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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Der Bonapartismus.
Leben des neuen Frankreichs eingedrungen: die französische Nation empfand
den Verlust ihrer italienischen Machtstellung als eine unerträgliche Schmach,
begrüßte den heimkehrenden ägyptischen Helden mit aufrichtigem Jubel als
ihren Erretter. Der Staatsstreich vom 18. Brumaire brachte kraft einer
inneren Nothwendigkeit die Staatsgewalt in die Hände des Heerführers,
der schon seit drei Jahren durch den Schrecken seiner Waffen die radicale
Kriegspartei am Ruder erhalten hatte, und schenkte dem neuen Frankreich
jene Verfassung, die mit unwesentlichen Aenderungen fortbesteht bis zum
heutigen Tage. Die beiden einzigen neuen politischen Ideen, welche in
der Nation feste Wurzeln geschlagen hatten, die Gedanken der Staatseinheit
und der socialen Gleichheit, wurden bis in ihre letzten Folgen durchgeführt,
die veränderte Vertheilung des Eigenthums anerkannt und durch eine strenge
Rechtspflege gesichert. Ueber der ungegliederten Masse dieses Volkes der
Gleichen erhob sich der homme-peuple, der demokratische Selbstherrscher,
in dessen schrankenloser Macht die eine und untheilbare Nation mit Genug-
thuung ihre eigene Größe genoß. Ihm gehorchte die festgefügte Hierarchie
des schlagfertigen neuen Beamtenthums, das jedem Ehrgeiz, wenn er sich
nur dem Herrscher unterwarf, Befriedigung versprach und den Regierten
alle Sorge und Arbeit für das gemeine Wohl abnahm. Ihm diente blind-
lings das Heer der Conscribirten aus den niederen Ständen; eine den
Zwecken der Eroberungspolitik glücklich angepaßte Heeresorganisation stellte
dem ersten Consul zugleich die Massen eines Volksaufgebotes und die
technische Tüchtigkeit einer langgedienten Söldnertruppe zur Verfügung.
Die besitzenden Klassen aber sahen, befreit von der Last der Wehrpflicht,
in bequemer Sicherheit den Triumphen der dreifarbigen Fahnen zu und
lernten die aufregenden Nachrichten von Krieg und Sieg als einen un-
entbehrlichen Zeitvertreib schätzen.

Es war zugleich der höchste Triumph und die Selbstvernichtung der
Volkssouveränität. Es war der stolzeste, der gescheidteste, der bestgeordnete
Despotismus der neuen Geschichte, der nothwendige Abschluß des Entwick-
lungsganges, welchen der französische Staat seit der Thronbesteigung der
Bourbonen eingeschlagen hatte. Auch der altüberlieferte katholische Charakter
der französischen Bildung wurde jetzt durch das Concordat wiederhergestellt.
Alle die fruchtbaren neuen Gedanken, welche die Gesetzgebung der National-
versammlung und des Convents verwirklicht oder vorbereitet hatte, fanden
in dem Präfectensysteme, den Rechtsbüchern, dem Finanz- und Heerwesen
der neuen Selbstherrschaft sachkundige Verwerthung, soweit sie den beiden
Zwecken der Demokratisirung der Gesellschaft und der Centralisation des
Staates entsprachen. Hingegen von den Freiheitswünschen der Revolution,
von der Theilnahme der Nation an der Staatsleitung blieb nichts übrig
als ein leeres Schaugepränge werthloser parlamentarischer Formen. Die
Verfassung des napoleonischen Frankreichs war, wie die des altbourbo-
nischen, in Wahrheit nur eine Verwaltungsordnung. Der in den Partei-

Der Bonapartismus.
Leben des neuen Frankreichs eingedrungen: die franzöſiſche Nation empfand
den Verluſt ihrer italieniſchen Machtſtellung als eine unerträgliche Schmach,
begrüßte den heimkehrenden ägyptiſchen Helden mit aufrichtigem Jubel als
ihren Erretter. Der Staatsſtreich vom 18. Brumaire brachte kraft einer
inneren Nothwendigkeit die Staatsgewalt in die Hände des Heerführers,
der ſchon ſeit drei Jahren durch den Schrecken ſeiner Waffen die radicale
Kriegspartei am Ruder erhalten hatte, und ſchenkte dem neuen Frankreich
jene Verfaſſung, die mit unweſentlichen Aenderungen fortbeſteht bis zum
heutigen Tage. Die beiden einzigen neuen politiſchen Ideen, welche in
der Nation feſte Wurzeln geſchlagen hatten, die Gedanken der Staatseinheit
und der ſocialen Gleichheit, wurden bis in ihre letzten Folgen durchgeführt,
die veränderte Vertheilung des Eigenthums anerkannt und durch eine ſtrenge
Rechtspflege geſichert. Ueber der ungegliederten Maſſe dieſes Volkes der
Gleichen erhob ſich der homme-peuple, der demokratiſche Selbſtherrſcher,
in deſſen ſchrankenloſer Macht die eine und untheilbare Nation mit Genug-
thuung ihre eigene Größe genoß. Ihm gehorchte die feſtgefügte Hierarchie
des ſchlagfertigen neuen Beamtenthums, das jedem Ehrgeiz, wenn er ſich
nur dem Herrſcher unterwarf, Befriedigung verſprach und den Regierten
alle Sorge und Arbeit für das gemeine Wohl abnahm. Ihm diente blind-
lings das Heer der Conſcribirten aus den niederen Ständen; eine den
Zwecken der Eroberungspolitik glücklich angepaßte Heeresorganiſation ſtellte
dem erſten Conſul zugleich die Maſſen eines Volksaufgebotes und die
techniſche Tüchtigkeit einer langgedienten Söldnertruppe zur Verfügung.
Die beſitzenden Klaſſen aber ſahen, befreit von der Laſt der Wehrpflicht,
in bequemer Sicherheit den Triumphen der dreifarbigen Fahnen zu und
lernten die aufregenden Nachrichten von Krieg und Sieg als einen un-
entbehrlichen Zeitvertreib ſchätzen.

