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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
und weil ein Staat, der unter keinen Umständen schlagen wollte, auch
nicht fähig war in einem Weltkriege zu vermitteln. Als darauf die Ab-
tretung der Rheinlande gegen den Wunsch des Königs entschieden war,
wirkten seine Diplomaten in Rastatt, wie es Preußens natürliche Politik
gebot, für eine möglichst reiche Entschädigung der weltlichen Fürsten, wäh-
rend der Wiener Hof den Umfang der Secularisationen zu beschränken
und namentlich die bewährten Stützen des habsburgischen Kaiserthums,
die drei geistlichen Kurfürsten, zu schonen wünschte. Auch den bairischen
Eroberungsplänen der Hofburg wurde von Berlin her scharf widersprochen.

Preußen und Baiern erschienen wieder, wie einst in Friedrichs Tagen,
als die Führer der anti-österreichischen Partei; doch diese Opposition wurde
nicht, wie vormals, gehoben durch das stolze Bewußtsein der eigenen Kraft.
Es zeigte sich bald, wie hinfällig jene scheinbar so glänzende Machtstellung
war, die sich der preußische Staat durch die norddeutsche Neutralität er-
rungen hatte. Seine kleinen Schützlinge fühlten schnell heraus, daß die
Erfüllung ihrer begehrlichen Wünsche nur von der gewissenlosen Thatkraft
der jungen Republik, nicht von der Berliner Friedensseligkeit zu erwarten
sei. Frankreichs Gesandte beherrschten den Congreß; Preußen spielte in
Wahrheit nur die traurige Rolle des Ersten unter den beutelustigen Klein-
staaten, wagte nicht einmal den Vorschlag zu einer durchgreifenden Neu-
ordnung der deutschen Verfassung. So tief war das Reich gesunken, als
der gefürchtete "Italiker" bei einem flüchtigen Besuche in Rastatt zum
ersten male einen Blick in das deutsche Leben warf. An dem durchtriebenen
Ränkespiele dieses unfruchtbaren Congresses hat sich Bonaparte sein Ur-
theil über unser Vaterland gebildet. Er durchschaute die vollendete Nichtig-
keit des Reichsrechts und meinte befriedigt: wenn diese Verfassung nicht
bestünde, so müßte sie zu Frankreichs Vortheil erfunden werden. Er
beobachtete mit der verächtlichen Schadenfreude des Plebejers die knechtische
Demüthigung des deutschen Fürstenstandes. Doch ihm entging auch nicht,
daß dies Land in Folge der Haltlosigkeit seiner Territorialgewalten nur
zu reif sei für die nationale Einheit; es schien ihm hohe Zeit, die kleinen
Dynasten durch Befriedigung ihrer Ländergier ganz für Frankreich zu
gewinnen und also das zertheilte Deutschland seines Volksthums zu be-
rauben (depayser l'Allemagne).

Der Rastatter Congreß wurde durch den Wiederausbruch des Krieges
auseinander getrieben. Thugut hatte die Verträge von Campo Formio
nur widerwillig angenommen, da er außer Venetien auch die päpstlichen
Legationen zu erwerben hoffte. Als Frankreich sich diesem Wunsche ver-
sagte und, der Abrede zuwider, auf die allgemeine Secularisation in
Deutschland, das will sagen: auf die Vernichtung des alten Kaiserthums,
hinarbeitete, fühlte sich die Hofburg in den Grundfesten ihrer Macht be-
droht; denn -- so schrieb der Minister nach Petersburg -- "Teutschland
bestehet nicht durch Italien, sondern Italien bestehet durch Teutschland".

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
und weil ein Staat, der unter keinen Umſtänden ſchlagen wollte, auch
nicht fähig war in einem Weltkriege zu vermitteln. Als darauf die Ab-
tretung der Rheinlande gegen den Wunſch des Königs entſchieden war,
wirkten ſeine Diplomaten in Raſtatt, wie es Preußens natürliche Politik
gebot, für eine möglichſt reiche Entſchädigung der weltlichen Fürſten, wäh-
rend der Wiener Hof den Umfang der Seculariſationen zu beſchränken
und namentlich die bewährten Stützen des habsburgiſchen Kaiſerthums,
die drei geiſtlichen Kurfürſten, zu ſchonen wünſchte. Auch den bairiſchen
Eroberungsplänen der Hofburg wurde von Berlin her ſcharf widerſprochen.

Preußen und Baiern erſchienen wieder, wie einſt in Friedrichs Tagen,
als die Führer der anti-öſterreichiſchen Partei; doch dieſe Oppoſition wurde
nicht, wie vormals, gehoben durch das ſtolze Bewußtſein der eigenen Kraft.
Es zeigte ſich bald, wie hinfällig jene ſcheinbar ſo glänzende Machtſtellung
war, die ſich der preußiſche Staat durch die norddeutſche Neutralität er-
rungen hatte. Seine kleinen Schützlinge fühlten ſchnell heraus, daß die
Erfüllung ihrer begehrlichen Wünſche nur von der gewiſſenloſen Thatkraft
der jungen Republik, nicht von der Berliner Friedensſeligkeit zu erwarten
ſei. Frankreichs Geſandte beherrſchten den Congreß; Preußen ſpielte in
Wahrheit nur die traurige Rolle des Erſten unter den beuteluſtigen Klein-
ſtaaten, wagte nicht einmal den Vorſchlag zu einer durchgreifenden Neu-
ordnung der deutſchen Verfaſſung. So tief war das Reich geſunken, als
der gefürchtete „Italiker“ bei einem flüchtigen Beſuche in Raſtatt zum
erſten male einen Blick in das deutſche Leben warf. An dem durchtriebenen
Ränkeſpiele dieſes unfruchtbaren Congreſſes hat ſich Bonaparte ſein Ur-
theil über unſer Vaterland gebildet. Er durchſchaute die vollendete Nichtig-
keit des Reichsrechts und meinte befriedigt: wenn dieſe Verfaſſung nicht
beſtünde, ſo müßte ſie zu Frankreichs Vortheil erfunden werden. Er
beobachtete mit der verächtlichen Schadenfreude des Plebejers die knechtiſche
Demüthigung des deutſchen Fürſtenſtandes. Doch ihm entging auch nicht,
daß dies Land in Folge der Haltloſigkeit ſeiner Territorialgewalten nur
zu reif ſei für die nationale Einheit; es ſchien ihm hohe Zeit, die kleinen
Dynaſten durch Befriedigung ihrer Ländergier ganz für Frankreich zu
gewinnen und alſo das zertheilte Deutſchland ſeines Volksthums zu be-
rauben (dépayser l’Allemagne).

