Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Friede von Luneville. sie ihr Schicksal mit stummer Ergebung; nur die niederrheinischen Pro-vinzen Preußens bekundeten laut ihren Schmerz über die Trennung von einem ehrenwerthen Staate. Natürlich hatte die rührige Propaganda der Revolution während der langen Jahre der französischen Occupation nicht ganz umsonst gearbeitet: man erlebte da und dort ein bescheidenes Nach- spiel des Mainzer Clubistentreibens. Die Jugend berauschte sich eine Zeit lang an der Hoffnung, ihre Heimath würde eine selbständige Tochter- republik unter Frankreichs Schutze bilden. In Koblenz tanzten die Foede- rirten der cisrheinischen Republik um den grünweißrothen Freiheitsbaum. Der Kölnische Brutus Biergans bemühte sich mit treuem Fleiße, die wüthenden Kraftworte der Marat und Desmoulins nachzuahmen; doch die Nachbildung gerieth kaum besser als die deutsche Marseillaise, das spießbürgerlich zahme Bundeslied der rheinischen Republikaner: "Auf, jubelt ihr Brüder, Vernunft hat gesiegt." Nur der junge Joseph Görres ver- stand die dem deutschen Wesen fremde Sprache des Fanatismus zu reden. Mit dem ganzen Ungestüm seines phantastischen Kopfes und mit der ganzen Unreife jener Halbbildung, die in den geistlichen Schulen der Bischofs- lande gedieh, warf sich der ehrlich begeisterte Jüngling in den Strudel der revolutionären Bewegung, pries in Reden und Flugschriften die Wunder der gallischen Freiheit. Als die Räumung von Mainz über das Schicksal der Rheinlande entschieden hatte, da hielt er dem heiligen Reiche die Leichenrede -- dem friedfertigen leidsamen Kindlein, das einst unter dem Zeichen eines unglückschwangeren Perrückenkometen geboren wurde, jetzt aber den General Bonaparte zum Testamentsvollzieher einsetzt -- und rief drohend: "Die Natur schuf den Rhein zur Grenze von Frankreich; wehe dem ohnmächtigen Sterblichen, der ihre Grenzsteine verrücken und Koth und Steinhaufen ihren scharf gezogenen Umrissen vorziehen will!" Mit solchem Hohne nahm der begabteste Sohn des Rheinlandes von seinem Vaterlande Abschied; solche Empfindungen hatte der Anblick des geistlichen Regiments in dem heißen Herzen des Mannes hervorgerufen, der bald nachher der begeisterte Apostel des Deutschthums am Rheine werden sollte! Bei den Massen des rheinischen Volks fand das jacobinische Treiben Friede von Luneville. ſie ihr Schickſal mit ſtummer Ergebung; nur die niederrheiniſchen Pro-vinzen Preußens bekundeten laut ihren Schmerz über die Trennung von einem ehrenwerthen Staate. Natürlich hatte die rührige Propaganda der Revolution während der langen Jahre der franzöſiſchen Occupation nicht ganz umſonſt gearbeitet: man erlebte da und dort ein beſcheidenes Nach- ſpiel des Mainzer Clubiſtentreibens. Die Jugend berauſchte ſich eine Zeit lang an der Hoffnung, ihre Heimath würde eine ſelbſtändige Tochter- republik unter Frankreichs Schutze bilden. In Koblenz tanzten die Foede- rirten der cisrheiniſchen Republik um den grünweißrothen Freiheitsbaum. Der Kölniſche Brutus Biergans bemühte ſich mit treuem Fleiße, die wüthenden Kraftworte der Marat und Desmoulins nachzuahmen; doch die Nachbildung gerieth kaum beſſer als die deutſche Marſeillaiſe, das ſpießbürgerlich zahme Bundeslied der rheiniſchen Republikaner: „Auf, jubelt ihr Brüder, Vernunft hat geſiegt.“ Nur der junge Joſeph Görres ver- ſtand die dem deutſchen Weſen fremde Sprache des Fanatismus zu reden. Mit dem ganzen Ungeſtüm ſeines phantaſtiſchen Kopfes und mit der ganzen Unreife jener Halbbildung, die in den geiſtlichen Schulen der Biſchofs- lande gedieh, warf ſich der ehrlich begeiſterte Jüngling in den Strudel der revolutionären Bewegung, pries in Reden und Flugſchriften die Wunder der galliſchen Freiheit. Als die Räumung von Mainz über das Schickſal der Rheinlande entſchieden hatte, da hielt er dem heiligen Reiche die Leichenrede — dem friedfertigen leidſamen Kindlein, das einſt unter dem Zeichen eines unglückſchwangeren Perrückenkometen geboren wurde, jetzt aber den General Bonaparte zum Teſtamentsvollzieher einſetzt — und rief drohend: „Die Natur ſchuf den Rhein zur Grenze von Frankreich; wehe dem ohnmächtigen Sterblichen, der ihre Grenzſteine verrücken und Koth und Steinhaufen ihren ſcharf gezogenen Umriſſen vorziehen will!“ Mit ſolchem Hohne nahm der begabteſte Sohn des Rheinlandes von ſeinem Vaterlande Abſchied; ſolche Empfindungen hatte der Anblick des geiſtlichen Regiments in dem heißen Herzen des Mannes hervorgerufen, der bald nachher der begeiſterte Apoſtel des Deutſchthums am Rheine werden ſollte! 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Friede von Luneville.
