Mystikers ist ein recht frauenhafter Gedanke. Alle ihre Thätigkeit ist mehr ein Schaffen nach innen als ein Wirken nach aussen. Dessen Zweck ist an ihm selber, und nicht an seinem Ende. Darum scheinen die persön- lichen Dienste so sehr des Weibes Bestimmung zu sein, als welche sich in ihrem Dasein vollenden und nicht ein- mal eine Sache als ihr Ergebniss haben können. So stehen auch viele Arbeiten des Ackerbaues dem Weib wohl an, und sind von je, in gesundesten Volkszuständen, wenn auch oft im Uebermaasse, ihmzugefallen; denn Acker- bau ist Arbeit schlechthin, ihrer selbst vergessene Mühe, durch des Himmels Hauch angeregter Kraft; kann als eine Dienstleistung an die Natur verstanden werden; dem Haus- halte unmittelbar nahe und an Segen für ihn fruchtbar. Ferner aber sind unter den Künsten die redenden weib- licher als die bildenden; man sollte sagen: die tönenden. Denn Musik, Gesang vor Allem, ist des Weibes Gabe; seine hohe helle, weiche und geschmeidige Stimme ist Organ der Vertheidigung und des Angriffs. Schreien und Kreischen, Jubeln und Wehklagen, wie alles klangreiche, endlich in Worten sich ergiessende Lachen und Weinen, bricht ihm wie aus Felsen das Quellwasser aus der Seele. Und das ist Musik, der laute, wie Mimik der stumme Ausdruck der Gemüthsbewegung. Alle Musen sind Weiber und Ge- dächtniss ist ihre Mutter. Zwischen Musik und Mimik mitten inne steht der Tanz, jene so zwecklosen, so leiden- schaftlichen und so anmuthigen Bewegungen, in welchen auch die Tochter einer weichlichen Bildung Kräfte entwickelt, deren planmässige Anstrengung ihr Todesmüdheit zu bringen gewiss wäre. Aber wie leicht lernen sie auch alles Unsinnig- Liebliche, Sinnreich-Wunderbare. Daher ihre Behaltsamkeit für Formen, Riten, für alte Weisen und Sprüchwörter, für Räthsel und Zauber, für tragische und komische Geschichten; ihr Hang zur Nachahmung, ihre Lust an gefälliger Ver- stellung und zu allem Spielerischen, Reizenden, Einfältigen; aber auch die Neigung und Stimmung zu tiefstem schwer- müthigem Ernste, zu frommem Schauder und zum Gebet, zur ahnungsvollen Geberde, und, wie früher gesagt ward, zum Träumen, Sinnen und Dichten. Gesang und Dichtung sind in Ursprüngen Eins; aber auch Gesang und Rede
Mystikers ist ein recht frauenhafter Gedanke. Alle ihre Thätigkeit ist mehr ein Schaffen nach innen als ein Wirken nach aussen. Dessen Zweck ist an ihm selber, und nicht an seinem Ende. Darum scheinen die persön- lichen Dienste so sehr des Weibes Bestimmung zu sein, als welche sich in ihrem Dasein vollenden und nicht ein- mal eine Sache als ihr Ergebniss haben können. So stehen auch viele Arbeiten des Ackerbaues dem Weib wohl an, und sind von je, in gesundesten Volkszuständen, wenn auch oft im Uebermaasse, ihmzugefallen; denn Acker- bau ist Arbeit schlechthin, ihrer selbst vergessene Mühe, durch des Himmels Hauch angeregter Kraft; kann als eine Dienstleistung an die Natur verstanden werden; dem Haus- halte unmittelbar nahe und an Segen für ihn fruchtbar. Ferner aber sind unter den Künsten die redenden weib- licher als die bildenden; man sollte sagen: die tönenden. Denn Musik, Gesang vor Allem, ist des Weibes Gabe; seine hohe helle, weiche und geschmeidige Stimme ist Organ der Vertheidigung und des Angriffs. Schreien und Kreischen, Jubeln und Wehklagen, wie alles klangreiche, endlich in Worten sich ergiessende Lachen und Weinen, bricht ihm wie aus Felsen das Quellwasser aus der Seele. Und