angenehmere: also zur Aufbewahrung oder zum Genusse tauglichere Form zu verwandeln; wenn es auch erfolgt, dass die Geldform, wo sie zu haben ist, vorgezogen wird, als die verkörperte Freiheit der Auswahl und Eintheilung zukünftigen Gebrauches. In der That ist dann immer ein möglicher Gebrauch jene Anwendung, durch welche sich Geld von selbst vermehrt; und wenn einmal solche Ver- mehrung als absoluter Zweck gedacht und gesetzt wird, so kann nur zwischen Wucher und Handel, als den einfachsten und leichtesten Methoden, die Wahl schwanken. Aber wenn auch Wünsche und Versuche nicht fehlen, so ist doch die Gelegenheit und das Gelingen solcher Thätigkeiten oder der Betheiligung daran, an viele besondere Bedingungen geknüpft. Hingegen die Vermehrung des Geldes als Arbeits- Ertrages ist durch Stoff und Werkzeuge der Arbeit, wie durch die eigene Arbeits-Kraft und Kunst begrenzt. Und jeder solcher Ertrag kann, auch wenn als lauter Geld er- scheinend, füglich angesehen werden als der natürliche Lohn und Preis, welchen das "Volk" (oder wie immer man diesen Begriff der Gemeinschaft ausdrücken mag) seinem Arbeiter zur Erhaltung und Förderung gegenwärtigen und zukünf- tigen Lebens gewährt: also in Wahrheit bestehend aus Nahrung, Wohnung, Kleidung und allen möglichen Dingen, die ihm nützlich oder erfreulich sein mögen. Aber das Volk ist wahnwitzig, wenn es irgend einem, wenn auch noch so raren und werthvollen Diener eine Menge Geldes zu dem Zwecke hingibt, dass er ihm Waaren dafür abkaufe, welche es selber (das Volk) von diesem Trefflichen um eine grössere Menge Geldes wieder zurückkaufen muss. Des- halb ist diese ganze Betrachtung der Wirklichkeit, welche wir als Gesellschaft verstehen, inadäquat. Die Kaufleute oder Kapitalisten (Inhaber von Geld, das durch doppelten Tausch vermehrbar ist) sind die natürlichen Herren und Gebieter der Gesellschaft. Die Gesellschaft existirt um ihretwillen. Sie ist ihr Werkzeug. Alle Nicht-Kapitalisten innerhalb der Gesellschaft sind entweder selbst todten Werk- zeugen gleich -- dies ist der vollkommene Begriff der Sklaverei -- sie sind im Rechte Nullen, d. i. werden als keiner eigenen Willkür, daher keiner in dem Systeme gül-
angenehmere: also zur Aufbewahrung oder zum Genusse tauglichere Form zu verwandeln; wenn es auch erfolgt, dass die Geldform, wo sie zu haben ist, vorgezogen wird, als die verkörperte Freiheit der Auswahl und Eintheilung zukünftigen Gebrauches. In der That ist dann immer ein möglicher Gebrauch jene Anwendung, durch welche sich Geld von selbst vermehrt; und wenn einmal solche Ver- mehrung als absoluter Zweck gedacht und gesetzt wird, so kann nur zwischen Wucher und Handel, als den einfachsten und leichtesten Methoden, die Wahl schwanken. Aber wenn auch Wünsche und Versuche nicht fehlen, so ist doch die Gelegenheit und das Gelingen solcher Thätigkeiten oder der Betheiligung daran, an viele besondere Bedingungen geknüpft. Hingegen die Vermehrung des Geldes als Arbeits- Ertrages ist durch Stoff und Werkzeuge der Arbeit, wie durch die eigene Arbeits-Kraft und Kunst begrenzt. Und jeder solcher Ertrag kann, auch wenn als lauter Geld er- scheinend, füglich angesehen werden als der natürliche Lohn und Preis, welchen das »Volk« (oder wie immer man diesen Begriff der Gemeinschaft ausdrücken mag) seinem Arbeiter zur Erhaltung und Förderung gegenwärtigen