Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

mithin für Vermehrung ihres Geldes. Wiederum: je mehr
die Leiter der wirklichen Arbeit oder Production, als
Eigenthümer der Erde und der übrigen materiellen Fac-
toren, als Eigenthümer auch der Arbeiter oder ein-
gekaufter Arbeitskräfte, solches Geschäft durchaus in
Absicht auf Reinertrag oder Mehrwerth betreiben, desto
mehr werden sie selber zu einer blossen Abtheilung
von Kaufleuten, sei es, dass diese unter oder über dem
eigentlichen Handel oder auf gleicher Höhe mit dem-
selben zu agiren scheine, in vielen Interessen mit ihm über-
einstimmend, in anderen ihm entgegengesetzt. Beide Klassen
sind die Ansammler eines flüssigen, beweglichen Geldreich-
thums, der als fortwährend durch seine Anwendung zu
productiven oder Handelszwecken sich vermehrend Kapital-
reichthum heisst. Das Kapital aber stellt sein Wesen zuerst
als die Auslage und das aufs Spiel gesetzte Opfer des
Kaufmanns dar, welcher auf dem billigsten Markte Waaren
einkauft und auf dem theuersten Markte derselben Waaren
sich zu entledigen bemüht ist. -- Jeder Verkäufer, welcher
Producte eigener Arbeit feil hält, kann als ein Kaufmann
gedacht werden, insofern als er gleich einem solchen
agirt, und das Verhältniss seines errungenen Preises zu
seinen Auslagen berechnet. Aber: er wird die Differenz
als das Aequivalent seiner Thätigkeit rechnen, durch
welche in Wahrheit neuer Werth hervorgebracht worden
ist. Sofern also solches Aequivalent als wirkliches und gül-
tiges gesetzt werden kann, so nimmt er aus dem gleichen
Markte nicht mehr heraus, als er hineingegeben hat. Und
wenn gegenseitiger Austausch nur zwischen solchen Ver-
käufern stattfinden würde (wie der Begriff des entwickelten
gemeinschaftlichen Wesens unterstellt hat), so könnte
dieser allerdings als gesellschaftlicher Verkehr sich dar-
stellen, indem jeder in unbegrenztes Gebiet, um höchst-
möglichen Preis zu erlangen, hinausstreben mag; als end-
liches Ergebniss muss jedoch die Aufhebung dieser Be-
strebung durch gleiche und entgegengesetzte begriffen wer-
den, wie sehr auch die empirische Erscheinung Uebervor-
theilung des einen Verkäufers durch den anderen zeigen
möchte (was um so weniger der Fall sein kann, je mehr

Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. 5

mithin für Vermehrung ihres Geldes. Wiederum: je mehr
die Leiter der wirklichen Arbeit oder Production, als
Eigenthümer der Erde und der übrigen materiellen Fac-
toren, als Eigenthümer auch der Arbeiter oder ein-
gekaufter Arbeitskräfte, solches Geschäft durchaus in
Absicht auf Reinertrag oder Mehrwerth betreiben, desto
mehr werden sie selber zu einer blossen Abtheilung
von Kaufleuten, sei es, dass diese unter oder über dem
eigentlichen Handel oder auf gleicher Höhe mit dem-
selben zu agiren scheine, in vielen Interessen mit ihm über-
einstimmend, in anderen ihm entgegengesetzt. Beide Klassen
sind die Ansammler eines flüssigen, beweglichen Geldreich-
thums, der als fortwährend durch seine Anwendung zu
productiven oder Handelszwecken sich vermehrend Kapital-
reichthum heisst. Das Kapital aber stellt sein Wesen zuerst
als die Auslage und das aufs Spiel gesetzte Opfer des
Kaufmanns dar, welcher auf dem billigsten Markte Waaren
einkauft und auf dem theuersten Markte derselben Waaren
sich zu entledigen bemüht ist. — Jeder Verkäufer, welcher
Producte eigener Arbeit feil hält, kann als ein Kaufmann
gedacht werden, insofern als er gleich einem solchen
agirt, und das Verhältniss seines errungenen Preises zu
seinen Auslagen berechnet. Aber: er wird die Differenz
als das Aequivalent seiner Thätigkeit rechnen, durch
welche in Wahrheit neuer Werth hervorgebracht worden
ist. Sofern also solches Aequivalent als wirkliches und gül-
tiges gesetzt werden kann, so nimmt er aus dem gleichen
Markte nicht mehr heraus, als er hineingegeben hat. Und
wenn gegenseitiger Austausch nur zwischen solchen Ver-
käufern stattfinden würde (wie der Begriff des entwickelten
gemeinschaftlichen Wesens unterstellt hat), so könnte
dieser allerdings als gesellschaftlicher Verkehr sich dar-
stellen, indem jeder in unbegrenztes Gebiet, um höchst-
möglichen Preis zu erlangen, hinausstreben mag; als end-
liches Ergebniss muss jedoch die Aufhebung dieser Be-
strebung durch gleiche und entgegengesetzte begriffen wer-
den, wie sehr auch die empirische Erscheinung Uebervor-
theilung des einen Verkäufers durch den anderen zeigen
möchte (was um so weniger der Fall sein kann, je mehr

Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0101" n="65"/>
mithin für Vermehrung ihres Geldes. Wiederum: je mehr<lb/>
die Leiter der wirklichen Arbeit oder Production, als<lb/>
Eigenthümer der Erde und der übrigen materiellen Fac-<lb/>
toren, als Eigenthümer auch der Arbeiter oder ein-<lb/>
gekaufter Arbeitskräfte, solches Geschäft durchaus in<lb/>
Absicht auf Reinertrag oder Mehrwerth betreiben, desto<lb/>
mehr werden sie selber zu einer blossen Abtheilung<lb/>
von Kaufleuten, sei es, dass diese unter oder über dem<lb/>
eigentlichen Handel oder auf gleicher Höhe mit dem-<lb/>
selben zu agiren scheine, in vielen Interessen mit ihm über-<lb/>
einstimmend, in anderen ihm entgegengesetzt. Beide Klassen<lb/>
sind die Ansammler eines flüssigen, beweglichen Geldreich-<lb/>
thums, der als fortwährend durch seine Anwendung zu<lb/>
productiven oder Handelszwecken sich vermehrend Kapital-<lb/>
reichthum heisst. Das Kapital aber stellt sein Wesen zuerst<lb/>
als die Auslage und das aufs Spiel gesetzte Opfer des<lb/>
Kaufmanns dar, welcher auf dem billigsten Markte Waaren<lb/>
einkauft und auf dem theuersten Markte derselben Waaren<lb/>
sich zu entledigen bemüht ist. &#x2014; Jeder Verkäufer, welcher<lb/>
Producte eigener <hi rendition="#g">Arbeit</hi> feil hält, kann als ein Kaufmann<lb/><hi rendition="#g">gedacht</hi> werden, insofern als er gleich einem solchen<lb/>
agirt, und das Verhältniss seines errungenen Preises zu<lb/>
seinen Auslagen berechnet. Aber: <hi rendition="#g">er</hi> wird die <hi rendition="#g">Differenz</hi><lb/>
als das Aequivalent seiner <hi rendition="#g">Thätigkeit</hi> rechnen, durch<lb/>
welche in Wahrheit <hi rendition="#g">neuer</hi> Werth hervorgebracht worden<lb/>
ist. Sofern also solches Aequivalent als wirkliches und gül-<lb/>
tiges gesetzt werden kann, so nimmt er aus dem gleichen<lb/>
Markte nicht mehr heraus, als er hineingegeben hat. Und<lb/>
wenn gegenseitiger Austausch nur zwischen solchen Ver-<lb/>
käufern stattfinden würde (wie der Begriff des entwickelten<lb/><hi rendition="#g">gemeinschaftlichen</hi> Wesens unterstellt hat), so könnte<lb/>
dieser allerdings als gesellschaftlicher Verkehr sich dar-<lb/>
stellen, indem jeder in unbegrenztes Gebiet, um höchst-<lb/>
möglichen Preis zu erlangen, hinausstreben mag; als end-<lb/>
liches Ergebniss muss jedoch die Aufhebung dieser Be-<lb/>
strebung durch gleiche und entgegengesetzte begriffen wer-<lb/>
den, wie sehr auch die empirische Erscheinung Uebervor-<lb/>
theilung des einen Verkäufers durch den anderen zeigen<lb/>
möchte (was um so weniger der Fall sein kann, je mehr<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Tönnies</hi>, Gemeinschaft und Gesellschaft. 5</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0101] mithin für Vermehrung ihres Geldes. Wiederum: je mehr die Leiter der wirklichen Arbeit oder Production, als Eigenthümer der Erde und der übrigen materiellen Fac- toren, als Eigenthümer auch der Arbeiter oder ein- gekaufter Arbeitskräfte, solches Geschäft durchaus in Absicht auf Reinertrag oder Mehrwerth betreiben, desto mehr werden sie selber zu einer blossen Abtheilung von Kaufleuten, sei es, dass diese unter oder über dem eigentlichen Handel oder auf gleicher Höhe mit dem- selben zu agiren scheine, in vielen Interessen mit ihm über- einstimmend, in anderen ihm entgegengesetzt. Beide Klassen sind die Ansammler eines flüssigen, beweglichen Geldreich- thums, der als fortwährend durch seine Anwendung zu productiven oder Handelszwecken sich vermehrend Kapital- reichthum heisst. Das Kapital aber stellt sein Wesen zuerst als die Auslage und das aufs Spiel gesetzte Opfer des Kaufmanns dar, welcher auf dem billigsten Markte Waaren einkauft und auf dem theuersten Markte derselben Waaren sich zu entledigen bemüht ist. — Jeder Verkäufer, welcher Producte eigener Arbeit feil hält, kann als ein Kaufmann gedacht werden, insofern als er gleich einem solchen agirt, und das Verhältniss seines errungenen Preises zu seinen Auslagen berechnet. Aber: er wird die Differenz als das Aequivalent seiner Thätigkeit rechnen, durch welche in Wahrheit neuer Werth hervorgebracht worden ist. Sofern also solches Aequivalent als wirkliches und gül- tiges gesetzt werden kann, so nimmt er aus dem gleichen Markte nicht mehr heraus, als er hineingegeben hat. Und wenn gegenseitiger Austausch nur zwischen solchen Ver- käufern stattfinden würde (wie der Begriff des entwickelten gemeinschaftlichen Wesens unterstellt hat), so könnte dieser allerdings als gesellschaftlicher Verkehr sich dar- stellen, indem jeder in unbegrenztes Gebiet, um höchst- möglichen Preis zu erlangen, hinausstreben mag; als end- liches Ergebniss muss jedoch die Aufhebung dieser Be- strebung durch gleiche und entgegengesetzte begriffen wer- den, wie sehr auch die empirische Erscheinung Uebervor- theilung des einen Verkäufers durch den anderen zeigen möchte (was um so weniger der Fall sein kann, je mehr Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/101
Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/101>, abgerufen am 22.11.2024.