ihrer Erblande bedacht gewesen, erreichte ihr natürliches Ziel. Die Titel des römischen Kaisers behielt der Wiener Hof vorläufig noch bei, doch unmöglich konnte er sein bizarres Doppelkaiserthum, wie Talleyrand es spottend nannte, auf die Dauer behaupten. Ueber lang oder kurz mußte der jedes Sinnes entkleidete altheilige Name verschwinden; die Macht der karolingischen Kaiserkrone lag in Napoleons Händen.
In Berlin begrüßte man das bonapartische Kaiserthum als eine neue Bürgschaft für die bürgerliche Ordnung Frankreichs und säumte nicht die Anerkennung auszusprechen; aber von der norddeutschen Kaiserkrone, welche Napoleons Diplomaten in unbestimmten Andeutungen darboten, wollte Friedrich Wilhelms bescheidener Sinn nichts hören. Die kleinen Reichs- stände, die guten wie die schlechten, Baden und Hessen-Rothenburg, Fürsten- berg und Leiningen, Bremen und Augsburg sendeten dem gekrönten Plebejer unterwürfige Glückwunschschreiben, deren byzantinische Niedertracht selbst die Schmeicheleien der Franzosen in Schatten stellte. Sie unterzeichneten sich als Seiner Majestät allerunterthänigste und allergehorsamste Diener, feierten den Hort und Beschützer der deutschen Verfassung, den Helden und Friedensbringer, zu dessen glänzendem und wohlthätigem Genie der Welttheil in stummer Bewunderung aufblicke, schilderten beweglich, mit welcher Freude alle deutschen Herzen diesen neuen Caesar empfingen, der ihrem ersten Kaiser Karl so ähnlich sei, dankten inbrünstig für die bei den deutschen Entschädigungshändeln empfangenen Wohlthaten und empfahlen sich schließlich zu huldvoller Berücksichtigung für den Fall einer neuen Ländervertheilung.
Um das Maß der deutschen Entwürdigung zu füllen hielt Napoleon im Herbst 1804 eine Rundreise durch die neugewonnenen rheinischen Lande. In der alten Kaiserstadt Aachen übergab ihm der Gesandte des Kaisers Franz sein neues Beglaubigungsschreiben; aufrichtiger Jubel des Volks empfing den Friedensfürsten in allen rheinischen Städten. Dann hielt er in Mainz seinen prunkenden Hoftag, in denselben Räumen, wo zwölf Jahre zuvor das alte Reich seine letzten Feste gefeiert hatte. Die Fürsten des Südens und des Westens eilten herbei dem Nachfolger Karls des Großen ihre Huldigungen darzubringen. Alles schwelgte in karo- lingischen Erinnerungen; schon besprach man die Pläne für einen zweiten rheinischen Bund. Aber im einsamen Zimmer fiel der redliche alte Karl Friedrich von Baden dem Erzkanzler Dalberg schluchzend in die Arme und bejammerte den Untergang seines Vaterlandes. Was hatte dieser Fremdling gemein mit dem alten königlichen Bauersmanne der Germanen, der Nachts die Reben des rheinischen Winzers segnet? was wußte er von jenem Zauberringe der Fastrade, der einst den deutschen Karl zum deutschen Strome zog? Eine harte, mißtrauische Fremdherrschaft lastete auf Deutschland noch bevor seine Fürsten sich dem Imperator förmlich unterworfen hatten. Ueberall im Reiche hielt Napoleon seine Späher;
Napoleoniſches Kaiſerthum.
ihrer Erblande bedacht geweſen, erreichte ihr natürliches Ziel. Die Titel des römiſchen Kaiſers behielt der Wiener Hof vorläufig noch bei, doch unmöglich konnte er ſein bizarres Doppelkaiſerthum, wie Talleyrand es ſpottend nannte, auf die Dauer behaupten. Ueber lang oder kurz mußte der jedes Sinnes entkleidete altheilige Name verſchwinden; die Macht der karolingiſchen Kaiſerkrone lag in Napoleons Händen.