und zukünf- tigen Lebens gewährt: also in Wahrheit bestehend aus Nahrung, Wohnung, Kleidung und allen möglichen Dingen, die ihm nützlich oder erfreulich sein mögen. Aber das Volk ist wahnwitzig, wenn es irgend einem, wenn auch noch so raren und werthvollen Diener eine Menge Geldes zu dem Zwecke hingibt, dass er ihm Waaren dafür abkaufe, welche es selber (das Volk) von diesem Trefflichen um eine grössere Menge Geldes wieder zurückkaufen muss. Des- halb ist diese ganze Betrachtung der Wirklichkeit, welche wir als Gesellschaft verstehen, inadäquat. Die Kaufleute oder Kapitalisten (Inhaber von Geld, das durch doppelten Tausch vermehrbar ist) sind die natürlichen Herren und Gebieter der Gesellschaft. Die Gesellschaft existirt um ihretwillen. Sie ist ihr Werkzeug. Alle Nicht-Kapitalisten innerhalb der Gesellschaft sind entweder selbst todten Werk- zeugen gleich — dies ist der vollkommene Begriff der Sklaverei — sie sind im Rechte Nullen, d. i. werden als keiner eigenen Willkür, daher keiner in dem Systeme gül-
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angenehmere: also zur Aufbewahrung oder zum Genusse
tauglichere Form zu verwandeln; wenn es auch erfolgt,
dass die Geldform, wo sie zu haben ist, vorgezogen wird,
als die verkörperte Freiheit der Auswahl und Eintheilung
zukünftigen Gebrauches. In der That ist dann immer ein
möglicher Gebrauch jene Anwendung, durch welche sich
Geld von selbst vermehrt; und wenn einmal solche Ver-
mehrung als absoluter Zweck gedacht und gesetzt wird, so
kann nur zwischen Wucher und Handel, als den einfachsten
und leichtesten Methoden, die Wahl schwanken. Aber
wenn auch Wünsche und Versuche nicht fehlen, so ist doch
die Gelegenheit und das Gelingen solcher Thätigkeiten oder
der Betheiligung daran, an viele besondere Bedingungen
geknüpft. Hingegen die Vermehrung des Geldes als Arbeits-
Ertrages ist durch Stoff und Werkzeuge der Arbeit, wie
durch die eigene Arbeits-Kraft und Kunst begrenzt. Und
jeder solcher Ertrag kann, auch wenn als lauter Geld er-
scheinend, füglich angesehen werden als der natürliche Lohn
und Preis, welchen das »Volk« (oder wie immer man diesen
Begriff der Gemeinschaft ausdrücken mag) seinem Arbeiter
zur Erhaltung und Förderung gegenwärtigen und zukünf-
tigen Lebens gewährt: also in Wahrheit bestehend aus
Nahrung, Wohnung, Kleidung und allen möglichen Dingen,
die ihm nützlich oder erfreulich sein mögen. Aber das
Volk ist wahnwitzig, wenn es irgend einem, wenn auch
noch so raren und werthvollen Diener eine Menge Geldes
zu dem Zwecke hingibt, dass er ihm Waaren dafür abkaufe,
welche es selber (das Volk) von diesem Trefflichen um eine
grössere Menge Geldes wieder zurückkaufen muss. Des-
halb ist diese ganze Betrachtung der Wirklichkeit, welche
wir als Gesellschaft verstehen, inadäquat. Die Kaufleute
oder Kapitalisten (Inhaber von Geld, das durch doppelten
Tausch vermehrbar ist) sind die natürlichen Herren und
Gebieter der Gesellschaft. Die Gesellschaft existirt um
ihretwillen. Sie ist ihr Werkzeug. Alle Nicht-Kapitalisten
innerhalb der Gesellschaft sind entweder selbst todten Werk-
zeugen gleich — dies ist der vollkommene Begriff der
Sklaverei — sie sind im Rechte Nullen, d. i. werden als
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/106>, abgerufen am 23.11.2024.
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