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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 9te Januar.
Wo, wie und wann ich sterben soll:
Das weißt du, Vater! mehr als wol.


Wo werde ich dereinst meine Grabstäte finden? Stehen mir
nicht vieleicht noch wichtige Veränderungen meines
Schicksals bevor, welche mich von meinem gegenwärtigen Wohn-
platze vertreiben werden? Die ungewisse Zeit und Art
unsers Todes
sind eine heilsame Demütigung für uns. Kan
auch die Hälfte der Menschen mir überwiegender Wahrscheinlich-
keit sagen: hier will ich sterben, begraben seyn und verwesen?
Aber es giebt auch nur wenige, welche diesen Gedanken ertragen
können, welche beherzt genug sind, ihren künftigen Verwesungs-
platz zu besuchen, und ohne Herzklopfen in ihr Grab zu blicken.
Und doch wäre ein solcher Besuch der nützlichste und mehr der
Neugierde werth, als alle noch so glänzende Auftritte und Sel-
tenheiten der Welt! Jedoch die Erde, welche mich bedecken wird,
sey mir noch so unbekant, so ist sie doch des Herrn, und meine
Heimat im Tode müsse der Himmel seyn! Aber das will ich doch
hieraus lernen, daß ich mich nirgend zu tief einwurzeln oder zu
fest an meinem jetzigen Aufenthalt schmiegen; sondern bereit seyn
müsse, der winkenden Hand der Vorsicht allenthalben hin zu folgen.

Wie, und unter welchen Umständen werde ich sterben?
Dis ist noch ungewisser und diese Frage zu beantworten noch
schwerer, als die vorige. Ein ganzes Heer von Krankheiten
umringt mich: welche unter ihnen wird mich ergreifen? Werde
ich hingeraft, oder langsam aufgelöset werden? Schmerzhaft
oder fühllos, bei Verstand oder wahnwitzig: welches wird mein
Loos seyn, und wie werde ich mich dabei verhalten? Werden
mitleidige Zuschauer und jammernde Freunde um mich herstehen,
oder wird niemand zugegen seyn, der meine gebrochne Augen

zudrückt?
B 2


Der 9te Januar.
Wo, wie und wann ich ſterben ſoll:
Das weißt du, Vater! mehr als wol.


Wo werde ich dereinſt meine Grabſtaͤte finden? Stehen mir
nicht vieleicht noch wichtige Veraͤnderungen meines
Schickſals bevor, welche mich von meinem gegenwaͤrtigen Wohn-
platze vertreiben werden? Die ungewiſſe Zeit und Art
unſers Todes
ſind eine heilſame Demuͤtigung fuͤr uns. Kan
auch die Haͤlfte der Menſchen mir uͤberwiegender Wahrſcheinlich-
keit ſagen: hier will ich ſterben, begraben ſeyn und verweſen?
Aber es giebt auch nur wenige, welche dieſen Gedanken ertragen
koͤnnen, welche beherzt genug ſind, ihren kuͤnftigen Verweſungs-
platz zu beſuchen, und ohne Herzklopfen in ihr Grab zu blicken.
Und doch waͤre ein ſolcher Beſuch der nuͤtzlichſte und mehr der
Neugierde werth, als alle noch ſo glaͤnzende Auftritte und Sel-
tenheiten der Welt! Jedoch die Erde, welche mich bedecken wird,
ſey mir noch ſo unbekant, ſo iſt ſie doch des Herrn, und meine
Heimat im Tode muͤſſe der Himmel ſeyn! Aber das will ich doch
hieraus lernen, daß ich mich nirgend zu tief einwurzeln oder zu
feſt an meinem jetzigen Aufenthalt ſchmiegen; ſondern bereit ſeyn
muͤſſe, der winkenden Hand der Vorſicht allenthalben hin zu folgen.

Wie, und unter welchen Umſtaͤnden werde ich ſterben?
Dis iſt noch ungewiſſer und dieſe Frage zu beantworten noch
ſchwerer, als die vorige. Ein ganzes Heer von Krankheiten
umringt mich: welche unter ihnen wird mich ergreifen? Werde
ich hingeraft, oder langſam aufgeloͤſet werden? Schmerzhaft
oder fuͤhllos, bei Verſtand oder wahnwitzig: welches wird mein
Loos ſeyn, und wie werde ich mich dabei verhalten? Werden
mitleidige Zuſchauer und jammernde Freunde um mich herſtehen,
oder wird niemand zugegen ſeyn, der meine gebrochne Augen

zudruͤckt?
B 2
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[19[49]/0056] Der 9te Januar. Wo, wie und wann ich ſterben ſoll: Das weißt du, Vater! mehr als wol. Wo werde ich dereinſt meine Grabſtaͤte finden? Stehen mir nicht vieleicht noch wichtige Veraͤnderungen meines Schickſals bevor, welche mich von meinem gegenwaͤrtigen Wohn- platze vertreiben werden? Die ungewiſſe Zeit und Art unſers Todes ſind eine heilſame Demuͤtigung fuͤr uns. Kan auch die Haͤlfte der Menſchen mir uͤberwiegender Wahrſcheinlich- keit ſagen: hier will ich ſterben, begraben ſeyn und verweſen? Aber es giebt auch nur wenige, welche dieſen Gedanken ertragen koͤnnen, welche beherzt genug ſind, ihren kuͤnftigen Verweſungs- platz zu beſuchen, und ohne Herzklopfen in ihr Grab zu blicken. Und doch waͤre ein ſolcher Beſuch der nuͤtzlichſte und mehr der Neugierde werth, als alle noch ſo glaͤnzende Auftritte und Sel- tenheiten der Welt! Jedoch die Erde, welche mich bedecken wird, ſey mir noch ſo unbekant, ſo iſt ſie doch des Herrn, und meine Heimat im Tode muͤſſe der Himmel ſeyn! Aber das will ich doch hieraus lernen, daß ich mich nirgend zu tief einwurzeln oder zu feſt an meinem jetzigen Aufenthalt ſchmiegen; ſondern bereit ſeyn muͤſſe, der winkenden Hand der Vorſicht allenthalben hin zu folgen. Wie, und unter welchen Umſtaͤnden werde ich ſterben? Dis iſt noch ungewiſſer und dieſe Frage zu beantworten noch ſchwerer, als die vorige. Ein ganzes Heer von Krankheiten umringt mich: welche unter ihnen wird mich ergreifen? Werde ich hingeraft, oder langſam aufgeloͤſet werden? Schmerzhaft oder fuͤhllos, bei Verſtand oder wahnwitzig: welches wird mein Loos ſeyn, und wie werde ich mich dabei verhalten? Werden mitleidige Zuſchauer und jammernde Freunde um mich herſtehen, oder wird niemand zugegen ſeyn, der meine gebrochne Augen zudruͤckt? B 2

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 19[49]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/56>, abgerufen am 27.11.2024.