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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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Die Gemeinde daher bannt und öffnet die Wiesen und
Felder, bestimmt die Ländereien für Sommerfrucht, Winter-
frucht und Brache, ordnet die Zeit des Säens und Erntens
an, regelt die Weinlese, setzt später sogar den Arbeitslohn
für die Erntezeit fest. Sie hat ferner die Controle darüber,
dass die bisherige Nutzungsart der im Flurzwang stehenden
Ländereien nicht willkürlich geändert und damit die Feld-
gemeinschaft durchbrochen werde, ... nicht minder wurzeln
im Gesammtrecht alle die Beschränkungen und Belastungen
des Sondereigens in der Feldmark, welche aus der Gemenge-
lage der Landstücke folgten. ... Dahin gehört, seinem
Ursprunge nach, das gesammte Nachbarrecht, indem dasselbe
Anfangs mehr Ausfluss des die ganze Mark umschlingenden
genossenschaftlichen Bandes, als eine auf dem besonderen
Titel des benachbarten Grundstückes ruhende individuelle
Modification eines (an sich absolut gedachten) Eigenthums
war". (Nach O. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht.
Zweiter Band: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs,
S. 216--218.)
Und ein Kenner der indischen Bauer-
schaften schildert dieselben als gleichartig mit den primi-
tiven Verfassungen des Westens, und die Gemeinde als ein
organisirtes, selbständiges und selbstthätiges Wesen. "Sie
schliesst thatsächlich ein fast vollständiges Gerüste von Be-
schäftigungen und Gewerken ein, welche sie befähigt, ihr col-
lectives Leben fortzusetzen ohne Beistand von einer auswär-
tigen Person oder Körperschaft. Ausser dem Hauptmann oder
Rath, welche in einigem Maasse richterliche und gesetzgebende
Gewalt ausüben, enthalten sie eine Dorfpolizei ...., und
schliessen unterschiedliche Familien erblicher Handwerke
ein: den Grobschmied, den Geschirrmacher, den Schuster.
Da findet sich der Brahmine für den Vollzug von Cere-
monien, und sogar die Tänzerin zur Aufwartung bei Fest-
lichkeiten. Regelmässig ist ein Dorf-Rechenmeister vor-
handen .... und die Person, welche irgend eines dieser
erblichen Gewerbe betreibt, ist in Wirklichkeit sowohl ein
Knecht der Gemeinde als eines ihrer constituirenden Mit-
glieder. Er wird bisweilen bezahlt durch eine Zubilligung
von Getreide, häufiger durch Anweisung eines Stückes vom
bebauten Lande an seine Familie zu erblichem Besitze.

