Auf hartem Lager frieren sie; Der trübe Morgen ruft sie wieder Zum Thränenbrod! -- Und wer sind die? Gott! deine Kinder sinds, und meine Brüder!
Mit euch rede ich jetzt nicht, die ihr wahnwitzig genung seyd, euer Vermögen zu verschlemmen, und im Gefängniß eu- rer Schuldherrn Gnade zu leben! Soltet ihr aber noch klug wer- den, und eure jetzige Ausschweifungen mit Arbeitsamkeit oder Thränen vergüten: dann will ich euch doch noch in die Klasse mit- leidenswerther Armen aufnehmen. Aber bei euch, doppelt Arme im Winter! will ich jetzt einen Besuch abstatten. Arbeiten könt ihr nicht, und bei dürrem Brod und Wasser beneidet ihr die Kost der Hunde und Katzen, welche in vornehmen Häusern auf weichen Polstern schlafen, da ihr auf dürftigem Stroh eure Hände zu Gott hinauf ringt!
Arme! denen jeder Winter ein verzehrender Krieg, oder eine Art von Pest ist, welche euch einsperrt! die ihr jetzt nicht das trau- rige Vermögen zu betteln, nicht den Elenden Trost habt, ein Stück Brod von den harten Bedienten des noch härtern Reichen zugeworfen zu bekommen: ich spreche jetzt bei euch ein, und will mich mit euch von euren beweinenswürdigen Umständen unter- halten. Jedoch, euer keichender und würgender Husten beraubt euch auch des letzten Trostes: euch zu beklagen. Nun so will ich denn sagen, was ihr denkt. Gott hat ein schweres Gericht über euch ergehen lassen: ihr seyd von euren Brüdern, wie Joseph ehedem, verrathen und verkauft. Jeder Trunkenbold, jede ras- selnde Kutsche, jedes Lustgeschrei muß ein Dolch in euer Herz seyn, weil dadurch euer dürftiger und verächtlicher Zustand einen scharfen und hebenden Schatten bekomt. Es ist gur, daß ihrs nicht wißt, wie viel in den Küchen der Reichen zu grunde geht,
und
D 2
Der 25te Januar.
Auf hartem Lager frieren ſie; Der truͤbe Morgen ruft ſie wieder Zum Thraͤnenbrod! — Und wer ſind die? Gott! deine Kinder ſinds, und meine Bruͤder!
Mit euch rede ich jetzt nicht, die ihr wahnwitzig genung ſeyd, euer Vermoͤgen zu verſchlemmen, und im Gefaͤngniß eu- rer Schuldherrn Gnade zu leben! Soltet ihr aber noch klug wer- den, und eure jetzige Ausſchweifungen mit Arbeitſamkeit oder Thraͤnen verguͤten: dann will ich euch doch noch in die Klaſſe mit- leidenswerther Armen aufnehmen. Aber bei euch, doppelt Arme im Winter! will ich jetzt einen Beſuch abſtatten. Arbeiten koͤnt ihr nicht, und bei duͤrrem Brod und Waſſer beneidet ihr die Koſt der Hunde und Katzen, welche in vornehmen Haͤuſern auf weichen Polſtern ſchlafen, da ihr auf duͤrftigem Stroh eure Haͤnde zu Gott hinauf ringt!
Arme! denen jeder Winter ein verzehrender Krieg, oder eine Art von Peſt iſt, welche euch einſperrt! die ihr jetzt nicht das trau- rige Vermoͤgen zu betteln, nicht den Elenden Troſt habt, ein Stuͤck Brod von den harten Bedienten des noch haͤrtern Reichen zugeworfen zu bekommen: ich ſpreche jetzt bei euch ein, und will mich mit euch von euren beweinenswuͤrdigen Umſtaͤnden unter- halten. Jedoch, euer keichender und wuͤrgender Huſten beraubt euch auch des letzten Troſtes: euch zu beklagen. Nun ſo will ich denn ſagen, was ihr denkt. Gott hat ein ſchweres Gericht uͤber euch ergehen laſſen: ihr ſeyd von euren Bruͤdern, wie Joſeph ehedem, verrathen und verkauft. Jeder Trunkenbold, jede raſ- ſelnde Kutſche, jedes Luſtgeſchrei muß ein Dolch in euer Herz ſeyn, weil dadurch euer duͤrftiger und veraͤchtlicher Zuſtand einen ſcharfen und hebenden Schatten bekomt. Es iſt gur, daß ihrs nicht wißt, wie viel in den Kuͤchen der Reichen zu grunde geht,
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[51[81]/0088]
Der 25te Januar.
Auf hartem Lager frieren ſie;
Der truͤbe Morgen ruft ſie wieder
Zum Thraͤnenbrod! — Und wer ſind die?
Gott! deine Kinder ſinds, und meine Bruͤder!
Mit euch rede ich jetzt nicht, die ihr wahnwitzig genung ſeyd,
euer Vermoͤgen zu verſchlemmen, und im Gefaͤngniß eu-
rer Schuldherrn Gnade zu leben! Soltet ihr aber noch klug wer-
den, und eure jetzige Ausſchweifungen mit Arbeitſamkeit oder
Thraͤnen verguͤten: dann will ich euch doch noch in die Klaſſe mit-
leidenswerther Armen aufnehmen. Aber bei euch, doppelt Arme
im Winter! will ich jetzt einen Beſuch abſtatten. Arbeiten
koͤnt ihr nicht, und bei duͤrrem Brod und Waſſer beneidet ihr
die Koſt der Hunde und Katzen, welche in vornehmen Haͤuſern
auf weichen Polſtern ſchlafen, da ihr auf duͤrftigem Stroh eure
Haͤnde zu Gott hinauf ringt!
Arme! denen jeder Winter ein verzehrender Krieg, oder eine
Art von Peſt iſt, welche euch einſperrt! die ihr jetzt nicht das trau-
rige Vermoͤgen zu betteln, nicht den Elenden Troſt habt, ein
Stuͤck Brod von den harten Bedienten des noch haͤrtern Reichen
zugeworfen zu bekommen: ich ſpreche jetzt bei euch ein, und will
mich mit euch von euren beweinenswuͤrdigen Umſtaͤnden unter-
halten. Jedoch, euer keichender und wuͤrgender Huſten beraubt
euch auch des letzten Troſtes: euch zu beklagen. Nun ſo will ich
denn ſagen, was ihr denkt. Gott hat ein ſchweres Gericht uͤber
euch ergehen laſſen: ihr ſeyd von euren Bruͤdern, wie Joſeph
ehedem, verrathen und verkauft. Jeder Trunkenbold, jede raſ-
ſelnde Kutſche, jedes Luſtgeſchrei muß ein Dolch in euer Herz
ſeyn, weil dadurch euer duͤrftiger und veraͤchtlicher Zuſtand einen
ſcharfen und hebenden Schatten bekomt. Es iſt gur, daß ihrs
nicht wißt, wie viel in den Kuͤchen der Reichen zu grunde geht,
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 51[81]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/88>, abgerufen am 27.11.2024.
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