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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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für allen wesentlichen Bedarf sich selbst genügenden, oder
durch Beistand der Nachbarn und gemeinschaftlicher Helfer
(dergleichen der Dorfschmied und andere Demiurgen) sich
ergänzenden Haushaltung. Es kann aber auch, in unge-
brochener Einheit, alle Werkstätten in sich enthalten, wenn
auch nicht unter einem Dache, doch in einer Verwaltung.
Wie sich ein vorzüglicher Schriftsteller in diesen Dingen
(Rodbertus) den Typus des classischen (hellenisch-römischen)
Hauses vorgestellt hat, nach dem Satze: Nihil hic emitur,
omnia domi gignuntur
. Hingegen 3) das städtische Haus,
wie wir es in seinem überwiegenden Charakter denken, als
Haus des Handwerksmeisters, ist auch für seine nothwen-
digen Bedürfnisse auf Austausch angewiesen. Was es selber
hervorbringt (z. B. Schuhe), dient zum grösseren Theile
nicht ihm selber, und wenn die Stadt als Ganzes, als eine
Gemeinschaft von Zünften, begriffen wird, welche durch die
gegenseitig fördernde Thätigkeit derselben ihre Bürgerhäuser,
und somit sich selber, mit nützlichen und guten Sachen
versorgt, so muss sie doch, sofern nicht selber und durch
ihre Bürger Land besitzend und dessen Wirthschaft be-
treibend, fortwährend Ueberschüsse hervorbringen, um sich
mit den nothwendigen Lebensmitteln aus umgebenden Bauern-
häusern zu versehen. So bildet sich der (für eine allge-
meine Betrachtung der Cultur-Phänomene bedeutendste)
Tausch zwischen Stadt und Land, bei welchem das Land
des sichtlichen Vortheils geniesst, welchen Besitz der noth-
wendigen gegen die entbehrlichere Waare gibt, sofern es
nicht Geräthe und andere Mittel der Oekonomie sind, welche
es begehrt; die Stadt desjenigen der Seltenheit und Schön-
heit ihrer Producte; wenn nämlich vorausgesetzt wird, dass
ein weites Landgebiet nur eine Auslese ihrer Bevölkerung
in der Stadt vereinigt, daher etwa die Menge der Arbeits-
kräfte, welche überschüssiges Korn und Fleisch erzeugen,
zu derjenigen, welche verfügbare Handwerks- und Kunst-
gegenstände hervorbringen, wie 10 zu 1 sich verhalte.
Uebrigens stellen wir vor, dass hier Keiner als gewerbs-
mässiger Händler, in Concurrenz mit Anderen, seine Waare
an den Mann zu bringen sich vordrängt; noch als Mono-
polist das dringender werdende Bedürfniss und folgliches