Es war zugleich der höchſte Triumph und die Selbſtvernichtung der
Volksſouveränität. Es war der ſtolzeſte, der geſcheidteſte, der beſtgeordnete
Despotismus der neuen Geſchichte, der nothwendige Abſchluß des Entwick-
lungsganges, welchen der franzöſiſche Staat ſeit der Thronbeſteigung der
Bourbonen eingeſchlagen hatte. Auch der altüberlieferte katholiſche Charakter
der franzöſiſchen Bildung wurde jetzt durch das Concordat wiederhergeſtellt.
Alle die fruchtbaren neuen Gedanken, welche die Geſetzgebung der National-
verſammlung und des Convents verwirklicht oder vorbereitet hatte, fanden
in dem Präfectenſyſteme, den Rechtsbüchern, dem Finanz- und Heerweſen
der neuen Selbſtherrſchaft ſachkundige Verwerthung, ſoweit ſie den beiden
Zwecken der Demokratiſirung der Geſellſchaft und der Centraliſation des
Staates entſprachen. Hingegen von den Freiheitswünſchen der Revolution,
von der Theilnahme der Nation an der Staatsleitung blieb nichts übrig
als ein leeres Schaugepränge werthloſer parlamentariſcher Formen. Die
Verfaſſung des napoleoniſchen Frankreichs war, wie die des altbourbo-
niſchen, in Wahrheit nur eine Verwaltungsordnung. Der in den Partei-

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[171/0187] Der Bonapartismus. Leben des neuen Frankreichs eingedrungen: die franzöſiſche Nation empfand den Verluſt ihrer italieniſchen Machtſtellung als eine unerträgliche Schmach, begrüßte den heimkehrenden ägyptiſchen Helden mit aufrichtigem Jubel als ihren Erretter. Der Staatsſtreich vom 18. Brumaire brachte kraft einer inneren Nothwendigkeit die Staatsgewalt in die Hände des Heerführers, der ſchon ſeit drei Jahren durch den Schrecken ſeiner Waffen die radicale Kriegspartei am Ruder erhalten hatte, und ſchenkte dem neuen Frankreich jene Verfaſſung, die mit unweſentlichen Aenderungen fortbeſteht bis zum heutigen Tage. Die beiden einzigen neuen politiſchen Ideen, welche in der Nation feſte Wurzeln geſchlagen hatten, die Gedanken der Staatseinheit und der ſocialen Gleichheit, wurden bis in ihre letzten Folgen durchgeführt, die veränderte Vertheilung des Eigenthums anerkannt und durch eine ſtrenge Rechtspflege geſichert. Ueber der ungegliederten Maſſe dieſes Volkes der Gleichen erhob ſich der homme-peuple, der demokratiſche Selbſtherrſcher, in deſſen ſchrankenloſer Macht die eine und untheilbare Nation mit Genug- thuung ihre eigene Größe genoß. Ihm gehorchte die feſtgefügte Hierarchie des ſchlagfertigen neuen Beamtenthums, das jedem Ehrgeiz, wenn er ſich nur dem Herrſcher unterwarf, Befriedigung verſprach und den Regierten alle Sorge und Arbeit für das gemeine Wohl abnahm. Ihm diente blind- lings das Heer der Conſcribirten aus den niederen Ständen; eine den Zwecken der Eroberungspolitik glücklich angepaßte Heeresorganiſation ſtellte dem erſten Conſul zugleich die Maſſen eines Volksaufgebotes und die techniſche Tüchtigkeit einer langgedienten Söldnertruppe zur Verfügung. Die beſitzenden Klaſſen aber ſahen, befreit von der Laſt der Wehrpflicht, in bequemer Sicherheit den Triumphen der dreifarbigen Fahnen zu und lernten die aufregenden Nachrichten von Krieg und Sieg als einen un- entbehrlichen Zeitvertreib ſchätzen. Es war zugleich der höchſte Triumph und die Selbſtvernichtung der Volksſouveränität. Es war der ſtolzeſte, der geſcheidteſte, der beſtgeordnete Despotismus der neuen Geſchichte, der nothwendige Abſchluß des Entwick- lungsganges, welchen der franzöſiſche Staat ſeit der Thronbeſteigung der Bourbonen eingeſchlagen hatte. Auch der altüberlieferte katholiſche Charakter der franzöſiſchen Bildung wurde jetzt durch das Concordat wiederhergeſtellt. Alle die fruchtbaren neuen Gedanken, welche die Geſetzgebung der National- verſammlung und des Convents verwirklicht oder vorbereitet hatte, fanden in dem Präfectenſyſteme, den Rechtsbüchern, dem Finanz- und Heerweſen der neuen Selbſtherrſchaft ſachkundige Verwerthung, ſoweit ſie den beiden Zwecken der Demokratiſirung der Geſellſchaft und der Centraliſation des Staates entſprachen. Hingegen von den Freiheitswünſchen der Revolution, von der Theilnahme der Nation an der Staatsleitung blieb nichts übrig als ein leeres Schaugepränge werthloſer parlamentariſcher Formen. Die Verfaſſung des napoleoniſchen Frankreichs war, wie die des altbourbo- niſchen, in Wahrheit nur eine Verwaltungsordnung. Der in den Partei-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/187>, abgerufen am 25.11.2024.