In Berlin begrüßte man das bonapartiſche Kaiſerthum als eine neue Bürgſchaft für die bürgerliche Ordnung Frankreichs und ſäumte nicht die Anerkennung auszuſprechen; aber von der norddeutſchen Kaiſerkrone, welche Napoleons Diplomaten in unbeſtimmten Andeutungen darboten, wollte Friedrich Wilhelms beſcheidener Sinn nichts hören. Die kleinen Reichs- ſtände, die guten wie die ſchlechten, Baden und Heſſen-Rothenburg, Fürſten- berg und Leiningen, Bremen und Augsburg ſendeten dem gekrönten Plebejer unterwürfige Glückwunſchſchreiben, deren byzantiniſche Niedertracht ſelbſt die Schmeicheleien der Franzoſen in Schatten ſtellte. Sie unterzeichneten ſich als Seiner Majeſtät allerunterthänigſte und allergehorſamſte Diener, feierten den Hort und Beſchützer der deutſchen Verfaſſung, den Helden und Friedensbringer, zu deſſen glänzendem und wohlthätigem Genie der Welttheil in ſtummer Bewunderung aufblicke, ſchilderten beweglich, mit welcher Freude alle deutſchen Herzen dieſen neuen Caeſar empfingen, der ihrem erſten Kaiſer Karl ſo ähnlich ſei, dankten inbrünſtig für die bei den deutſchen Entſchädigungshändeln empfangenen Wohlthaten und empfahlen ſich ſchließlich zu huldvoller Berückſichtigung für den Fall einer neuen Ländervertheilung.
Um das Maß der deutſchen Entwürdigung zu füllen hielt Napoleon im Herbſt 1804 eine Rundreiſe durch die neugewonnenen rheiniſchen Lande. In der alten Kaiſerſtadt Aachen übergab ihm der Geſandte des Kaiſers Franz ſein neues Beglaubigungsſchreiben; aufrichtiger Jubel des Volks empfing den Friedensfürſten in allen rheiniſchen Städten. Dann hielt er in Mainz ſeinen prunkenden Hoftag, in denſelben Räumen, wo zwölf Jahre zuvor das alte Reich ſeine letzten Feſte gefeiert hatte. Die Fürſten des Südens und des Weſtens eilten herbei dem Nachfolger Karls des Großen ihre Huldigungen darzubringen. Alles ſchwelgte in karo- lingiſchen Erinnerungen; ſchon beſprach man die Pläne für einen zweiten rheiniſchen Bund. Aber im einſamen Zimmer fiel der redliche alte Karl Friedrich von Baden dem Erzkanzler Dalberg ſchluchzend in die Arme und bejammerte den Untergang ſeines Vaterlandes. Was hatte dieſer Fremdling gemein mit dem alten königlichen Bauersmanne der Germanen, der Nachts die Reben des rheiniſchen Winzers ſegnet? was wußte er von jenem Zauberringe der Faſtrade, der einſt den deutſchen Karl zum deutſchen Strome zog? Eine harte, mißtrauiſche Fremdherrſchaft laſtete auf Deutſchland noch bevor ſeine Fürſten ſich dem Imperator förmlich unterworfen hatten. Ueberall im Reiche hielt Napoleon ſeine Späher;
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0233"n="217"/><fwplace="top"type="header">Napoleoniſches Kaiſerthum.</fw><lb/>
ihrer Erblande bedacht geweſen, erreichte ihr natürliches Ziel. Die Titel<lb/>
des römiſchen Kaiſers behielt der Wiener Hof vorläufig noch bei, doch<lb/>
unmöglich konnte er ſein bizarres Doppelkaiſerthum, wie Talleyrand es<lb/>ſpottend nannte, auf die Dauer behaupten. Ueber lang oder kurz mußte<lb/>
der jedes Sinnes entkleidete altheilige Name verſchwinden; die Macht der<lb/>
karolingiſchen Kaiſerkrone lag in Napoleons Händen.</p><lb/><p>In Berlin begrüßte man das bonapartiſche Kaiſerthum als eine neue<lb/>
