Unsere Gefühle werden aber, bei denkender An- schauung, durch das Verhalten der Menschen in ähnlicher Weise afficirt, wie durch äussere Gegenstände; nämlich nicht blos so, dass Bejahung und Verneinung in uns erregt wird, sondern die psychischen Zustände und Geschehnisse selber werden auf eine Weise beurtheilt, als ob die Empfin- dungen denen des Tast- und Temperatursinnes, d. i. der allge- meinsten Arten unterscheidenden Gefühles überhaupt, gleich- artig wären. Denn die Gegensätze des Flüssigen und Trockenen, des Weichen und Harten, des Warmen und Kalten, pflegen (wenn auch nicht gleichmässig) in popularer Rede auf die Unterschiede menschlichen Wesens und Be- tragens angewandt zu werden. Das Flüssige (Strömende), Weiche und Warme wird den "Gefühlen" zugeschrieben; von solcher Art ist die Materie, sofern sie reich an innerer Bewegung ist: daher die individuelle und organi- sirte, wie denn auch das Leben mit einem Strome und mit der Flamme oft verglichen wird; und plastische Weichheit ist allgemeinste Eigenschaft der Zellsubstanz. Hingegen müssen die letzten Partikel des Stoffes, welche die Träger mechanischer Wirkungen sind, absolut fest, hart und kalt, der inneren Bewegung bar, gedacht werden. So wird auch das blosse Denken und der Verstand empfunden; so auch sein Stoff und was er daraus hervorbringt. Also ist zu verstehen, wie ein Temperament u. s. w., worin die Gestalten des Wesenwillens überwiegen, mit den ersteren Prädicaten, wenn aber die Gestalten der Willkür, mit den entgegen- gesetzten belegt werden könne. Denn was im Wesenwillen enthalten ist und aus ihm hervorgeht, muss ihm selber gleich sein; und gedachte Actionen sind die Elemente, aus denen die Willkür zusammengesetzt wird. Dort ist das Concrete und Ursprüngliche (die Originalität) der Individuen: was schon als Naturell eine allgemeine Bezeichnung er- fahren hat. Hier ist das Abstracte und Gemachte, das Schablonenhafte und Modellirte: und dies ist, was wir als Apparat verstehen wollten. Temperament, Charakter, Denkungsart, sofern sie dem Naturell entsprechen, sind selber natürlich; sofern dem Apparat, künstlich; sind
§ 26.
Unsere Gefühle werden aber, bei denkender An- schauung, durch das Verhalten der Menschen in ähnlicher Weise afficirt, wie durch äussere Gegenstände; nämlich nicht blos so, dass Bejahung und Verneinung in uns erregt wird, sondern die psychischen Zustände und Geschehnisse selber werden auf eine Weise beurtheilt, als ob die Empfin- dungen denen des Tast- und Temperatursinnes, d. i. der allge- meinsten Arten unterscheidenden Gefühles überhaupt, gleich- artig wären. Denn die Gegensätze des Flüssigen und Trockenen, des Weichen und Harten, des Warmen und Kalten, pflegen (wenn auch nicht gleichmässig) in popularer Rede auf die Unterschiede menschlichen Wesens und Be- tragens angewandt zu werden. Das Flüssige (Strömende), Weiche und Warme wird den »Gefühlen« zugeschrieben; von solcher Art ist die Materie, sofern sie reich an innerer Bewegung ist: daher die individuelle und organi- sirte, wie denn auch das Leben mit einem Strome und mit der Flamme oft verglichen wird; und plastische Weichheit ist allgemeinste Eigenschaft der Zellsubstanz. Hingegen müssen die letzten Partikel des Stoffes, welche die Träger mechanischer Wirkungen sind, absolut fest, hart und kalt, der inneren Bewegung bar, gedacht werden. So wird auch das blosse Denken und der Verstand empfunden; so auch sein Stoff und was er daraus hervorbringt. Also ist zu verstehen, wie ein Temperament u. s. w., worin die Gestalten des Wesenwillens überwiegen, mit den ersteren Prädicaten, wenn aber die Gestalten der Willkür, mit den entgegen- gesetzten belegt werden könne. Denn was im Wesenwillen enthalten ist und aus ihm hervorgeht, muss ihm selber gleich sein; und gedachte Actionen sind die Elemente, aus denen die Willkür zusammengesetzt wird. Dort ist das Concrete und Ursprüngliche (die Originalität) der Individuen: was schon als Naturell eine allgemeine Bezeichnung er- fahren hat. Hier ist das Abstracte und Gemachte, das Schablonenhafte und Modellirte: und dies ist, was wir als Apparat verstehen wollten. Temperament, Charakter, Denkungsart, sofern sie dem Naturell entsprechen, sind selber natürlich; sofern dem Apparat, künstlich; sind
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§ 26.
Unsere Gefühle werden aber, bei denkender An-
schauung, durch das Verhalten der Menschen in ähnlicher
Weise afficirt, wie durch äussere Gegenstände; nämlich
nicht blos so, dass Bejahung und Verneinung in uns erregt
wird, sondern die psychischen Zustände und Geschehnisse
selber werden auf eine Weise beurtheilt, als ob die Empfin-
dungen denen des Tast- und Temperatursinnes, d. i. der allge-
meinsten Arten unterscheidenden Gefühles überhaupt, gleich-
artig wären. Denn die Gegensätze des Flüssigen und
Trockenen, des Weichen und Harten, des Warmen und
Kalten, pflegen (wenn auch nicht gleichmässig) in popularer
Rede auf die Unterschiede menschlichen Wesens und Be-
tragens angewandt zu werden. Das Flüssige (Strömende),
Weiche und Warme wird den »Gefühlen« zugeschrieben;
von solcher Art ist die Materie, sofern sie reich an
innerer Bewegung ist: daher die individuelle und organi-
sirte, wie denn auch das Leben mit einem Strome und mit
der Flamme oft verglichen wird; und plastische Weichheit
ist allgemeinste Eigenschaft der Zellsubstanz. Hingegen
müssen die letzten Partikel des Stoffes, welche die Träger
mechanischer Wirkungen sind, absolut fest, hart und kalt,
der inneren Bewegung bar, gedacht werden. So wird auch
das blosse Denken und der Verstand empfunden; so auch
sein Stoff und was er daraus hervorbringt. Also ist zu
verstehen, wie ein Temperament u. s. w., worin die Gestalten
des Wesenwillens überwiegen, mit den ersteren Prädicaten,
wenn aber die Gestalten der Willkür, mit den entgegen-
gesetzten belegt werden könne. Denn was im Wesenwillen
enthalten ist und aus ihm hervorgeht, muss ihm selber
gleich sein; und gedachte Actionen sind die Elemente, aus
denen die Willkür zusammengesetzt wird. Dort ist das
Concrete und Ursprüngliche (die Originalität) der Individuen:
was schon als Naturell eine allgemeine Bezeichnung er-
fahren hat. Hier ist das Abstracte und Gemachte, das
Schablonenhafte und Modellirte: und dies ist, was wir als
Apparat verstehen wollten. Temperament, Charakter,
Denkungsart, sofern sie dem Naturell entsprechen, sind
selber natürlich; sofern dem Apparat, künstlich; sind
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/191>, abgerufen am 21.11.2024.
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