Es bietet sich dar der Gegensatz einer Ordnung des Zusammenlebens, welche insofern als auf Ueberein- stimmung der Willen, wesentlich auf Eintracht beruht, und durch Sitte und Religion ausgebildet, veredelt wird; gegen eine Ordnung des Zusammenlebens, welche insofern als auf zusammentreffenden, vereinigten Willküren, auf Convention gegründet ist, durch politische Gesetzgebung ihre Sicherung, und durch öffentliche Meinung ihre ideelle und bewusste Erklärung, Rechtfertigung empfängt. Ferner, der Gegen- satz eines gemeinsamen und verbindlichen, positiven Rechtes, als eines Systemes von erzwingbaren Normen in Bezug auf die Verhältnisse der Willen zu einander, wel- ches, im Familienleben wurzelnd und aus den Thatsachen des Grundbesitzes seinen bedeutendsten Inhalt schöpfend, seine Formen durch Sitte wesentlich bestimmt erhält, welcher Religion ihre Weihe und Verklärung gibt, wenn sie nicht als göttlicher Wille, mithin als Wille weiser und herrschender Menschen, welche denselben auslegen, solche Formen zu verändern, zu verbessern lehrt und wagt; gegenüber einem gleichartigen positiven Rechte, das die Willküren durch alle ihre Verknüpfungen und Verschlin- gungen auseinanderzuhalten beflissen, in der conventionellen Ordnung des Handels und dergleichen Verkehres seine natürlichen Voraussetzungen hat; aber erst gültig und regelmässig kräftig wird durch die souveräne Willkür und Macht des Staates, als das wichtigste Werkzeug seiner Politik, wodurch er die gesellschaftlichen Bewegungen theils
§ 1.
Es bietet sich dar der Gegensatz einer Ordnung des Zusammenlebens, welche insofern als auf Ueberein- stimmung der Willen, wesentlich auf Eintracht beruht, und durch Sitte und Religion ausgebildet, veredelt wird; gegen eine Ordnung des Zusammenlebens, welche insofern als auf zusammentreffenden, vereinigten Willküren, auf Convention gegründet ist, durch politische Gesetzgebung ihre Sicherung, und durch öffentliche Meinung ihre ideelle und bewusste Erklärung, Rechtfertigung empfängt. Ferner, der Gegen- satz eines gemeinsamen und verbindlichen, positiven Rechtes, als eines Systemes von erzwingbaren Normen in Bezug auf die Verhältnisse der Willen zu einander, wel- ches, im Familienleben wurzelnd und aus den Thatsachen des Grundbesitzes seinen bedeutendsten Inhalt schöpfend, seine Formen durch Sitte wesentlich bestimmt erhält, welcher Religion ihre Weihe und Verklärung gibt, wenn sie nicht als göttlicher Wille, mithin als Wille weiser und herrschender Menschen, welche denselben auslegen, solche Formen zu verändern, zu verbessern lehrt und wagt; gegenüber einem gleichartigen positiven Rechte, das die Willküren durch alle ihre Verknüpfungen und Verschlin- gungen auseinanderzuhalten beflissen, in der conventionellen Ordnung des Handels und dergleichen Verkehres seine natürlichen Voraussetzungen hat; aber erst gültig und regelmässig kräftig wird durch die souveräne Willkür und Macht des Staates, als das wichtigste Werkzeug seiner Politik, wodurch er die gesellschaftlichen Bewegungen theils
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[[277]/0313]
§ 1.
Es bietet sich dar der Gegensatz einer Ordnung
des Zusammenlebens, welche insofern als auf Ueberein-
stimmung der Willen, wesentlich auf Eintracht beruht, und
durch Sitte und Religion ausgebildet, veredelt wird; gegen
eine Ordnung des Zusammenlebens, welche insofern als auf
zusammentreffenden, vereinigten Willküren, auf Convention
gegründet ist, durch politische Gesetzgebung ihre Sicherung,
und durch öffentliche Meinung ihre ideelle und bewusste
Erklärung, Rechtfertigung empfängt. Ferner, der Gegen-
satz eines gemeinsamen und verbindlichen, positiven
Rechtes, als eines Systemes von erzwingbaren Normen
in Bezug auf die Verhältnisse der Willen zu einander, wel-
ches, im Familienleben wurzelnd und aus den Thatsachen
des Grundbesitzes seinen bedeutendsten Inhalt schöpfend,
seine Formen durch Sitte wesentlich bestimmt erhält,
welcher Religion ihre Weihe und Verklärung gibt, wenn
sie nicht als göttlicher Wille, mithin als Wille weiser und
herrschender Menschen, welche denselben auslegen, solche
Formen zu verändern, zu verbessern lehrt und wagt;
gegenüber einem gleichartigen positiven Rechte, das die
Willküren durch alle ihre Verknüpfungen und Verschlin-
gungen auseinanderzuhalten beflissen, in der conventionellen
Ordnung des Handels und dergleichen Verkehres seine
natürlichen Voraussetzungen hat; aber erst gültig und
regelmässig kräftig wird durch die souveräne Willkür und
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Politik, wodurch er die gesellschaftlichen Bewegungen theils
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. [277]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/313>, abgerufen am 24.11.2024.
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