Absicht, sich verständlich zu machen, als künstliches Mittel, welches ein natürliches Nicht-Verstehen voraussetzen würde; obgleich auch zwischen Verstehenden Sprache als solches blosses Zeichensystem gebraucht werden kann. Und allerdings können alle jene Aeusserungen ebensowohl sich kund thun als Erscheinungen feindseliger wie als Erscheinungen freundlicher Empfindungen. Dies ist so wahr, dass es die Anregung gibt, den allgemeinen Satz auszusprechen: freundliche und feindselige Stimmungen und Leidenschaften unterliegen den gleichen oder sehr ähnlichen Bedingungen. Hier aber ist die Feindschaft, welche aus Zerreissung oder Lockerung natürlicher und vorhandener Bande hervorgeht, strenge zu unterscheiden von derjenigen Art, die auf Fremdheit, Unverständniss, Misstrauen beruht. Beide sind instinctiv, aber jene ist wesentlich Zorn, Hass, Unwille, diese wesentlich Furcht, Abscheu, Widerwille. Sicherlich ist nun Sprache, sowie andere Vermittlung der Seelen weder aus der einen noch aus der anderen Feind- seligkeit -- als welche dort nur der ausserordentliche und kranke Zustand ist -- entsprungen, sondern aus Traut- heit, Innigkeit, Liebe; und zumal aus dem tiefen Verständ- nisse zwischen Mutter und Kind, muss Mutter-Sprache am leichtesten und lebhaftesten hervorwachsen. Hingegen bei jener lauten und verständnissinnigen Feindseligkeit kann immer irgendwelche Freundschaft und Einigkeit als zu Grunde liegend gedacht werden. In einer alten Rechts- formel bewundert Cicero die Sinnigkeit der Sprache (fragm. de republ. IV. ap. Non. p. 430 seq.) -- "Si iurgant," inquit. "Benevolorum concertatio, non lis inimicorum, iurgium dicitur. Jurgare igitur lex putat inter se vicinos, non litigare." -- In der That ist nur Blutnähe und Blutmischung, worin die Einheit, und hieraus die Möglichkeit der Gemein- schaft, menschlicher wie anderer thierischer Leiber und Willen auf unmittelbarste Weise sich darstellt; demnächst die räumliche Nähe, und endlich -- für Menschen -- auch die geistige Nähe. In dieser Abstufung sind daher die Wurzeln alles Verständnisses zu suchen. Und wir stellen somit als die grossen Hauptgesetze der Gemeinschaft auf: 1) Verwandte und Gatten lieben einander, oder gewöhnen
Absicht, sich verständlich zu machen, als künstliches Mittel, welches ein natürliches Nicht-Verstehen voraussetzen würde; obgleich auch zwischen Verstehenden Sprache als solches blosses Zeichensystem gebraucht werden kann. Und allerdings können alle jene Aeusserungen ebensowohl sich kund thun als Erscheinungen feindseliger wie als Erscheinungen freundlicher Empfindungen. Dies ist so wahr, dass es die Anregung gibt, den allgemeinen Satz auszusprechen: freundliche und feindselige Stimmungen und Leidenschaften unterliegen den gleichen oder sehr ähnlichen Bedingungen. Hier aber ist die Feindschaft, welche aus Zerreissung oder Lockerung natürlicher und vorhandener Bande hervorgeht, strenge zu unterscheiden von derjenigen Art, die auf Fremdheit, Unverständniss, Misstrauen beruht. Beide sind instinctiv, aber jene ist wesentlich Zorn, Hass, Unwille, diese wesentlich Furcht, Abscheu, Widerwille. Sicherlich ist nun Sprache, sowie andere Vermittlung der Seelen weder aus der einen noch aus der anderen Feind- seligkeit — als welche dort nur der ausserordentliche und kranke Zustand ist — entsprungen, sondern aus Traut- heit, Innigkeit, Liebe; und zumal aus dem tiefen Verständ- nisse zwischen Mutter und Kind, muss Mutter-Sprache am leichtesten und lebhaftesten hervorwachsen. Hingegen bei jener lauten und verständnissinnigen Feindseligkeit kann immer irgendwelche Freundschaft und Einigkeit als zu Grunde liegend gedacht werden. In einer alten Rechts- formel bewundert Cicero die Sinnigkeit der Sprache (fragm. de republ. IV. ap. Non. p. 430 seq.) — »Si iurgant,« inquit. »Benevolorum concertatio, non lis inimicorum, iurgium dicitur. Jurgare igitur lex putat inter se vicinos, non litigare.« — In der That ist nur Blutnähe und Blutmischung, worin die Einheit, und hieraus die Möglichkeit der Gemein- schaft, menschlicher wie anderer thierischer Leiber und Willen auf unmittelbarste Weise sich darstellt; demnächst die räumliche Nähe, und endlich — für Menschen — auch die geistige Nähe. In dieser Abstufung sind daher die Wurzeln alles Verständnisses zu suchen. Und wir stellen somit als die grossen Hauptgesetze der Gemeinschaft auf: 1) Verwandte und Gatten lieben einander, oder gewöhnen
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Und allerdings können alle jene Aeusserungen ebensowohl
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wahr, dass es die Anregung gibt, den allgemeinen Satz
auszusprechen: freundliche und feindselige Stimmungen und
Leidenschaften unterliegen den gleichen oder sehr ähnlichen
Bedingungen. Hier aber ist die Feindschaft, welche aus
Zerreissung oder Lockerung natürlicher und vorhandener
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Art, die auf Fremdheit, Unverständniss, Misstrauen beruht.
Beide sind instinctiv, aber jene ist wesentlich Zorn, Hass,
Unwille, diese wesentlich Furcht, Abscheu, Widerwille.
Sicherlich ist nun Sprache, sowie andere Vermittlung der
Seelen weder aus der einen noch aus der anderen Feind-
seligkeit — als welche dort nur der ausserordentliche und
kranke Zustand ist — entsprungen, sondern aus Traut-
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am leichtesten und lebhaftesten hervorwachsen. Hingegen
bei jener lauten und verständnissinnigen Feindseligkeit
kann immer irgendwelche Freundschaft und Einigkeit als
zu Grunde liegend gedacht werden. In einer alten Rechts-
formel bewundert Cicero die Sinnigkeit der Sprache
(fragm. de republ. IV. ap. Non. p. 430 seq.) — »Si iurgant,«
inquit. »Benevolorum concertatio, non lis inimicorum, iurgium
dicitur. Jurgare igitur lex putat inter se vicinos, non
litigare.« — In der That ist nur Blutnähe und Blutmischung,
worin die Einheit, und hieraus die Möglichkeit der Gemein-
schaft, menschlicher wie anderer thierischer Leiber und
Willen auf unmittelbarste Weise sich darstellt; demnächst
die räumliche Nähe, und endlich — für Menschen — auch
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Wurzeln alles Verständnisses zu suchen. Und wir stellen
somit als die grossen Hauptgesetze der Gemeinschaft auf:
1) Verwandte und Gatten lieben einander, oder gewöhnen
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/60>, abgerufen am 21.11.2024.
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