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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Preußen und die Mittelstaaten.
fertigte der König, dem Czaren gegenüber, Preußens eigene Entschädi-
gungsforderungen: er müsse sich stärken für den Fall, daß einst ein großer
deutscher Krieg wider Bonaparte unvermeidlich würde.

Im Hintergrunde aller dieser Pläne und Wünsche stand die schüch-
terne, unbestimmte Hoffnung, es werde gelingen, das verweltlichte Reich
oder mindestens den Norden in bündischen Formen neu zu ordnen. Die
Erkenntniß der Unhaltbarkeit des alten Kaiserthums brach sich allmählich
in immer weiteren Kreisen Bahn. Schon ein Jahr nach Friedrichs Tode
hatte eine Flugschrift kurzab die Frage aufgeworfen: "warum soll Deutsch-
land einen Kaiser haben?" Während des Krieges der zweiten Coalition
sodann erschienen die "Winke über Deutschlands Staatsverfassung" und
mahnten: "o ihr Deutschen, schließet einen festen deutschen Bund!" Aehn-
liche foederalistische Gedanken wurden auch unter den preußischen Staats-
männern besprochen. Der unermüdliche Dohm führte im Jahre 1800,
nach einer Unterredung mit dem Herzoge von Braunschweig, seine schon
in Rastatt geäußerten Vorschläge weiter aus und entwarf den Plan für
einen norddeutschen Bund. Es gelte, der Uebermacht Frankreichs, die alle
Nachbarn zugleich bedrohe, einen Damm entgegenzustellen; darum müsse
der Baseler Neutralitätsbund zu einer thatkräftigen, dauernden Foederation
umgestaltet werden; vier Sectionen unter der Leitung der mächtigeren
Mittelstaaten und der Oberleitung Preußens; ein Bundestag und stehende
Bundesgerichte; das Heer von Preußen befehligt und nach preußischem
Reglement geschult. Mit solchen Entwürfen unterhielt man sich wohl am
Berliner Hofe, sie durchzuführen wagte man nicht. Und auch Dohm
selber kam nicht los von jenem verhängnißvollen Irrthum, der alle Be-
rechnungen der preußischen Politik zu Schanden machte; auch er wähnte,
die Neubefestigung der deutschen Macht lasse sich durch friedliche Mittel
erreichen, der erste Consul werde nicht widersprechen wenn man ihm nur
die Idee der "nationalen Unabhängigkeit" nachdrücklich vorhalte!

Die Berliner Staatsklugheit bemerkte nicht, wie von Grund aus die
Machtverhältnisse im Reiche seit Friedrichs Tagen sich verschoben hatten.
Nicht Preußen, sondern Frankreich hielt jetzt die Wage des deutschen Gleich-
gewichts in seinen Händen. Frankreich vertheilte nach Gunst und Laune
die Trümmer der geistlichen Staaten. Die Mitwirkung Rußlands bei den
Verhandlungen konnte, wie die Dinge standen, nur eine scheinbare sein;
sie bewirkte lediglich, daß einige mit dem Petersburger Hofe verwandte
Fürstenhäuser bei der Ländervertheilung bevorzugt wurden. Wenn der
preußische Staat unter solchen Umständen die Bildung der neuen Mittel-
staaten beförderte, so stärkte er nur die französische Partei im Reiche ohne
sich selber einen treuen Anhang zu gewinnen; er wurde Bonapartes Mit-
schuldiger ohne sich die Bundesgenossenschaft des Uebermächtigen auf die
Dauer zu sichern.

Wie viel geschickter als diese wohlmeinende Politik der Halbheit und

Preußen und die Mittelſtaaten.
fertigte der König, dem Czaren gegenüber, Preußens eigene Entſchädi-
gungsforderungen: er müſſe ſich ſtärken für den Fall, daß einſt ein großer
deutſcher Krieg wider Bonaparte unvermeidlich würde.

Im Hintergrunde aller dieſer Pläne und Wünſche ſtand die ſchüch-
terne, unbeſtimmte Hoffnung, es werde gelingen, das verweltlichte Reich
oder mindeſtens den Norden in bündiſchen Formen neu zu ordnen. Die
Erkenntniß der Unhaltbarkeit des alten Kaiſerthums brach ſich allmählich
in immer weiteren Kreiſen Bahn. Schon ein Jahr nach Friedrichs Tode
hatte eine Flugſchrift kurzab die Frage aufgeworfen: „warum ſoll Deutſch-
land einen Kaiſer haben?“ Während des Krieges der zweiten Coalition
ſodann erſchienen die „Winke über Deutſchlands Staatsverfaſſung“ und
mahnten: „o ihr Deutſchen, ſchließet einen feſten deutſchen Bund!“ Aehn-
liche foederaliſtiſche Gedanken wurden auch unter den preußiſchen Staats-
männern beſprochen. Der unermüdliche Dohm führte im Jahre 1800,
nach einer Unterredung mit dem Herzoge von Braunſchweig, ſeine ſchon
in Raſtatt geäußerten Vorſchläge weiter aus und entwarf den Plan für
einen norddeutſchen Bund. Es gelte, der Uebermacht Frankreichs, die alle
Nachbarn zugleich bedrohe, einen Damm entgegenzuſtellen; darum müſſe
der Baſeler Neutralitätsbund zu einer thatkräftigen, dauernden Foederation
umgeſtaltet werden; vier Sectionen unter der Leitung der mächtigeren
Mittelſtaaten und der Oberleitung Preußens; ein Bundestag und ſtehende
Bundesgerichte; das Heer von Preußen befehligt und nach preußiſchem
Reglement geſchult. Mit ſolchen Entwürfen unterhielt man ſich wohl am
Berliner Hofe, ſie durchzuführen wagte man nicht. Und auch Dohm
ſelber kam nicht los von jenem verhängnißvollen Irrthum, der alle Be-
rechnungen der preußiſchen Politik zu Schanden machte; auch er wähnte,
die Neubefeſtigung der deutſchen Macht laſſe ſich durch friedliche Mittel
erreichen, der erſte Conſul werde nicht widerſprechen wenn man ihm nur
die Idee der „nationalen Unabhängigkeit“ nachdrücklich vorhalte!

