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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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seligen, gemeinschädlichen, oder ihm und der Gesellschaft
gefährlich erscheinenden Handlungen zu unterdrücken, zu
bestrafen. Er kann seine Thätigkeit nach dieser Richtung
ins Ungemessene ausdehnen; er kann auch versuchen, die
Motive und Gesinnungen der Menschen zum Besseren zu
verändern; denn so ihm das öffentliche Wohl zur Ver-
waltung gegeben wird, so muss er es nach Belieben de-
finiren können, und er wird endlich wohl zur Einsicht
gelangen, dass nicht irgendwelche vermehrte Erkenntniss
und Bildung die Menschen freundlicher, unegoistischer,
genügsamer mache; dass ebenso aber auch abgestorbene
Sitte und Religion nicht durch irgendwelchen Zwang oder
Unterricht ins Leben zurückgerufen werden könne; sondern
dass er, um sittliche Mächte und sittliche Menschen zu
machen oder wachsen zu lassen, die Bedingungen oder den
Boden dafür schaffen, oder zum Wenigsten die entgegen-
gesetzten Kräfte aufheben müsse. Der Staat, als die Ver-
nunft der Gesellschaft, müsste sich entschliessen, die Gesell-
schaft zu vernichten.

§ 6.

Nichts desto weniger hat die öffentliche Meinung, als
welche die Moral der Gesellschaft in Ausdrücke und Formeln
bringt, und dadurch auch über den Staat erhaben werden
kann, entschiedene Tendenzen, denselben zu drängen, seine
unwiderstehliche Macht zu gebrauchen, um Alle zu zwingen,
das Nützliche zu thun und das Schädliche zu unterlassen:
Erweiterung des Strafgesetzbuches und Ausdehnung der
Polizeigewalt scheinen ihr die richtigen Mittel zu sein, um
den üblen Neigungen der Menge zu begegnen. Sie geht
leicht von der Forderung der Freiheit (für die Oberen) zur
Forderung des Despotismus (wider die Unteren) über.
Denn allerdings hat das conventionelle Surrogat geringen
Einfluss auf die Menge. Sie wird in dem Trachten nach
Vergnügen und Genüssen, welches so allgemein als natürlich
ist in einer Welt, wo das Interesse der Kapitalisten und
Händler allen Bedürfnissen zuvorkommt, und im Wetteifer
anstachelt zu den mannigfachsten Verwendungen des Geldes,

seligen, gemeinschädlichen, oder ihm und der Gesellschaft
gefährlich erscheinenden Handlungen zu unterdrücken, zu
bestrafen. Er kann seine Thätigkeit nach dieser Richtung
ins Ungemessene ausdehnen; er kann auch versuchen, die
Motive und Gesinnungen der Menschen zum Besseren zu
verändern; denn so ihm das öffentliche Wohl zur Ver-
waltung gegeben wird, so muss er es nach Belieben de-
finiren können, und er wird endlich wohl zur Einsicht
gelangen, dass nicht irgendwelche vermehrte Erkenntniss
und Bildung die Menschen freundlicher, unegoistischer,
genügsamer mache; dass ebenso aber auch abgestorbene
Sitte und Religion nicht durch irgendwelchen Zwang oder
Unterricht ins Leben zurückgerufen werden könne; sondern
dass er, um sittliche Mächte und sittliche Menschen zu
machen oder wachsen zu lassen, die Bedingungen oder den
Boden dafür schaffen, oder zum Wenigsten die entgegen-
gesetzten Kräfte aufheben müsse. Der Staat, als die Ver-
nunft der Gesellschaft, müsste sich entschliessen, die Gesell-
schaft zu vernichten.

§ 6.

Nichts desto weniger hat die öffentliche Meinung, als
welche die Moral der Gesellschaft in Ausdrücke und Formeln
bringt, und dadurch auch über den Staat erhaben werden
kann, entschiedene Tendenzen, denselben zu drängen, seine
unwiderstehliche Macht zu gebrauchen, um Alle zu zwingen,
das Nützliche zu thun und das Schädliche zu unterlassen:
Erweiterung des Strafgesetzbuches und Ausdehnung der
Polizeigewalt scheinen ihr die richtigen Mittel zu sein, um
den üblen Neigungen der Menge zu begegnen. Sie geht
leicht von der Forderung der Freiheit (für die Oberen) zur
Forderung des Despotismus (wider die Unteren) über.
Denn allerdings hat das conventionelle Surrogat geringen
Einfluss auf die Menge. Sie wird in dem Trachten nach
Vergnügen und Genüssen, welches so allgemein als natürlich
ist in einer Welt, wo das Interesse der Kapitalisten und
Händler allen Bedürfnissen zuvorkommt, und im Wetteifer
anstachelt zu den mannigfachsten Verwendungen des Geldes,

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[287/0323] seligen, gemeinschädlichen, oder ihm und der Gesellschaft gefährlich erscheinenden Handlungen zu unterdrücken, zu bestrafen. Er kann seine Thätigkeit nach dieser Richtung ins Ungemessene ausdehnen; er kann auch versuchen, die Motive und Gesinnungen der Menschen zum Besseren zu verändern; denn so ihm das öffentliche Wohl zur Ver- waltung gegeben wird, so muss er es nach Belieben de- finiren können, und er wird endlich wohl zur Einsicht gelangen, dass nicht irgendwelche vermehrte Erkenntniss und Bildung die Menschen freundlicher, unegoistischer, genügsamer mache; dass ebenso aber auch abgestorbene Sitte und Religion nicht durch irgendwelchen Zwang oder Unterricht ins Leben zurückgerufen werden könne; sondern dass er, um sittliche Mächte und sittliche Menschen zu machen oder wachsen zu lassen, die Bedingungen oder den Boden dafür schaffen, oder zum Wenigsten die entgegen- gesetzten Kräfte aufheben müsse. Der Staat, als die Ver- nunft der Gesellschaft, müsste sich entschliessen, die Gesell- schaft zu vernichten. § 6. Nichts desto weniger hat die öffentliche Meinung, als welche die Moral der Gesellschaft in Ausdrücke und Formeln bringt, und dadurch auch über den Staat erhaben werden kann, entschiedene Tendenzen, denselben zu drängen, seine unwiderstehliche Macht zu gebrauchen, um Alle zu zwingen, das Nützliche zu thun und das Schädliche zu unterlassen: Erweiterung des Strafgesetzbuches und Ausdehnung der Polizeigewalt scheinen ihr die richtigen Mittel zu sein, um den üblen Neigungen der Menge zu begegnen. Sie geht leicht von der Forderung der Freiheit (für die Oberen) zur Forderung des Despotismus (wider die Unteren) über. Denn allerdings hat das conventionelle Surrogat geringen Einfluss auf die Menge. Sie wird in dem Trachten nach Vergnügen und Genüssen, welches so allgemein als natürlich ist in einer Welt, wo das Interesse der Kapitalisten und Händler allen Bedürfnissen zuvorkommt, und im Wetteifer anstachelt zu den mannigfachsten Verwendungen des Geldes,

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/323>, abgerufen am 21.11.2024.