das ist Musik, der laute, wie Mimik der stumme Ausdruck der Gemüthsbewegung. Alle Musen sind Weiber und Ge- dächtniss ist ihre Mutter. Zwischen Musik und Mimik mitten inne steht der Tanz, jene so zwecklosen, so leiden- schaftlichen und so anmuthigen Bewegungen, in welchen auch die Tochter einer weichlichen Bildung Kräfte entwickelt, deren planmässige Anstrengung ihr Todesmüdheit zu bringen gewiss wäre. Aber wie leicht lernen sie auch alles Unsinnig- Liebliche, Sinnreich-Wunderbare. Daher ihre Behaltsamkeit für Formen, Riten, für alte Weisen und Sprüchwörter, für Räthsel und Zauber, für tragische und komische Geschichten; ihr Hang zur Nachahmung, ihre Lust an gefälliger Ver- stellung und zu allem Spielerischen, Reizenden, Einfältigen; aber auch die Neigung und Stimmung zu tiefstem schwer- müthigem Ernste, zu frommem Schauder und zum Gebet, zur ahnungsvollen Geberde, und, wie früher gesagt ward, zum Träumen, Sinnen und Dichten. Gesang und Dichtung sind in Ursprüngen Eins; aber auch Gesang und Rede
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Mystikers ist ein recht frauenhafter Gedanke. Alle ihre
Thätigkeit ist mehr ein Schaffen nach innen als ein
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und nicht an seinem Ende. Darum scheinen die persön-
lichen Dienste so sehr des Weibes Bestimmung zu sein,
als welche sich in ihrem Dasein vollenden und nicht ein-
mal eine Sache als ihr Ergebniss haben können. So
stehen auch viele Arbeiten des Ackerbaues dem Weib
wohl an, und sind von je, in gesundesten Volkszuständen,
wenn auch oft im Uebermaasse, ihmzugefallen; denn Acker-
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durch des Himmels Hauch angeregter Kraft; kann als eine
Dienstleistung an die Natur verstanden werden; dem Haus-
halte unmittelbar nahe und an Segen für ihn fruchtbar.
Ferner aber sind unter den Künsten die redenden weib-
licher als die bildenden; man sollte sagen: die tönenden.
Denn Musik, Gesang vor Allem, ist des Weibes Gabe; seine
hohe helle, weiche und geschmeidige Stimme ist Organ der
Vertheidigung und des Angriffs. Schreien und Kreischen,
Jubeln und Wehklagen, wie alles klangreiche, endlich in
Worten sich ergiessende Lachen und Weinen, bricht ihm
wie aus Felsen das Quellwasser aus der Seele. Und das
ist Musik, der laute, wie Mimik der stumme Ausdruck der
Gemüthsbewegung. Alle Musen sind Weiber und Ge-
dächtniss ist ihre Mutter. Zwischen Musik und Mimik
mitten inne steht der Tanz, jene so zwecklosen, so leiden-
schaftlichen und so anmuthigen Bewegungen, in welchen
auch die Tochter einer weichlichen Bildung Kräfte entwickelt,
deren planmässige Anstrengung ihr Todesmüdheit zu bringen
gewiss wäre. Aber wie leicht lernen sie auch alles Unsinnig-
Liebliche, Sinnreich-Wunderbare. Daher ihre Behaltsamkeit
für Formen, Riten, für alte Weisen und Sprüchwörter, für
Räthsel und Zauber, für tragische und komische Geschichten;
ihr Hang zur Nachahmung, ihre Lust an gefälliger Ver-
stellung und zu allem Spielerischen, Reizenden, Einfältigen;
aber auch die Neigung und Stimmung zu tiefstem schwer-
müthigem Ernste, zu frommem Schauder und zum Gebet,
zur ahnungsvollen Geberde, und, wie früher gesagt ward,
zum Träumen, Sinnen und Dichten. Gesang und Dichtung
sind in Ursprüngen Eins; aber auch Gesang und Rede
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/220>, abgerufen am 21.11.2024.
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