Die Berliner Staatsklugheit bemerkte nicht, wie von Grund aus die
Machtverhältniſſe im Reiche ſeit Friedrichs Tagen ſich verſchoben hatten.
Nicht Preußen, ſondern Frankreich hielt jetzt die Wage des deutſchen Gleich-
gewichts in ſeinen Händen. Frankreich vertheilte nach Gunſt und Laune
die Trümmer der geiſtlichen Staaten. Die Mitwirkung Rußlands bei den
Verhandlungen konnte, wie die Dinge ſtanden, nur eine ſcheinbare ſein;
ſie bewirkte lediglich, daß einige mit dem Petersburger Hofe verwandte
Fürſtenhäuſer bei der Ländervertheilung bevorzugt wurden. Wenn der
preußiſche Staat unter ſolchen Umſtänden die Bildung der neuen Mittel-
ſtaaten beförderte, ſo ſtärkte er nur die franzöſiſche Partei im Reiche ohne
ſich ſelber einen treuen Anhang zu gewinnen; er wurde Bonapartes Mit-
ſchuldiger ohne ſich die Bundesgenoſſenſchaft des Uebermächtigen auf die
Dauer zu ſichern.

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[181/0197] Preußen und die Mittelſtaaten. fertigte der König, dem Czaren gegenüber, Preußens eigene Entſchädi- gungsforderungen: er müſſe ſich ſtärken für den Fall, daß einſt ein großer deutſcher Krieg wider Bonaparte unvermeidlich würde. Im Hintergrunde aller dieſer Pläne und Wünſche ſtand die ſchüch- terne, unbeſtimmte Hoffnung, es werde gelingen, das verweltlichte Reich oder mindeſtens den Norden in bündiſchen Formen neu zu ordnen. Die Erkenntniß der Unhaltbarkeit des alten Kaiſerthums brach ſich allmählich in immer weiteren Kreiſen Bahn. Schon ein Jahr nach Friedrichs Tode hatte eine Flugſchrift kurzab die Frage aufgeworfen: „warum ſoll Deutſch- land einen Kaiſer haben?“ Während des Krieges der zweiten Coalition ſodann erſchienen die „Winke über Deutſchlands Staatsverfaſſung“ und mahnten: „o ihr Deutſchen, ſchließet einen feſten deutſchen Bund!“ Aehn- liche foederaliſtiſche Gedanken wurden auch unter den preußiſchen Staats- männern beſprochen. Der unermüdliche Dohm führte im Jahre 1800, nach einer Unterredung mit dem Herzoge von Braunſchweig, ſeine ſchon in Raſtatt geäußerten Vorſchläge weiter aus und entwarf den Plan für einen norddeutſchen Bund. Es gelte, der Uebermacht Frankreichs, die alle Nachbarn zugleich bedrohe, einen Damm entgegenzuſtellen; darum müſſe der Baſeler Neutralitätsbund zu einer thatkräftigen, dauernden Foederation umgeſtaltet werden; vier Sectionen unter der Leitung der mächtigeren Mittelſtaaten und der Oberleitung Preußens; ein Bundestag und ſtehende Bundesgerichte; das Heer von Preußen befehligt und nach preußiſchem Reglement geſchult. Mit ſolchen Entwürfen unterhielt man ſich wohl am Berliner Hofe, ſie durchzuführen wagte man nicht. Und auch Dohm ſelber kam nicht los von jenem verhängnißvollen Irrthum, der alle Be- rechnungen der preußiſchen Politik zu Schanden machte; auch er wähnte, die Neubefeſtigung der deutſchen Macht laſſe ſich durch friedliche Mittel erreichen, der erſte Conſul werde nicht widerſprechen wenn man ihm nur die Idee der „nationalen Unabhängigkeit“ nachdrücklich vorhalte! Die Berliner Staatsklugheit bemerkte nicht, wie von Grund aus die Machtverhältniſſe im Reiche ſeit Friedrichs Tagen ſich verſchoben hatten. Nicht Preußen, ſondern Frankreich hielt jetzt die Wage des deutſchen Gleich- gewichts in ſeinen Händen. Frankreich vertheilte nach Gunſt und Laune die Trümmer der geiſtlichen Staaten. Die Mitwirkung Rußlands bei den Verhandlungen konnte, wie die Dinge ſtanden, nur eine ſcheinbare ſein; ſie bewirkte lediglich, daß einige mit dem Petersburger Hofe verwandte Fürſtenhäuſer bei der Ländervertheilung bevorzugt wurden. Wenn der preußiſche Staat unter ſolchen Umſtänden die Bildung der neuen Mittel- ſtaaten beförderte, ſo ſtärkte er nur die franzöſiſche Partei im Reiche ohne ſich ſelber einen treuen Anhang zu gewinnen; er wurde Bonapartes Mit- ſchuldiger ohne ſich die Bundesgenoſſenſchaft des Uebermächtigen auf die Dauer zu ſichern. Wie viel geſchickter als dieſe wohlmeinende Politik der Halbheit und

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/197>, abgerufen am 24.11.2024.