wickelnd, welcher die (psychische wie physische) Bestimmt- heit in sich birgt, wie sie durch Verbindung der den Er- zeugern entsprossenen Zellen geschaffen wurde. So ist er, seinem Ursprunge nach, als ein angeborener und ererbter zu verstehen, welcher jedoch, in der Vermischung väter- licher und mütterlicher Anlagen und zugleich in der Be- sonderheit umgebender Umstände, welche auf ihn wirken, die Principien hat, aus denen er, als ein neuer und diffe- renter, wenigstens in gewisse Modificationen sich zu ent- falten vermag. Seine Ausbildung entspricht jeder Phase der leiblichen Entwicklung; so viel Kraft und Einheit als im Organismus ist, so viel Kraft und Einheit ist in ihm. Wie jener in seinem Werden als ein selbst-thätiger ver- standen werden muss, so die Entstehung des Wesenwillens. Solches Werden aber erschliesst sich der Erkenntniss als eine in unbeschreiblichem Maasse beschleunigte Bewegung, durch Kräfte, die sich fortwährend vermehrt und mannig- faltiger gebildet haben, durch alle Geburtenfolgen, welche dieses einzelne Wesen mit den anfänglichen Gestalten or- ganischer Materie verknüpfen mögen. Jene machen die eigene Arbeit des Leibes-Willens, je näher seinem Ur- sprunge, desto mehr zur verschwindenden (sich gegenüber), welche gleichwohl geleistet wird, und im Uebrigen unter Bedingungen, die in der Umgebung gelegen sind. Mehr und mehr treten aber diese als unterschieden von den inne- ren Tendenzen hervor, und dann erst lassen sich Verände- rungen beobachten, welche (in relativer Unabhängigkeit von den Potenzen der Vorfahren) gleichsam aus eigenen Mitteln bestritten werden. Diese, beim Embryo fast gleich Null, sind beim Kinde bedeutend, und steigern zich -- allgemein gesprochen -- in gleichem Schritte mit dem Alter. Wenn also auch Wille in jedem Momente der Zeit ein anderer ist gleichwie der Leib, so kann doch nach dieser Betrachtung seine individuelle Entstehung selber als eine Succession von Willensacten gedacht werden, deren jeder alle vorhergehen- den -- als welche zusammen die so weit fertige organische Kraft ausmachen -- und eine gewisse Beschaffenheit äusserer Reize voraussetzt. Alle vorhergehenden -- bis zurück auf die anfängliche Anlage, den Urwillen, welcher sie alle, in
wickelnd, welcher die (psychische wie physische) Bestimmt- heit in sich birgt, wie sie durch Verbindung der den Er- zeugern entsprossenen Zellen geschaffen wurde. So ist er, seinem Ursprunge nach, als ein angeborener und ererbter zu verstehen, welcher jedoch, in der Vermischung väter- licher und mütterlicher Anlagen und zugleich in der Be- sonderheit umgebender Umstände, welche auf ihn wirken, die Principien hat, aus denen er, als ein neuer und diffe- renter, wenigstens in gewisse Modificationen sich zu ent- falten vermag. Seine Ausbildung entspricht jeder Phase der leiblichen Entwicklung; so viel Kraft und Einheit als im Organismus ist, so viel Kraft und Einheit ist in ihm. Wie jener in seinem Werden als ein selbst-thätiger ver- standen werden muss, so die Entstehung des Wesenwillens. Solches Werden aber erschliesst sich der Erkenntniss als eine in unbeschreiblichem Maasse beschleunigte Bewegung, durch Kräfte, die sich fortwährend vermehrt und mannig- faltiger gebildet haben, durch alle Geburtenfolgen, welche dieses einzelne Wesen mit den anfänglichen Gestalten or- ganischer Materie verknüpfen mögen. Jene machen die eigene Arbeit des Leibes-Willens, je näher seinem Ur- sprunge, desto mehr zur verschwindenden (sich gegenüber), welche gleichwohl geleistet wird, und im Uebrigen unter Bedingungen, die in der Umgebung gelegen sind. Mehr und mehr treten aber diese als unterschieden von den inne- ren Tendenzen hervor, und dann erst lassen sich Verände- rungen beobachten, welche (in relativer Unabhängigkeit von den Potenzen der Vorfahren) gleichsam aus eigenen Mitteln bestritten werden. Diese, beim Embryo fast gleich Null, sind beim Kinde bedeutend, und steigern zich — allgemein gesprochen — in gleichem Schritte mit dem Alter. Wenn also auch Wille in jedem Momente der Zeit ein anderer ist gleichwie der Leib, so kann doch nach dieser Betrachtung seine individuelle Entstehung selber als eine Succession von Willensacten gedacht werden, deren jeder alle vorhergehen- den — als welche zusammen die so weit fertige organische Kraft ausmachen — und eine gewisse Beschaffenheit äusserer Reize voraussetzt. Alle vorhergehenden — bis zurück auf die anfängliche Anlage, den Urwillen, welcher sie alle, in
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wickelnd, welcher die (psychische wie physische) Bestimmt-
heit in sich birgt, wie sie durch Verbindung der den Er-
zeugern entsprossenen Zellen geschaffen wurde. So ist er,
seinem Ursprunge nach, als ein angeborener und ererbter
zu verstehen, welcher jedoch, in der Vermischung väter-
licher und mütterlicher Anlagen und zugleich in der Be-
sonderheit umgebender Umstände, welche auf ihn wirken,
die Principien hat, aus denen er, als ein neuer und diffe-
renter, wenigstens in gewisse Modificationen sich zu ent-
falten vermag. Seine Ausbildung entspricht jeder Phase
der leiblichen Entwicklung; so viel Kraft und Einheit als
im Organismus ist, so viel Kraft und Einheit ist in ihm.
Wie jener in seinem Werden als ein selbst-thätiger ver-
standen werden muss, so die Entstehung des Wesenwillens.
Solches Werden aber erschliesst sich der Erkenntniss als
eine in unbeschreiblichem Maasse beschleunigte Bewegung,
durch Kräfte, die sich fortwährend vermehrt und mannig-
faltiger gebildet haben, durch alle Geburtenfolgen, welche
dieses einzelne Wesen mit den anfänglichen Gestalten or-
ganischer Materie verknüpfen mögen. Jene machen die
eigene Arbeit des Leibes-Willens, je näher seinem Ur-
sprunge, desto mehr zur verschwindenden (sich gegenüber),
welche gleichwohl geleistet wird, und im Uebrigen unter
Bedingungen, die in der Umgebung gelegen sind. Mehr
und mehr treten aber diese als unterschieden von den inne-
ren Tendenzen hervor, und dann erst lassen sich Verände-
rungen beobachten, welche (in relativer Unabhängigkeit von
den Potenzen der Vorfahren) gleichsam aus eigenen Mitteln
bestritten werden. Diese, beim Embryo fast gleich Null,
sind beim Kinde bedeutend, und steigern zich — allgemein
gesprochen — in gleichem Schritte mit dem Alter. Wenn
also auch Wille in jedem Momente der Zeit ein anderer ist
gleichwie der Leib, so kann doch nach dieser Betrachtung
seine individuelle Entstehung selber als eine Succession von
Willensacten gedacht werden, deren jeder alle vorhergehen-
den — als welche zusammen die so weit fertige organische
Kraft ausmachen — und eine gewisse Beschaffenheit äusserer
Reize voraussetzt. Alle vorhergehenden — bis zurück auf
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/138>, abgerufen am 24.11.2024.
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