Der Raſtatter Congreß wurde durch den Wiederausbruch des Krieges
auseinander getrieben. Thugut hatte die Verträge von Campo Formio
nur widerwillig angenommen, da er außer Venetien auch die päpſtlichen
Legationen zu erwerben hoffte. Als Frankreich ſich dieſem Wunſche ver-
ſagte und, der Abrede zuwider, auf die allgemeine Seculariſation in
Deutſchland, das will ſagen: auf die Vernichtung des alten Kaiſerthums,
hinarbeitete, fühlte ſich die Hofburg in den Grundfeſten ihrer Macht be-
droht; denn — ſo ſchrieb der Miniſter nach Petersburg — „Teutſchland
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[168/0184] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. und weil ein Staat, der unter keinen Umſtänden ſchlagen wollte, auch nicht fähig war in einem Weltkriege zu vermitteln. Als darauf die Ab- tretung der Rheinlande gegen den Wunſch des Königs entſchieden war, wirkten ſeine Diplomaten in Raſtatt, wie es Preußens natürliche Politik gebot, für eine möglichſt reiche Entſchädigung der weltlichen Fürſten, wäh- rend der Wiener Hof den Umfang der Seculariſationen zu beſchränken und namentlich die bewährten Stützen des habsburgiſchen Kaiſerthums, die drei geiſtlichen Kurfürſten, zu ſchonen wünſchte. Auch den bairiſchen Eroberungsplänen der Hofburg wurde von Berlin her ſcharf widerſprochen. Preußen und Baiern erſchienen wieder, wie einſt in Friedrichs Tagen, als die Führer der anti-öſterreichiſchen Partei; doch dieſe Oppoſition wurde nicht, wie vormals, gehoben durch das ſtolze Bewußtſein der eigenen Kraft. Es zeigte ſich bald, wie hinfällig jene ſcheinbar ſo glänzende Machtſtellung war, die ſich der preußiſche Staat durch die norddeutſche Neutralität er- rungen hatte. Seine kleinen Schützlinge fühlten ſchnell heraus, daß die Erfüllung ihrer begehrlichen Wünſche nur von der gewiſſenloſen Thatkraft der jungen Republik, nicht von der Berliner Friedensſeligkeit zu erwarten ſei. Frankreichs Geſandte beherrſchten den Congreß; Preußen ſpielte in Wahrheit nur die traurige Rolle des Erſten unter den beuteluſtigen Klein- ſtaaten, wagte nicht einmal den Vorſchlag zu einer durchgreifenden Neu- ordnung der deutſchen Verfaſſung. So tief war das Reich geſunken, als der gefürchtete „Italiker“ bei einem flüchtigen Beſuche in Raſtatt zum erſten male einen Blick in das deutſche Leben warf. An dem durchtriebenen Ränkeſpiele dieſes unfruchtbaren Congreſſes hat ſich Bonaparte ſein Ur- theil über unſer Vaterland gebildet. Er durchſchaute die vollendete Nichtig- keit des Reichsrechts und meinte befriedigt: wenn dieſe Verfaſſung nicht beſtünde, ſo müßte ſie zu Frankreichs Vortheil erfunden werden. Er beobachtete mit der verächtlichen Schadenfreude des Plebejers die knechtiſche Demüthigung des deutſchen Fürſtenſtandes. Doch ihm entging auch nicht, daß dies Land in Folge der Haltloſigkeit ſeiner Territorialgewalten nur zu reif ſei für die nationale Einheit; es ſchien ihm hohe Zeit, die kleinen Dynaſten durch Befriedigung ihrer Ländergier ganz für Frankreich zu gewinnen und alſo das zertheilte Deutſchland ſeines Volksthums zu be- rauben (dépayser l’Allemagne). Der Raſtatter Congreß wurde durch den Wiederausbruch des Krieges auseinander getrieben. Thugut hatte die Verträge von Campo Formio nur widerwillig angenommen, da er außer Venetien auch die päpſtlichen Legationen zu erwerben hoffte. Als Frankreich ſich dieſem Wunſche ver- ſagte und, der Abrede zuwider, auf die allgemeine Seculariſation in Deutſchland, das will ſagen: auf die Vernichtung des alten Kaiſerthums, hinarbeitete, fühlte ſich die Hofburg in den Grundfeſten ihrer Macht be- droht; denn — ſo ſchrieb der Miniſter nach Petersburg — „Teutſchland beſtehet nicht durch Italien, ſondern Italien beſtehet durch Teutſchland“.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/184>, abgerufen am 25.11.2024.