des allgemeinen Willens begreiflich ist, als woraus sie unter gegebenen Bedingungen sich zu entwickeln vermocht hat. Denn in Wahrheit steht das Ergebniss hoher Forschung da, dass alle organischen Individuen zugleich Congregationen solcher Elementarorganismen sind (der Zellen), welche je durch ihre Abstammung und durch ihren Zusammenhang determinirt, selber in ihren bleibenden Relationen die Form und Einheit des Ganzen darstellen und constituiren, welchem sie angehören, und das so in seinem jedesmaligen momentanen Bestande als ihr Werk oder Product erschei- nen kann, obgleich es doch als sie überdauernde, substan- zielle oder metaphysische Essenz, d. i. als die Einheit jener bleibenden Relationen, vielmehr sie als seine blossen Acci- dentien zu haben und hervorzubringen, wie auch durch Verbrauch zu zerstören gedacht wird. Solcher Widerspruch gibt nur den adäquaten Ausdruck für ein wirkliches Wechselverhältniss und Wechselwirkung zwischen den ver- bündeten Ganzen, welche je in ihrem Ganzen zwar ent- stehen und vergehen und seinem Leben und Willen unter- geordnet zu sein scheinen, indem sie Theile sind; jedoch selbständig als Ganze, ein höheres Ganze nur durch ihr Zusammenwirken und die Idee desselben als ihren gemein- samen Willen darstellen: dies ist das eigenthümliche Merk- mal eines organischen Ganzen, dessen letzte Theile selber Or- ganismen sind. Denn von diesen aus gesehen, sind auch alle die höchst mannigfachen Gewebe, welche die Organe und Organsysteme ausmachen, ebenso ihre Zusammensetzun- gen und Gebilde; ob sie gleich ihr eigenes Leben haben, welches durch die Energie des Gesammtsystems getragen und bedingt ist, und wiederum dieses bedingt, dazu beiträgt, ein integrirender Theil desselben ist. Man betrachte die Anwendung hiervon auf den so bedeutenden Begriff des Zweckes. Denn jedes Ganze ist sich selber Zweck: dies ist nur ein anderer Ausdruck für seine Einheit, also für sein Dasein als dauerndes, als welches durch seine eigene Kraft von Moment zu Moment, wenn auch zugleich durch zusammenkommende günstige Bedingungen, d. i. andere, fördernde Kräfte erhalten wird. Leben ist fortwährende Arbeit der Assimilirung solcher Energien und fortwähren-
des allgemeinen Willens begreiflich ist, als woraus sie unter gegebenen Bedingungen sich zu entwickeln vermocht hat. Denn in Wahrheit steht das Ergebniss hoher Forschung da, dass alle organischen Individuen zugleich Congregationen solcher Elementarorganismen sind (der Zellen), welche je durch ihre Abstammung und durch ihren Zusammenhang determinirt, selber in ihren bleibenden Relationen die Form und Einheit des Ganzen darstellen und constituiren, welchem sie angehören, und das so in seinem jedesmaligen momentanen Bestande als ihr Werk oder Product erschei- nen kann, obgleich es doch als sie überdauernde, substan- zielle oder metaphysische Essenz, d. i. als die Einheit jener bleibenden Relationen, vielmehr sie als seine blossen Acci- dentien zu haben und hervorzubringen, wie auch durch Verbrauch zu zerstören gedacht wird. Solcher Widerspruch gibt nur den adäquaten Ausdruck für ein wirkliches Wechselverhältniss und Wechselwirkung zwischen den ver- bündeten Ganzen, welche je in ihrem Ganzen zwar ent- stehen und vergehen und seinem Leben und Willen unter- geordnet zu sein scheinen, indem sie Theile sind; jedoch selbständig als Ganze, ein höheres Ganze nur durch ihr Zusammenwirken und die Idee desselben als ihren gemein- samen Willen darstellen: dies ist das eigenthümliche Merk- mal eines organischen Ganzen, dessen letzte Theile selber Or- ganismen sind. Denn von diesen aus gesehen, sind auch alle die höchst mannigfachen Gewebe, welche die Organe und Organsysteme ausmachen, ebenso ihre Zusammensetzun- gen und Gebilde; ob sie gleich ihr eigenes Leben haben, welches durch die Energie des Gesammtsystems getragen und bedingt ist, und wiederum dieses bedingt, dazu beiträgt, ein integrirender Theil desselben ist. Man betrachte die Anwendung hiervon auf den so bedeutenden Begriff des Zweckes. Denn jedes Ganze ist sich selber Zweck: dies ist nur ein anderer Ausdruck für seine Einheit, also für sein Dasein als dauerndes, als welches durch seine eigene Kraft von Moment zu Moment, wenn auch zugleich durch zusammenkommende günstige Bedingungen, d. i. andere, fördernde Kräfte erhalten wird. Leben ist fortwährende Arbeit der Assimilirung solcher Energien und fortwähren-
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des allgemeinen Willens begreiflich ist, als woraus sie unter
gegebenen Bedingungen sich zu entwickeln vermocht hat.
Denn in Wahrheit steht das Ergebniss hoher Forschung
da, dass alle organischen Individuen zugleich Congregationen
solcher Elementarorganismen sind (der Zellen), welche je
durch ihre Abstammung und durch ihren Zusammenhang
determinirt, selber in ihren bleibenden Relationen die
Form und Einheit des Ganzen darstellen und constituiren,
welchem sie angehören, und das so in seinem jedesmaligen
momentanen Bestande als ihr Werk oder Product erschei-
nen kann, obgleich es doch als sie überdauernde, substan-
zielle oder metaphysische Essenz, d. i. als die Einheit jener
bleibenden Relationen, vielmehr sie als seine blossen Acci-
dentien zu haben und hervorzubringen, wie auch durch
Verbrauch zu zerstören gedacht wird. Solcher Widerspruch
gibt nur den adäquaten Ausdruck für ein wirkliches
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bündeten Ganzen, welche je in ihrem Ganzen zwar ent-
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geordnet zu sein scheinen, indem sie Theile sind; jedoch
selbständig als Ganze, ein höheres Ganze nur durch ihr
Zusammenwirken und die Idee desselben als ihren gemein-
samen Willen darstellen: dies ist das eigenthümliche Merk-
mal eines organischen Ganzen, dessen letzte Theile selber Or-
ganismen sind. Denn von diesen aus gesehen, sind auch
alle die höchst mannigfachen Gewebe, welche die Organe
und Organsysteme ausmachen, ebenso ihre Zusammensetzun-
gen und Gebilde; ob sie gleich ihr eigenes Leben haben,
welches durch die Energie des Gesammtsystems getragen
und bedingt ist, und wiederum dieses bedingt, dazu beiträgt,
ein integrirender Theil desselben ist. Man betrachte die
Anwendung hiervon auf den so bedeutenden Begriff des
Zweckes. Denn jedes Ganze ist sich selber Zweck: dies
ist nur ein anderer Ausdruck für seine Einheit, also für
sein Dasein als dauerndes, als welches durch seine eigene
Kraft von Moment zu Moment, wenn auch zugleich durch
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/234>, abgerufen am 21.11.2024.
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