Traun, Julius von der [d. i. Alexander Julius Schindler]: Der Gebirgspfarrer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–156. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Er zählt bis hundert und fängt an zu schlummern; in dünnen Fäden beginnt ein Traumgewebe sich anzuspinnen: -- es klirrt und klingt. Das sind die Schellen der Rosse, welche die Gäste nach Spital ziehen, kling, kling, kling -- bim! Teufel -- die eine Schelle hat einen starken Klang -- oder ist ein Glas umgefallen? -- bim -- bam! Die Hausglocke ist's nicht -- bim bam, bim bam! Das schallt vom Kirchthurm! das Zügenglöcklein! das Zügen -- Glöcklein! es läutet von selbst! o Gott -- Rosi, Licht! -- Er zieht seinen Pelz an und rennt aus dem Hause -- der Meßner stürzt eben auf die Kirche zu. Ums Gotteswillen, Herr Pfarrer, wer läutet? Ich! rief der Pfarrer, fort, ein Speisgang. Wohin? Ins Baumschlagerreit -- Marsch! In diesem Sturme, -- in diesem Gestöber, -- wir kommen nicht hinauf! Ist's nicht unsere Pflicht? -- Da haben Sie Recht, Herr Pfarrer, Sie haben es heute gepredigt: euer Wille sei nie im Kriege mit eurer Arbeit. -- Hurtig holte er die Laterne und sperrte die Kirche auf, mit zitternden Händen und niedergeschlagenen Augen nahm der Pfarrer das Ciborium aus dem Tabernakel und begann dann im wüthenden Schneegestöber mit verdoppelten Schritten den weiten Weg. Der Pfarrer erstieg den ersten Berg in stummer Hast, nur einen Gedanken denkend: wenn nur der Alte noch lebt! Er zählt bis hundert und fängt an zu schlummern; in dünnen Fäden beginnt ein Traumgewebe sich anzuspinnen: — es klirrt und klingt. Das sind die Schellen der Rosse, welche die Gäste nach Spital ziehen, kling, kling, kling — bim! Teufel — die eine Schelle hat einen starken Klang — oder ist ein Glas umgefallen? — bim — bam! Die Hausglocke ist's nicht — bim bam, bim bam! Das schallt vom Kirchthurm! das Zügenglöcklein! das Zügen — Glöcklein! es läutet von selbst! o Gott — Rosi, Licht! — Er zieht seinen Pelz an und rennt aus dem Hause — der Meßner stürzt eben auf die Kirche zu. Ums Gotteswillen, Herr Pfarrer, wer läutet? Ich! rief der Pfarrer, fort, ein Speisgang. Wohin? Ins Baumschlagerreit — Marsch! In diesem Sturme, — in diesem Gestöber, — wir kommen nicht hinauf! Ist's nicht unsere Pflicht? — Da haben Sie Recht, Herr Pfarrer, Sie haben es heute gepredigt: euer Wille sei nie im Kriege mit eurer Arbeit. — Hurtig holte er die Laterne und sperrte die Kirche auf, mit zitternden Händen und niedergeschlagenen Augen nahm der Pfarrer das Ciborium aus dem Tabernakel und begann dann im wüthenden Schneegestöber mit verdoppelten Schritten den weiten Weg. Der Pfarrer erstieg den ersten Berg in stummer Hast, nur einen Gedanken denkend: wenn nur der Alte noch lebt! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0029"/> Er zählt bis hundert und fängt an zu schlummern; in dünnen Fäden beginnt ein Traumgewebe sich anzuspinnen: — es klirrt und klingt. Das sind die Schellen der Rosse, welche die Gäste nach Spital ziehen, kling, kling, kling — bim! Teufel — die eine Schelle hat einen starken Klang — oder ist ein Glas umgefallen? — bim — bam! Die Hausglocke ist's nicht — bim bam, bim bam! Das schallt vom Kirchthurm! das Zügenglöcklein! das Zügen — Glöcklein! es läutet von selbst! o Gott — Rosi, Licht! — Er zieht seinen Pelz an und rennt aus dem Hause — der Meßner stürzt eben auf die Kirche zu.</p><lb/> <p>Ums Gotteswillen, Herr Pfarrer, wer läutet?</p><lb/> <p>Ich! rief der Pfarrer, fort, ein Speisgang.</p><lb/> <p>Wohin?</p><lb/> <p>Ins Baumschlagerreit — Marsch!</p><lb/> <p>In diesem Sturme, — in diesem Gestöber, — wir kommen nicht hinauf!</p><lb/> <p>Ist's nicht unsere Pflicht? —</p><lb/> <p>Da haben Sie Recht, Herr Pfarrer, Sie haben es heute gepredigt: euer Wille sei nie im Kriege mit eurer Arbeit. — Hurtig holte er die Laterne und sperrte die Kirche auf, mit zitternden Händen und niedergeschlagenen Augen nahm der Pfarrer das Ciborium aus dem Tabernakel und begann dann im wüthenden Schneegestöber mit verdoppelten Schritten den weiten Weg. Der Pfarrer erstieg den ersten Berg in stummer Hast, nur einen Gedanken denkend: wenn nur der Alte noch lebt!<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0029]
Er zählt bis hundert und fängt an zu schlummern; in dünnen Fäden beginnt ein Traumgewebe sich anzuspinnen: — es klirrt und klingt. Das sind die Schellen der Rosse, welche die Gäste nach Spital ziehen, kling, kling, kling — bim! Teufel — die eine Schelle hat einen starken Klang — oder ist ein Glas umgefallen? — bim — bam! Die Hausglocke ist's nicht — bim bam, bim bam! Das schallt vom Kirchthurm! das Zügenglöcklein! das Zügen — Glöcklein! es läutet von selbst! o Gott — Rosi, Licht! — Er zieht seinen Pelz an und rennt aus dem Hause — der Meßner stürzt eben auf die Kirche zu.
Ums Gotteswillen, Herr Pfarrer, wer läutet?
Ich! rief der Pfarrer, fort, ein Speisgang.
Wohin?
Ins Baumschlagerreit — Marsch!
In diesem Sturme, — in diesem Gestöber, — wir kommen nicht hinauf!
Ist's nicht unsere Pflicht? —
Da haben Sie Recht, Herr Pfarrer, Sie haben es heute gepredigt: euer Wille sei nie im Kriege mit eurer Arbeit. — Hurtig holte er die Laterne und sperrte die Kirche auf, mit zitternden Händen und niedergeschlagenen Augen nahm der Pfarrer das Ciborium aus dem Tabernakel und begann dann im wüthenden Schneegestöber mit verdoppelten Schritten den weiten Weg. Der Pfarrer erstieg den ersten Berg in stummer Hast, nur einen Gedanken denkend: wenn nur der Alte noch lebt!
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T12:38:41Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T12:38:41Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |