I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
Wie lebhaft ihn auch die Ideen des neuen Frankreichs beschäftigen, ein großer Schriftsteller ist er nur wenn er deutsche Gedanken mit französi- schen Worten ausspricht, wenn er in seinen politischen, militärischen und historischen Schriften als ein deutscher Fürst und Feldherr redet. Nicht in der Schule der Fremden, sondern durch eigene Kraft und eine unvergleichliche Erfahrung wurde Friedrich der erste Publicist unseres achtzehnten Jahrhunderts, der einzige Deutsche, der mit schöpferischer Kritik an den Staat herantrat und in großem Stile von den Pflichten des Bürgers sprach: so warm und tief wie der Verfasser der Briefe des Philopatros wußte noch Niemand aus jenem staatlosen Geschlechte über die Vaterlandsliebe zu reden. Der greise König hielt es nicht mehr der Mühe werth, von der Höhe seines französischen Parnasses hinabzu- steigen in die Niederungen deutscher Kunst und mit eigenen Augen zu prüfen, ob die Dichterkraft seines Volkes nicht endlich erwacht sei. In dem Aufsatze über die deutsche Literatur, sechs Jahre vor seinem Tode, wiederholt er noch die alten Anklagen der regelrechten Pariser Kritik wider die zuchtlose Verwilderung der deutschen Sprache, fertigt die ab- scheulichen Plattheiten des Götz von Berlichingen, den er schwerlich je gelesen, mit schnöden Worten ab. Und doch giebt gerade diese berüchtigte Abhandlung ein beredtes Zeugniß von dem leidenschaftlichen Nationalstolze des Helden. Er weissagt der Zukunft Deutschlands eine Zeit geistigen Ruhmes, die den Ahnungslosen schon mit ihrem Morgenscheine bestrahlte. Wie Moses sieht er das gelobte Land in der Ferne liegen und schließt hoffnungsvoll: "Vielleicht werden die zuletzt kommen alle ihre Vorgänger übertreffen!" So nah und so fern, so fremd und so vertraut stand Deutschlands großer König zu seinem Volke.
Die große Zeit der alten Monarchie ging zur Rüste. Um den König ward es still und stiller; die Helden, die seine Schlachten geschlagen, die Freunde, die mit ihm gelacht und geschwärmt, sanken Einer nach dem Andern ins Grab; der Fluch der Größe, die Einsamkeit kam über ihn. Er war gewohnt kein menschliches Gefühl zu schonen; waren ihm doch selber einst alle wonnigen Träume der Jugend durch den unbarmherzigen Vater zertreten worden. Im Alter ward die rücksichtslose Strenge zur unerbittlichen Härte. Der ernste Greis, der in spärlichen Mußestunden einsam mit seinen Windspielen an den Gemälden der Galerie von Sans- souci entlang schritt oder im runden Tempel des Parkes schwermüthig der verstorbenen Schwester gedachte, sah tief unter seinen Füßen ein neues Geschlecht kleiner Menschenkinder dahin ziehen; sie sollten ihn fürchten und ihm gehorchen, an ihrer Liebe lag ihm nichts. Die Uebermacht des einen Mannes lastete drückend auf den Gemüthern. Wenn er zuweilen noch in das Opernhaus kam, dann schienen Oper und Sänger vor den Zu- schauern zu versinken, Alles blickte hinüber nach der Stelle im Parterre, wo der verfallene Alte mit den großen harten Augen saß. Als die Nach-
I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
Wie lebhaft ihn auch die Ideen des neuen Frankreichs beſchäftigen, ein großer Schriftſteller iſt er nur wenn er deutſche Gedanken mit franzöſi- ſchen Worten ausſpricht, wenn er in ſeinen politiſchen, militäriſchen und hiſtoriſchen Schriften als ein deutſcher Fürſt und Feldherr redet. Nicht in der Schule der Fremden, ſondern durch eigene Kraft und eine unvergleichliche Erfahrung wurde Friedrich der erſte Publiciſt unſeres achtzehnten Jahrhunderts, der einzige Deutſche, der mit ſchöpferiſcher Kritik an den Staat herantrat und in großem Stile von den Pflichten des Bürgers ſprach: ſo warm und tief wie der Verfaſſer der Briefe des Philopatros wußte noch Niemand aus jenem ſtaatloſen Geſchlechte über die Vaterlandsliebe zu reden. Der greiſe König hielt es nicht mehr der Mühe werth, von der Höhe ſeines franzöſiſchen Parnaſſes hinabzu- ſteigen in die Niederungen deutſcher Kunſt und mit eigenen Augen zu prüfen, ob die Dichterkraft ſeines Volkes nicht endlich erwacht ſei. In dem Aufſatze über die deutſche Literatur, ſechs Jahre vor ſeinem Tode, wiederholt er noch die alten Anklagen der regelrechten Pariſer Kritik wider die zuchtloſe Verwilderung der deutſchen Sprache, fertigt die ab- ſcheulichen Plattheiten des Götz von Berlichingen, den er ſchwerlich je geleſen, mit ſchnöden Worten ab. Und doch giebt gerade dieſe berüchtigte Abhandlung ein beredtes Zeugniß von dem leidenſchaftlichen Nationalſtolze des Helden. Er weiſſagt der Zukunft Deutſchlands eine Zeit geiſtigen Ruhmes, die den Ahnungsloſen ſchon mit ihrem Morgenſcheine beſtrahlte. Wie Moſes ſieht er das gelobte Land in der Ferne liegen und ſchließt hoffnungsvoll: „Vielleicht werden die zuletzt kommen alle ihre Vorgänger übertreffen!“ So nah und ſo fern, ſo fremd und ſo vertraut ſtand Deutſchlands großer König zu ſeinem Volke.