Bürgſchaft für die bürgerliche Ordnung Frankreichs und ſäumte nicht die<lb/>
Anerkennung auszuſprechen; aber von der norddeutſchen Kaiſerkrone, welche<lb/>
Napoleons Diplomaten in unbeſtimmten Andeutungen darboten, wollte<lb/>
Friedrich Wilhelms beſcheidener Sinn nichts hören. Die kleinen Reichs-<lb/>ſtände, die guten wie die ſchlechten, Baden und Heſſen-Rothenburg, Fürſten-<lb/>
berg und Leiningen, Bremen und Augsburg ſendeten dem gekrönten Plebejer<lb/>
unterwürfige Glückwunſchſchreiben, deren byzantiniſche Niedertracht ſelbſt<lb/>
die Schmeicheleien der Franzoſen in Schatten ſtellte. Sie unterzeichneten<lb/>ſich als Seiner Majeſtät allerunterthänigſte und allergehorſamſte Diener,<lb/>
feierten den Hort und Beſchützer der deutſchen Verfaſſung, den Helden<lb/>
und Friedensbringer, zu deſſen glänzendem und wohlthätigem Genie der<lb/>
Welttheil in ſtummer Bewunderung aufblicke, ſchilderten beweglich, mit<lb/>
welcher Freude alle deutſchen Herzen dieſen neuen Caeſar empfingen, der<lb/>
ihrem erſten Kaiſer Karl ſo ähnlich ſei, dankten inbrünſtig für die bei den<lb/>
deutſchen Entſchädigungshändeln empfangenen Wohlthaten und empfahlen<lb/>ſich ſchließlich zu huldvoller Berückſichtigung für den Fall einer neuen<lb/>
Ländervertheilung.</p><lb/><p>Um das Maß der deutſchen Entwürdigung zu füllen hielt Napoleon<lb/>
im Herbſt 1804 eine Rundreiſe durch die neugewonnenen rheiniſchen<lb/>
Lande. In der alten Kaiſerſtadt Aachen übergab ihm der Geſandte des<lb/>
Kaiſers Franz ſein neues Beglaubigungsſchreiben; aufrichtiger Jubel des<lb/>
Volks empfing den Friedensfürſten in allen rheiniſchen Städten. Dann<lb/>
hielt er in Mainz ſeinen prunkenden Hoftag, in denſelben Räumen, wo<lb/>
zwölf Jahre zuvor das alte Reich ſeine letzten Feſte gefeiert hatte. Die<lb/>
Fürſten des Südens und des Weſtens eilten herbei dem Nachfolger Karls<lb/>
des Großen ihre Huldigungen darzubringen. Alles ſchwelgte in karo-<lb/>
lingiſchen Erinnerungen; ſchon beſprach man die Pläne für einen zweiten<lb/>
rheiniſchen Bund. Aber im einſamen Zimmer fiel der redliche alte Karl<lb/>
Friedrich von Baden dem Erzkanzler Dalberg ſchluchzend in die Arme<lb/>
und bejammerte den Untergang ſeines Vaterlandes. Was hatte dieſer<lb/>
Fremdling gemein mit dem alten königlichen Bauersmanne der Germanen,<lb/>
der Nachts die Reben des rheiniſchen Winzers ſegnet? was wußte er<lb/>
von jenem Zauberringe der Faſtrade, der einſt den deutſchen Karl zum<lb/>
deutſchen Strome zog? Eine harte, mißtrauiſche Fremdherrſchaft laſtete<lb/>
auf Deutſchland noch bevor ſeine Fürſten ſich dem Imperator förmlich<lb/>
unterworfen hatten. Ueberall im Reiche hielt Napoleon ſeine Späher;<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[217/0233]
Napoleoniſches Kaiſerthum.
ihrer Erblande bedacht geweſen, erreichte ihr natürliches Ziel. Die Titel
des römiſchen Kaiſers behielt der Wiener Hof vorläufig noch bei, doch
unmöglich konnte er ſein bizarres Doppelkaiſerthum, wie Talleyrand es
ſpottend nannte, auf die Dauer behaupten. Ueber lang oder kurz mußte
der jedes Sinnes entkleidete altheilige Name verſchwinden; die Macht der
karolingiſchen Kaiſerkrone lag in Napoleons Händen.
