichten und Kräfte, welche er den Thieren versagte. Nur eins zu gedenken, so hat der Mensch allein das Vermögen mit Feuer umzugehen. Die klügsten Affen in Jn- dien lernen es den Menschen nicht ab, Feuer anzuschlagen oder zu unterhalten. Sie sehen von ferne, wie die Wilden sich am Feuer erwärmen; sie frieret auch, und wenn jene den brennenden Heerd verlassen, so stellen sie sich frostig umher: aber nicht einmal neue Reiser wissen sie anzulegen, sondern gehen, nach verloschnem Feuer traurig davon. Unvernünftigen Seelen konte der Allweise ein so furchtbares Element nicht anvertrauen; sie würden, wie unsre Kinder, sich desselben nur zum Schaden bedienen. Hauptsächlich aber macht die Religion den Unterschied unter Mensch und Thier. Jener, und wäre er ein Menschenfresser und roher Wilde, hat Begriffe von einem unsichtbaren Herrn, Schöpfer und Erhalter, den er sich gern zum Freunde machen will, so thörigt auch immer die Mittel dazu seyn mögen. Das Thier im Gegentheil empfin- det und handelt nur sinnlich. Der klügste Hund gehorcht und schmeichelt nur sichtbaren Herren, sorgt nur für seinen Körper, und thut nicht das geringste, um nach seinem Tode noch glücklich zu seyn. Alle Fertigkeiten der Thiere beweisen nur die Grösse ih- res Schöpfers; sie selbst denken nichts dabei. Sie sind einem Kinde gleich, welches auf unser Geheiß an einer Singuhr zieht: die Musik erfolgt, ohne daß es selber weiß wie? O! so lobe den Herrn, meine Seele! der dir so viel gutes Der
Der 23te Mai. quemlichkeiten. Der Schoͤpfer vertraute uns einen Verſtand an,vermittelſt deſſen wir die Luͤfte, das Meer und die Erde beherſchen. Jn dieſer Abſicht gab er uns Einſichten und Kraͤfte, welche er den Thieren verſagte. Nur eins zu gedenken, ſo hat der Menſch allein das Vermoͤgen mit Feuer umzugehen. Die kluͤgſten Affen in Jn- dien lernen es den Menſchen nicht ab, Feuer anzuſchlagen oder zu unterhalten. Sie ſehen von ferne, wie die Wilden ſich am Feuer erwaͤrmen; ſie frieret auch, und wenn jene den brennenden Heerd verlaſſen, ſo ſtellen ſie ſich froſtig umher: aber nicht einmal neue Reiſer wiſſen ſie anzulegen, ſondern gehen, nach verloſchnem Feuer traurig davon. Unvernuͤnftigen Seelen konte der Allweiſe ein ſo furchtbares Element nicht anvertrauen; ſie wuͤrden, wie unſre Kinder, ſich deſſelben nur zum Schaden bedienen. Hauptſaͤchlich aber macht die Religion den Unterſchied unter Menſch und Thier. Jener, und waͤre er ein Menſchenfreſſer und roher Wilde, hat Begriffe von einem unſichtbaren Herrn, Schoͤpfer und Erhalter, den er ſich gern zum Freunde machen will, ſo thoͤrigt auch immer die Mittel dazu ſeyn moͤgen. Das Thier im Gegentheil empfin- det und handelt nur ſinnlich. Der kluͤgſte Hund gehorcht und ſchmeichelt nur ſichtbaren Herren, ſorgt nur fuͤr ſeinen Koͤrper, und thut nicht das geringſte, um nach ſeinem Tode noch gluͤcklich zu ſeyn. Alle Fertigkeiten der Thiere beweiſen nur die Groͤſſe ih- res Schoͤpfers; ſie ſelbſt denken nichts dabei. Sie ſind einem Kinde gleich, welches auf unſer Geheiß an einer Singuhr zieht: die Muſik erfolgt, ohne daß es ſelber weiß wie? O! ſo lobe den Herrn, meine Seele! der dir ſo viel gutes Der
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Der 23te Mai.
quemlichkeiten. Der Schoͤpfer vertraute uns einen Verſtand an,
vermittelſt deſſen wir die Luͤfte, das Meer und die Erde beherſchen.
Jn dieſer Abſicht gab er uns Einſichten und Kraͤfte, welche er den
Thieren verſagte. Nur eins zu gedenken, ſo hat der Menſch allein
das Vermoͤgen mit Feuer umzugehen. Die kluͤgſten Affen in Jn-
dien lernen es den Menſchen nicht ab, Feuer anzuſchlagen oder zu
unterhalten. Sie ſehen von ferne, wie die Wilden ſich am Feuer
erwaͤrmen; ſie frieret auch, und wenn jene den brennenden Heerd
verlaſſen, ſo ſtellen ſie ſich froſtig umher: aber nicht einmal neue
Reiſer wiſſen ſie anzulegen, ſondern gehen, nach verloſchnem Feuer
traurig davon. Unvernuͤnftigen Seelen konte der Allweiſe ein
ſo furchtbares Element nicht anvertrauen; ſie wuͤrden, wie unſre
Kinder, ſich deſſelben nur zum Schaden bedienen. Hauptſaͤchlich
aber macht die Religion den Unterſchied unter Menſch und Thier.
Jener, und waͤre er ein Menſchenfreſſer und roher Wilde, hat
Begriffe von einem unſichtbaren Herrn, Schoͤpfer und Erhalter,
den er ſich gern zum Freunde machen will, ſo thoͤrigt auch immer
die Mittel dazu ſeyn moͤgen. Das Thier im Gegentheil empfin-
det und handelt nur ſinnlich. Der kluͤgſte Hund gehorcht und
ſchmeichelt nur ſichtbaren Herren, ſorgt nur fuͤr ſeinen Koͤrper,
und thut nicht das geringſte, um nach ſeinem Tode noch gluͤcklich
zu ſeyn. Alle Fertigkeiten der Thiere beweiſen nur die Groͤſſe ih-
res Schoͤpfers; ſie ſelbſt denken nichts dabei. Sie ſind einem
Kinde gleich, welches auf unſer Geheiß an einer Singuhr zieht:
die Muſik erfolgt, ohne daß es ſelber weiß wie?
O! ſo lobe den Herrn, meine Seele! der dir ſo viel gutes
gethan hat. Dein kuͤnftiges Schickſal muß erhabner ſeyn, als
der Thiere ihres. Wie weit ſind ſie noch hinter dir zuruͤck! Nim
aber auch hier ſchon die hohe Verbindlichkeit auf dich, den Herrn
verſtaͤndiger anzurufen, als junge Raben es thun. Fuͤr den Leib
ſorgen, iſt thieriſch: ſeine Seele verſorgen, iſt menſchlich. Wolan,
meine Seele! erheb den Herrn, und mein Geiſt! freu dich Got-
tes meines Heilandes!
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(2023-05-24T12:24:22Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
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