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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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nossenes Gute. Und so kann auch die Abgabe als ein
ehrender, erhöhender Lohn, der Lohn als eine gnädige, er-
niedrigende Abgabe begriffen werden. In dem einen Sinne
ist, beschenkt zu werden, auch ausserhalb des Werthes und
Nutzens, angenehm, in dem anderen lästig. Daher denn
ist die Abschaffung der Abgaben, ihre Ablösung, Verwand-
lung in Steuern u. dgl. als ein Moment der Verwesung ge-
meinschaftlicher Verhältnisse, zugleich zerstörend für den
hierdurch bedingten Rang der Oberen; wenn sie auch ihre
gesellschaftliche Bedeutung, nämlich die vollkommene
vermögensrechtliche Unabhängigkeit durch ein festes, aus
Handels- oder Wuchergeschäften hervorgehendes Geldein-
kommen, allererst möglich macht. Denn zu einem derartigen
Geschäft, auch wenn nicht durchaus als Geschäft betrieben,
wird der schlechthin freie Grundbesitz schon durch die
Form des Pachtcontracts und hieraus fliessenden Bezug
der Grundrente. Wie also jene Veränderung eine doppelte
Seite für die Destinatäre hat: eine schlechte für ihre Ehre
und eine gute für ihr Vermögen, so auch die Abschaffung
des Lohnes, aber in umgewandter Weise für die ihrigen.
Die Oberen haben, auch nachdem alle wirklichen Bande
zwischen ihnen und der Menge zerrissen sind, ein starkes
Interesse daran, den vollen Consequenzen der Gleichheit
aller Willkürfähigen sich entgegenzustemmen, in sofern als
dieselben eine Leugnung ihrer Superiorität enthalten, welche
Superiorität in der That nicht blos beharrt, sondern starrer
und schärfer wird, indem sie in eine gesellschaftliche sich
verwandelt, wo sie ganz und gar nicht im Subject -- der
nackten Person --, aber um so mehr im Objecte, im Um-
fange ihrer Willkürsphäre, also zumal ihres Vermögens,
sich findet. Daher haben sie ihre Freude am Scheine und
Namen des Lohnes. Derselbe Schein, wenn auch nicht der
Name, wird von den Unteren als Marke der Dienstbarkeit,
als Unehre empfunden. Hingegen ist ihnen die Sache in
manchen Beziehungen, welche durch sich selber wohl der
Reduction auf reinen Tausch oder Contract fähig sind, nach
ökonomischem Werthe gemessen, günstig. Denn wer es ver-
schmäht (unter seiner Würde hält, sich zu gut dafür hält),
um den Preis einer Waare oder einer Leistung zu feilschen,

nossenes Gute. Und so kann auch die Abgabe als ein
ehrender, erhöhender Lohn, der Lohn als eine gnädige, er-
niedrigende Abgabe begriffen werden. In dem einen Sinne
ist, beschenkt zu werden, auch ausserhalb des Werthes und
Nutzens, angenehm, in dem anderen lästig. Daher denn
ist die Abschaffung der Abgaben, ihre Ablösung, Verwand-
lung in Steuern u. dgl. als ein Moment der Verwesung ge-
meinschaftlicher Verhältnisse, zugleich zerstörend für den
hierdurch bedingten Rang der Oberen; wenn sie auch ihre
gesellschaftliche Bedeutung, nämlich die vollkommene
vermögensrechtliche Unabhängigkeit durch ein festes, aus
Handels- oder Wuchergeschäften hervorgehendes Geldein-
kommen, allererst möglich macht. Denn zu einem derartigen
Geschäft, auch wenn nicht durchaus als Geschäft betrieben,
wird der schlechthin freie Grundbesitz schon durch die
Form des Pachtcontracts und hieraus fliessenden Bezug
der Grundrente. Wie also jene Veränderung eine doppelte
Seite für die Destinatäre hat: eine schlechte für ihre Ehre
und eine gute für ihr Vermögen, so auch die Abschaffung
des Lohnes, aber in umgewandter Weise für die ihrigen.
Die Oberen haben, auch nachdem alle wirklichen Bande
zwischen ihnen und der Menge zerrissen sind, ein starkes
Interesse daran, den vollen Consequenzen der Gleichheit
aller Willkürfähigen sich entgegenzustemmen, in sofern als
dieselben eine Leugnung ihrer Superiorität enthalten, welche
Superiorität in der That nicht blos beharrt, sondern starrer
und schärfer wird, indem sie in eine gesellschaftliche sich
verwandelt, wo sie ganz und gar nicht im Subject — der
nackten Person —, aber um so mehr im Objecte, im Um-
fange ihrer Willkürsphäre, also zumal ihres Vermögens,
sich findet. Daher haben sie ihre Freude am Scheine und
Namen des Lohnes. Derselbe Schein, wenn auch nicht der
Name, wird von den Unteren als Marke der Dienstbarkeit,
als Unehre empfunden. Hingegen ist ihnen die Sache in
manchen Beziehungen, welche durch sich selber wohl der
Reduction auf reinen Tausch oder Contract fähig sind, nach
ökonomischem Werthe gemessen, günstig. Denn wer es ver-
schmäht (unter seiner Würde hält, sich zu gut dafür hält),
um den Preis einer Waare oder einer Leistung zu feilschen,

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[222/0258] nossenes Gute. Und so kann auch die Abgabe als ein ehrender, erhöhender Lohn, der Lohn als eine gnädige, er- niedrigende Abgabe begriffen werden. In dem einen Sinne ist, beschenkt zu werden, auch ausserhalb des Werthes und Nutzens, angenehm, in dem anderen lästig. Daher denn ist die Abschaffung der Abgaben, ihre Ablösung, Verwand- lung in Steuern u. dgl. als ein Moment der Verwesung ge- meinschaftlicher Verhältnisse, zugleich zerstörend für den hierdurch bedingten Rang der Oberen; wenn sie auch ihre gesellschaftliche Bedeutung, nämlich die vollkommene vermögensrechtliche Unabhängigkeit durch ein festes, aus Handels- oder Wuchergeschäften hervorgehendes Geldein- kommen, allererst möglich macht. Denn zu einem derartigen Geschäft, auch wenn nicht durchaus als Geschäft betrieben, wird der schlechthin freie Grundbesitz schon durch die Form des Pachtcontracts und hieraus fliessenden Bezug der Grundrente. Wie also jene Veränderung eine doppelte Seite für die Destinatäre hat: eine schlechte für ihre Ehre und eine gute für ihr Vermögen, so auch die Abschaffung des Lohnes, aber in umgewandter Weise für die ihrigen. Die Oberen haben, auch nachdem alle wirklichen Bande zwischen ihnen und der Menge zerrissen sind, ein starkes Interesse daran, den vollen Consequenzen der Gleichheit aller Willkürfähigen sich entgegenzustemmen, in sofern als dieselben eine Leugnung ihrer Superiorität enthalten, welche Superiorität in der That nicht blos beharrt, sondern starrer und schärfer wird, indem sie in eine gesellschaftliche sich verwandelt, wo sie ganz und gar nicht im Subject — der nackten Person —, aber um so mehr im Objecte, im Um- fange ihrer Willkürsphäre, also zumal ihres Vermögens, sich findet. Daher haben sie ihre Freude am Scheine und Namen des Lohnes. Derselbe Schein, wenn auch nicht der Name, wird von den Unteren als Marke der Dienstbarkeit, als Unehre empfunden. Hingegen ist ihnen die Sache in manchen Beziehungen, welche durch sich selber wohl der Reduction auf reinen Tausch oder Contract fähig sind, nach ökonomischem Werthe gemessen, günstig. Denn wer es ver- schmäht (unter seiner Würde hält, sich zu gut dafür hält), um den Preis einer Waare oder einer Leistung zu feilschen,

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/258>, abgerufen am 25.11.2024.