In Berlin begrüßte man das bonapartiſche Kaiſerthum als eine neue
Bürgſchaft für die bürgerliche Ordnung Frankreichs und ſäumte nicht die
Anerkennung auszuſprechen; aber von der norddeutſchen Kaiſerkrone, welche
Napoleons Diplomaten in unbeſtimmten Andeutungen darboten, wollte
Friedrich Wilhelms beſcheidener Sinn nichts hören. Die kleinen Reichs-
ſtände, die guten wie die ſchlechten, Baden und Heſſen-Rothenburg, Fürſten-
berg und Leiningen, Bremen und Augsburg ſendeten dem gekrönten Plebejer
unterwürfige Glückwunſchſchreiben, deren byzantiniſche Niedertracht ſelbſt
die Schmeicheleien der Franzoſen in Schatten ſtellte. Sie unterzeichneten
ſich als Seiner Majeſtät allerunterthänigſte und allergehorſamſte Diener,
feierten den Hort und Beſchützer der deutſchen Verfaſſung, den Helden
und Friedensbringer, zu deſſen glänzendem und wohlthätigem Genie der
Welttheil in ſtummer Bewunderung aufblicke, ſchilderten beweglich, mit
welcher Freude alle deutſchen Herzen dieſen neuen Caeſar empfingen, der
ihrem erſten Kaiſer Karl ſo ähnlich ſei, dankten inbrünſtig für die bei den
deutſchen Entſchädigungshändeln empfangenen Wohlthaten und empfahlen
ſich ſchließlich zu huldvoller Berückſichtigung für den Fall einer neuen
Ländervertheilung.
Um das Maß der deutſchen Entwürdigung zu füllen hielt Napoleon
im Herbſt 1804 eine Rundreiſe durch die neugewonnenen rheiniſchen
Lande. In der alten Kaiſerſtadt Aachen übergab ihm der Geſandte des
Kaiſers Franz ſein neues Beglaubigungsſchreiben; aufrichtiger Jubel des
Volks empfing den Friedensfürſten in allen rheiniſchen Städten. Dann
hielt er in Mainz ſeinen prunkenden Hoftag, in denſelben Räumen, wo
zwölf Jahre zuvor das alte Reich ſeine letzten Feſte gefeiert hatte. Die
Fürſten des Südens und des Weſtens eilten herbei dem Nachfolger Karls
des Großen ihre Huldigungen darzubringen. Alles ſchwelgte in karo-
lingiſchen Erinnerungen; ſchon beſprach man die Pläne für einen zweiten
rheiniſchen Bund. Aber im einſamen Zimmer fiel der redliche alte Karl
Friedrich von Baden dem Erzkanzler Dalberg ſchluchzend in die Arme
und bejammerte den Untergang ſeines Vaterlandes. Was hatte dieſer
Fremdling gemein mit dem alten königlichen Bauersmanne der Germanen,
der Nachts die Reben des rheiniſchen Winzers ſegnet? was wußte er
von jenem Zauberringe der Faſtrade, der einſt den deutſchen Karl zum
deutſchen Strome zog? Eine harte, mißtrauiſche Fremdherrſchaft laſtete
auf Deutſchland noch bevor ſeine Fürſten ſich dem Imperator förmlich
unterworfen hatten. Ueberall im Reiche hielt Napoleon ſeine Späher;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/233>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.