für allen wesentlichen Bedarf sich selbst genügenden, oder
durch Beistand der Nachbarn und gemeinschaftlicher Helfer
(dergleichen der Dorfschmied und andere Demiurgen) sich
ergänzenden Haushaltung. Es kann aber auch, in unge-
brochener Einheit, alle Werkstätten in sich enthalten, wenn
auch nicht unter einem Dache, doch in einer Verwaltung.
Wie sich ein vorzüglicher Schriftsteller in diesen Dingen
(Rodbertus) den Typus des classischen (hellenisch-römischen)
Hauses vorgestellt hat, nach dem Satze: Nihil hic emitur,
omnia domi gignuntur
. Hingegen 3) das städtische Haus,
wie wir es in seinem überwiegenden Charakter denken, als
Haus des Handwerksmeisters, ist auch für seine nothwen-
digen Bedürfnisse auf Austausch angewiesen. Was es selber
hervorbringt (z. B. Schuhe), dient zum grösseren Theile
nicht ihm selber, und wenn die Stadt als Ganzes, als eine
Gemeinschaft von Zünften, begriffen wird, welche durch die
gegenseitig fördernde Thätigkeit derselben ihre Bürgerhäuser,
und somit sich selber, mit nützlichen und guten Sachen
versorgt, so muss sie doch, sofern nicht selber und durch
ihre Bürger Land besitzend und dessen Wirthschaft be-
treibend, fortwährend Ueberschüsse hervorbringen, um sich
mit den nothwendigen Lebensmitteln aus umgebenden Bauern-
häusern zu versehen. So bildet sich der (für eine allge-
meine Betrachtung der Cultur-Phänomene bedeutendste)
Tausch zwischen Stadt und Land, bei welchem das Land
des sichtlichen Vortheils geniesst, welchen Besitz der noth-
wendigen gegen die entbehrlichere Waare gibt, sofern es
nicht Geräthe und andere Mittel der Oekonomie sind, welche
es begehrt; die Stadt desjenigen der Seltenheit und Schön-
heit ihrer Producte; wenn nämlich vorausgesetzt wird, dass
ein weites Landgebiet nur eine Auslese ihrer Bevölkerung
in der Stadt vereinigt, daher etwa die Menge der Arbeits-
kräfte, welche überschüssiges Korn und Fleisch erzeugen,
zu derjenigen, welche verfügbare Handwerks- und Kunst-
gegenstände hervorbringen, wie 10 zu 1 sich verhalte.
Uebrigens stellen wir vor, dass hier Keiner als gewerbs-
mässiger Händler, in Concurrenz mit Anderen, seine Waare
an den Mann zu bringen sich vordrängt; noch als Mono-
polist das dringender werdende Bedürfniss und folgliches

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[34/0070] für allen wesentlichen Bedarf sich selbst genügenden, oder durch Beistand der Nachbarn und gemeinschaftlicher Helfer (dergleichen der Dorfschmied und andere Demiurgen) sich ergänzenden Haushaltung. Es kann aber auch, in unge- brochener Einheit, alle Werkstätten in sich enthalten, wenn auch nicht unter einem Dache, doch in einer Verwaltung. Wie sich ein vorzüglicher Schriftsteller in diesen Dingen (Rodbertus) den Typus des classischen (hellenisch-römischen) Hauses vorgestellt hat, nach dem Satze: Nihil hic emitur, omnia domi gignuntur. Hingegen 3) das städtische Haus, wie wir es in seinem überwiegenden Charakter denken, als Haus des Handwerksmeisters, ist auch für seine nothwen- digen Bedürfnisse auf Austausch angewiesen. Was es selber hervorbringt (z. B. Schuhe), dient zum grösseren Theile nicht ihm selber, und wenn die Stadt als Ganzes, als eine Gemeinschaft von Zünften, begriffen wird, welche durch die gegenseitig fördernde Thätigkeit derselben ihre Bürgerhäuser, und somit sich selber, mit nützlichen und guten Sachen versorgt, so muss sie doch, sofern nicht selber und durch ihre Bürger Land besitzend und dessen Wirthschaft be- treibend, fortwährend Ueberschüsse hervorbringen, um sich mit den nothwendigen Lebensmitteln aus umgebenden Bauern- häusern zu versehen. So bildet sich der (für eine allge- meine Betrachtung der Cultur-Phänomene bedeutendste) Tausch zwischen Stadt und Land, bei welchem das Land des sichtlichen Vortheils geniesst, welchen Besitz der noth- wendigen gegen die entbehrlichere Waare gibt, sofern es nicht Geräthe und andere Mittel der Oekonomie sind, welche es begehrt; die Stadt desjenigen der Seltenheit und Schön- heit ihrer Producte; wenn nämlich vorausgesetzt wird, dass ein weites Landgebiet nur eine Auslese ihrer Bevölkerung in der Stadt vereinigt, daher etwa die Menge der Arbeits- kräfte, welche überschüssiges Korn und Fleisch erzeugen, zu derjenigen, welche verfügbare Handwerks- und Kunst- gegenstände hervorbringen, wie 10 zu 1 sich verhalte. Uebrigens stellen wir vor, dass hier Keiner als gewerbs- mässiger Händler, in Concurrenz mit Anderen, seine Waare an den Mann zu bringen sich vordrängt; noch als Mono- polist das dringender werdende Bedürfniss und folgliches

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/70>, abgerufen am 24.11.2024.