Die große Zeit der alten Monarchie ging zur Rüſte. Um den König ward es ſtill und ſtiller; die Helden, die ſeine Schlachten geſchlagen, die Freunde, die mit ihm gelacht und geſchwärmt, ſanken Einer nach dem Andern ins Grab; der Fluch der Größe, die Einſamkeit kam über ihn. Er war gewohnt kein menſchliches Gefühl zu ſchonen; waren ihm doch ſelber einſt alle wonnigen Träume der Jugend durch den unbarmherzigen Vater zertreten worden. Im Alter ward die rückſichtsloſe Strenge zur unerbittlichen Härte. Der ernſte Greis, der in ſpärlichen Mußeſtunden einſam mit ſeinen Windſpielen an den Gemälden der Galerie von Sans- ſouci entlang ſchritt oder im runden Tempel des Parkes ſchwermüthig der verſtorbenen Schweſter gedachte, ſah tief unter ſeinen Füßen ein neues Geſchlecht kleiner Menſchenkinder dahin ziehen; ſie ſollten ihn fürchten und ihm gehorchen, an ihrer Liebe lag ihm nichts. Die Uebermacht des einen Mannes laſtete drückend auf den Gemüthern. Wenn er zuweilen noch in das Opernhaus kam, dann ſchienen Oper und Sänger vor den Zu- ſchauern zu verſinken, Alles blickte hinüber nach der Stelle im Parterre, wo der verfallene Alte mit den großen harten Augen ſaß. Als die Nach-
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I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
Wie lebhaft ihn auch die Ideen des neuen Frankreichs beſchäftigen, ein
großer Schriftſteller iſt er nur wenn er deutſche Gedanken mit franzöſi-
ſchen Worten ausſpricht, wenn er in ſeinen politiſchen, militäriſchen
und hiſtoriſchen Schriften als ein deutſcher Fürſt und Feldherr redet.
Nicht in der Schule der Fremden, ſondern durch eigene Kraft und eine
unvergleichliche Erfahrung wurde Friedrich der erſte Publiciſt unſeres
achtzehnten Jahrhunderts, der einzige Deutſche, der mit ſchöpferiſcher
Kritik an den Staat herantrat und in großem Stile von den Pflichten
des Bürgers ſprach: ſo warm und tief wie der Verfaſſer der Briefe des
Philopatros wußte noch Niemand aus jenem ſtaatloſen Geſchlechte über
die Vaterlandsliebe zu reden. Der greiſe König hielt es nicht mehr
der Mühe werth, von der Höhe ſeines franzöſiſchen Parnaſſes hinabzu-
ſteigen in die Niederungen deutſcher Kunſt und mit eigenen Augen zu
prüfen, ob die Dichterkraft ſeines Volkes nicht endlich erwacht ſei. In
dem Aufſatze über die deutſche Literatur, ſechs Jahre vor ſeinem Tode,
wiederholt er noch die alten Anklagen der regelrechten Pariſer Kritik
wider die zuchtloſe Verwilderung der deutſchen Sprache, fertigt die ab-
ſcheulichen Plattheiten des Götz von Berlichingen, den er ſchwerlich je
geleſen, mit ſchnöden Worten ab. Und doch giebt gerade dieſe berüchtigte
Abhandlung ein beredtes Zeugniß von dem leidenſchaftlichen Nationalſtolze
des Helden. Er weiſſagt der Zukunft Deutſchlands eine Zeit geiſtigen
Ruhmes, die den Ahnungsloſen ſchon mit ihrem Morgenſcheine beſtrahlte.
Wie Moſes ſieht er das gelobte Land in der Ferne liegen und ſchließt
hoffnungsvoll: „Vielleicht werden die zuletzt kommen alle ihre Vorgänger
übertreffen!“ So nah und ſo fern, ſo fremd und ſo vertraut ſtand
Deutſchlands großer König zu ſeinem Volke.
Die große Zeit der alten Monarchie ging zur Rüſte. Um den König
ward es ſtill und ſtiller; die Helden, die ſeine Schlachten geſchlagen, die
Freunde, die mit ihm gelacht und geſchwärmt, ſanken Einer nach dem
Andern ins Grab; der Fluch der Größe, die Einſamkeit kam über ihn.
Er war gewohnt kein menſchliches Gefühl zu ſchonen; waren ihm doch
ſelber einſt alle wonnigen Träume der Jugend durch den unbarmherzigen
Vater zertreten worden. Im Alter ward die rückſichtsloſe Strenge zur
unerbittlichen Härte. Der ernſte Greis, der in ſpärlichen Mußeſtunden
einſam mit ſeinen Windſpielen an den Gemälden der Galerie von Sans-
ſouci entlang ſchritt oder im runden Tempel des Parkes ſchwermüthig
der verſtorbenen Schweſter gedachte, ſah tief unter ſeinen Füßen ein neues
Geſchlecht kleiner Menſchenkinder dahin ziehen; ſie ſollten ihn fürchten und
ihm gehorchen, an ihrer Liebe lag ihm nichts. Die Uebermacht des einen
Mannes laſtete drückend auf den Gemüthern. Wenn er zuweilen noch
in das Opernhaus kam, dann ſchienen Oper und Sänger vor den Zu-
ſchauern zu verſinken, Alles blickte hinüber nach der Stelle im Parterre,
wo der verfallene Alte mit den großen harten Augen ſaß. Als die Nach-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/100>, abgerufen am 24.11.2024.
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