als nothwendig sich offenbart, so dass Wahl nur Bestätigung oder Ausforschung eines Ersatzes bei mangelndem Her- kommen oder verlorener Kunde sein muss. Je weniger aber die Wahl als willkürliche gedacht wird, desto mehr scheint sie einer göttlichen Hülfe und Inspiration zu be- dürfen, um eine günstige und wahre zu sein; wie denn auch das Werfen von Loosen dem Schicksal oder der unge- sehenen Macht die Wahl anheimstellen will. Diese Vorstel- lungen sind so lange lebendig, als die objective Einheit vor ihrer Ueberwindung durch die Bewusstheit der Subjecte sich zu schützen ringt. Die Einheit wird durch die Ueber- einstimmung und Einmüthigkeit der Menge am vollkommen- sten dargestellt; demnächst durch gemeinsamen Rath und Beschluss der Führer; endlich durch entscheidenden Willen des einzigen Fürsten. Und diese Kräfte müssen sich in einander fügen, um gemeinsame Action zu bewirken. Dies ist unwahrscheinlich und schwer, wenn nicht ihre binden- den Normen als gewohnte und geglaubte vor ihnen sind und unabhängig von ihrer möglichen Willkür. Daher kann jedes dieser Organe, und können alle zusammen, sei es in ihrer blos inneren oder auch in äusserer Vereinigung, das Gerechte nicht machen, sondern nur finden.
§ 26.
Ein Heer, als Land zu vertheidigen oder zu erobern bestimmt, muss aus Männern bestehen, die am Eigenthum des Landes einen unmittelbaren Antheil haben; denn nur in diesen kann ein solcher starker Wille als natürlicher und als Pflichtgefühl vorhanden gedacht werden. Aber erst der Ackerbau macht den Grund und Boden werthvoll; jedoch eine kriegerische Gemeinde, sei es, dass sie im ernsten Kampfe steht, oder in Kampfspielen sich übt, oder aus glei- cher Gesinnung und nach uralter Gewohnheit der Jagd als dem Kampfe wider die Thierheit obliegt, ist schwerlich ge- eignet, der mühsamen Haushaltung sich zu widmen, zu pflügen, zu säen, zu ernten. Wo daher und so lange als jene Nothwendigkeit und Gepflogenheit eine allgemeine ist, da bleibt Weibern und Knechten die Arbeit des Feldes und die Zucht der Hausthiere. Wenn aber in befestigtem
Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. 17
als nothwendig sich offenbart, so dass Wahl nur Bestätigung oder Ausforschung eines Ersatzes bei mangelndem Her- kommen oder verlorener Kunde sein muss. Je weniger aber die Wahl als willkürliche gedacht wird, desto mehr scheint sie einer göttlichen Hülfe und Inspiration zu be- dürfen, um eine günstige und wahre zu sein; wie denn auch das Werfen von Loosen dem Schicksal oder der unge- sehenen Macht die Wahl anheimstellen will. Diese Vorstel- lungen sind so lange lebendig, als die objective Einheit vor ihrer Ueberwindung durch die Bewusstheit der Subjecte sich zu schützen ringt. Die Einheit wird durch die Ueber- einstimmung und Einmüthigkeit der Menge am vollkommen- sten dargestellt; demnächst durch gemeinsamen Rath und Beschluss der Führer; endlich durch entscheidenden Willen des einzigen Fürsten. Und diese Kräfte müssen sich in einander fügen, um gemeinsame Action zu bewirken. Dies ist unwahrscheinlich und schwer, wenn nicht ihre binden- den Normen als gewohnte und geglaubte vor ihnen sind und unabhängig von ihrer möglichen Willkür. Daher kann jedes dieser Organe, und können alle zusammen, sei es in ihrer blos inneren oder auch in äusserer Vereinigung, das Gerechte nicht machen, sondern nur finden.
§ 26.
Ein Heer, als Land zu vertheidigen oder zu erobern bestimmt, muss aus Männern bestehen, die am Eigenthum des Landes einen unmittelbaren Antheil haben; denn nur in diesen kann ein solcher starker Wille als natürlicher und als Pflichtgefühl vorhanden gedacht werden. Aber erst der Ackerbau macht den Grund und Boden werthvoll; jedoch eine kriegerische Gemeinde, sei es, dass sie im ernsten Kampfe steht, oder in Kampfspielen sich übt, oder aus glei- cher Gesinnung und nach uralter Gewohnheit der Jagd als dem Kampfe wider die Thierheit obliegt, ist schwerlich ge- eignet, der mühsamen Haushaltung sich zu widmen, zu pflügen, zu säen, zu ernten. Wo daher und so lange als jene Nothwendigkeit und Gepflogenheit eine allgemeine ist, da bleibt Weibern und Knechten die Arbeit des Feldes und die Zucht der Hausthiere. Wenn aber in befestigtem
Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. 17
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als nothwendig sich offenbart, so dass Wahl nur Bestätigung
oder Ausforschung eines Ersatzes bei mangelndem Her-
kommen oder verlorener Kunde sein muss. Je weniger
aber die Wahl als willkürliche gedacht wird, desto mehr
scheint sie einer göttlichen Hülfe und Inspiration zu be-
dürfen, um eine günstige und wahre zu sein; wie denn auch
das Werfen von Loosen dem Schicksal oder der unge-
sehenen Macht die Wahl anheimstellen will. Diese Vorstel-
lungen sind so lange lebendig, als die objective Einheit vor
ihrer Ueberwindung durch die Bewusstheit der Subjecte
sich zu schützen ringt. Die Einheit wird durch die Ueber-
einstimmung und Einmüthigkeit der Menge am vollkommen-
sten dargestellt; demnächst durch gemeinsamen Rath und
Beschluss der Führer; endlich durch entscheidenden Willen
des einzigen Fürsten. Und diese Kräfte müssen sich in
einander fügen, um gemeinsame Action zu bewirken. Dies
ist unwahrscheinlich und schwer, wenn nicht ihre binden-
den Normen als gewohnte und geglaubte vor ihnen sind
und unabhängig von ihrer möglichen Willkür. Daher kann
jedes dieser Organe, und können alle zusammen, sei es in
ihrer blos inneren oder auch in äusserer Vereinigung, das
Gerechte nicht machen, sondern nur finden.
§ 26.
Ein Heer, als Land zu vertheidigen oder zu erobern
bestimmt, muss aus Männern bestehen, die am Eigenthum
des Landes einen unmittelbaren Antheil haben; denn nur
in diesen kann ein solcher starker Wille als natürlicher und
als Pflichtgefühl vorhanden gedacht werden. Aber erst der
Ackerbau macht den Grund und Boden werthvoll; jedoch
eine kriegerische Gemeinde, sei es, dass sie im ernsten
Kampfe steht, oder in Kampfspielen sich übt, oder aus glei-
cher Gesinnung und nach uralter Gewohnheit der Jagd als
dem Kampfe wider die Thierheit obliegt, ist schwerlich ge-
eignet, der mühsamen Haushaltung sich zu widmen, zu
pflügen, zu säen, zu ernten. Wo daher und so lange als
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/293>, abgerufen am 23.11.2024.
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