Die Gemeinde daher bannt und öffnet die Wiesen und
Felder, bestimmt die Ländereien für Sommerfrucht, Winter-
frucht und Brache, ordnet die Zeit des Säens und Erntens
an, regelt die Weinlese, setzt später sogar den Arbeitslohn
für die Erntezeit fest. Sie hat ferner die Controle darüber,
dass die bisherige Nutzungsart der im Flurzwang stehenden
Ländereien nicht willkürlich geändert und damit die Feld-
gemeinschaft durchbrochen werde, … nicht minder wurzeln
im Gesammtrecht alle die Beschränkungen und Belastungen
des Sondereigens in der Feldmark, welche aus der Gemenge-
lage der Landstücke folgten. … Dahin gehört, seinem
Ursprunge nach, das gesammte Nachbarrecht, indem dasselbe
Anfangs mehr Ausfluss des die ganze Mark umschlingenden
genossenschaftlichen Bandes, als eine auf dem besonderen
Titel des benachbarten Grundstückes ruhende individuelle
Modification eines (an sich absolut gedachten) Eigenthums
war«. (Nach O. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht.
Zweiter Band: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs,
S. 216—218.)
Und ein Kenner der indischen Bauer-
schaften schildert dieselben als gleichartig mit den primi-
tiven Verfassungen des Westens, und die Gemeinde als ein
organisirtes, selbständiges und selbstthätiges Wesen. »Sie
schliesst thatsächlich ein fast vollständiges Gerüste von Be-
schäftigungen und Gewerken ein, welche sie befähigt, ihr col-
lectives Leben fortzusetzen ohne Beistand von einer auswär-
tigen Person oder Körperschaft. Ausser dem Hauptmann oder
Rath, welche in einigem Maasse richterliche und gesetzgebende
Gewalt ausüben, enthalten sie eine Dorfpolizei ...., und
schliessen unterschiedliche Familien erblicher Handwerke
ein: den Grobschmied, den Geschirrmacher, den Schuster.
Da findet sich der Brahmine für den Vollzug von Cere-
monien, und sogar die Tänzerin zur Aufwartung bei Fest-
lichkeiten. Regelmässig ist ein Dorf-Rechenmeister vor-
handen .... und die Person, welche irgend eines dieser
erblichen Gewerbe betreibt, ist in Wirklichkeit sowohl ein
Knecht der Gemeinde als eines ihrer constituirenden Mit-
glieder. Er wird bisweilen bezahlt durch eine Zubilligung
von Getreide, häufiger durch Anweisung eines Stückes vom
bebauten Lande an seine Familie zu erblichem Besitze.

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[40/0076] Die Gemeinde daher bannt und öffnet die Wiesen und Felder, bestimmt die Ländereien für Sommerfrucht, Winter- frucht und Brache, ordnet die Zeit des Säens und Erntens an, regelt die Weinlese, setzt später sogar den Arbeitslohn für die Erntezeit fest. Sie hat ferner die Controle darüber, dass die bisherige Nutzungsart der im Flurzwang stehenden Ländereien nicht willkürlich geändert und damit die Feld- gemeinschaft durchbrochen werde, … nicht minder wurzeln im Gesammtrecht alle die Beschränkungen und Belastungen des Sondereigens in der Feldmark, welche aus der Gemenge- lage der Landstücke folgten. … Dahin gehört, seinem Ursprunge nach, das gesammte Nachbarrecht, indem dasselbe Anfangs mehr Ausfluss des die ganze Mark umschlingenden genossenschaftlichen Bandes, als eine auf dem besonderen Titel des benachbarten Grundstückes ruhende individuelle Modification eines (an sich absolut gedachten) Eigenthums war«. (Nach O. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht. Zweiter Band: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, S. 216—218.) Und ein Kenner der indischen Bauer- schaften schildert dieselben als gleichartig mit den primi- tiven Verfassungen des Westens, und die Gemeinde als ein organisirtes, selbständiges und selbstthätiges Wesen. »Sie schliesst thatsächlich ein fast vollständiges Gerüste von Be- schäftigungen und Gewerken ein, welche sie befähigt, ihr col- lectives Leben fortzusetzen ohne Beistand von einer auswär- tigen Person oder Körperschaft. Ausser dem Hauptmann oder Rath, welche in einigem Maasse richterliche und gesetzgebende Gewalt ausüben, enthalten sie eine Dorfpolizei ...., und schliessen unterschiedliche Familien erblicher Handwerke ein: den Grobschmied, den Geschirrmacher, den Schuster. Da findet sich der Brahmine für den Vollzug von Cere- monien, und sogar die Tänzerin zur Aufwartung bei Fest- lichkeiten. Regelmässig ist ein Dorf-Rechenmeister vor- handen .... und die Person, welche irgend eines dieser erblichen Gewerbe betreibt, ist in Wirklichkeit sowohl ein Knecht der Gemeinde als eines ihrer constituirenden Mit- glieder. Er wird bisweilen bezahlt durch eine Zubilligung von Getreide, häufiger durch Anweisung eines Stückes vom bebauten Lande an seine Familie zu erblichem Besitze.

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/76>, abgerufen am 21.11.2024.