ſie ihr Schickſal mit ſtummer Ergebung; nur die niederrheiniſchen Pro-
vinzen Preußens bekundeten laut ihren Schmerz über die Trennung von
einem ehrenwerthen Staate. Natürlich hatte die rührige Propaganda der
Revolution während der langen Jahre der franzöſiſchen Occupation nicht
ganz umſonſt gearbeitet: man erlebte da und dort ein beſcheidenes Nach-
ſpiel des Mainzer Clubiſtentreibens. Die Jugend berauſchte ſich eine
Zeit lang an der Hoffnung, ihre Heimath würde eine ſelbſtändige Tochter-
republik unter Frankreichs Schutze bilden. In Koblenz tanzten die Foede-
rirten der cisrheiniſchen Republik um den grünweißrothen Freiheitsbaum.
Der Kölniſche Brutus Biergans bemühte ſich mit treuem Fleiße, die
wüthenden Kraftworte der Marat und Desmoulins nachzuahmen; doch
die Nachbildung gerieth kaum beſſer als die deutſche Marſeillaiſe, das
ſpießbürgerlich zahme Bundeslied der rheiniſchen Republikaner: „Auf, jubelt
ihr Brüder, Vernunft hat geſiegt.“ Nur der junge Joſeph Görres ver-
ſtand die dem deutſchen Weſen fremde Sprache des Fanatismus zu reden.
Mit dem ganzen Ungeſtüm ſeines phantaſtiſchen Kopfes und mit der ganzen
Unreife jener Halbbildung, die in den geiſtlichen Schulen der Biſchofs-
lande gedieh, warf ſich der ehrlich begeiſterte Jüngling in den Strudel der
revolutionären Bewegung, pries in Reden und Flugſchriften die Wunder
der galliſchen Freiheit. Als die Räumung von Mainz über das Schickſal
der Rheinlande entſchieden hatte, da hielt er dem heiligen Reiche die
Leichenrede — dem friedfertigen leidſamen Kindlein, das einſt unter dem
Zeichen eines unglückſchwangeren Perrückenkometen geboren wurde, jetzt
aber den General Bonaparte zum Teſtamentsvollzieher einſetzt — und
rief drohend: „Die Natur ſchuf den Rhein zur Grenze von Frankreich;
wehe dem ohnmächtigen Sterblichen, der ihre Grenzſteine verrücken und
Koth und Steinhaufen ihren ſcharf gezogenen Umriſſen vorziehen will!“
Mit ſolchem Hohne nahm der begabteſte Sohn des Rheinlandes von ſeinem
Vaterlande Abſchied; ſolche Empfindungen hatte der Anblick des geiſtlichen
Regiments in dem heißen Herzen des Mannes hervorgerufen, der bald
nachher der begeiſterte Apoſtel des Deutſchthums am Rheine werden ſollte!
Bei den Maſſen des rheiniſchen Volks fand das jacobiniſche Treiben
keinen Boden. Sie lebten dahin ſeufzend über die hohen Kriegslaſten und
die Unſicherheit der endloſen proviſoriſchen Zuſtände; ſie ſahen mit Un-
muth, wie die fremden Beamten das Land ausplünderten, die Denkmäler
ſeines Alterthums roh zerſtörten, die Gebirge entwaldeten, die alten Säulen
vom Grabe Karls des Großen nach Paris entführten. Erſt nach der end-
giltig vollzogenen Einverleibung lernten ſie auch die Wohlthaten der neuen
Regierung ſchätzen. Die franzöſiſche Herrſchaft wurde für die geiſtlichen
Gebiete des Rheinlandes, wie für Italien, die Bahnbrecherin des modernen
Staatslebens; ſie ſchenkte ihnen die Anfänge bürgerlicher Rechtsgleichheit,
welche in Preußen und vielen ſeiner weltlichen Nachbarſtaaten längſt be-
ſtanden, und dazu manche andere politiſche Reformen, deren das übrige
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