I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
laut, daß die geistlichen Gebiete heimgeramscht, den benachbarten weltlichen Fürsten unterworfen würden; und an allen großen Wendepunkten der Reichspolitik ist der nothwendige Gedanke der Secularisation seitdem regelmäßig wieder aufgetaucht, denn aus ihm sprach die Natur der Dinge. Aber das unheilvolle Gleichgewicht der Kräfte und der Gegenkräfte, das jede Bewegung des Reiches hemmte, vereitelte auch diese unabweisbare Folge der Reformation. Die Mehrzahl der geistlichen Fürsten blieb er- halten, und mit ihnen die traumhaften Herrschaftsansprüche der Sacra Caesarea Majestas, obschon das deutsche Königthum, das diese römische Krone trug, längst aller Macht entkleidet, alle Hoheitsrechte der alten Monarchie längst übergegangen waren in die Hände der Landesherren.
Zwei Drittel des deutschen Volkes außerhalb der kaiserlichen Erb- lande bekannten das Evangelium, desgleichen alle mächtigen Fürstenhäuser mit Ausnahme der Wittelsbacher und der Albertiner. Das amtliche Deutschland aber blieb katholisch. Die Altgläubigen behaupteten die Mehrheit im Kurfürsten- wie im Fürstenrathe, und das Kaiserthum be- wahrte noch immer seinen halb priesterlichen Charakter. Der Kaiser wurde durch die Krönung "ein Theilhaber unseres geistlichen Amtes", gelobte dem Papste und der Kirche die gebührenden geistlichen Ehren zu erweisen; er war von Amtswegen Canonicus mehrerer katholischer Stifter und empfing darum das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Es ist nicht anders, unter dieser römischen Theokratie konnte die Ketzerei rechtlich nicht bestehen. Die erste große politische That der deutschen Lutheraner war jene Protestation von Speyer, die dem neuen Glauben den Namen gab; sie erklärte rund heraus, die Evangelischen würden der Mehrheit im Reiche sich nicht fügen. Und also im Kampfe gegen das Reich, wie er begonnen, in beständiger Empörung hat sich der Protestantismus auch fürderhin behauptet. Er erzwang die Religionsfriedensschlüsse, dem alten Kaisereide wie dem Grundgedanken des heiligen Reichs schnurstracks zuwider, und bildete einen Staat im Staate, um die ertrotzte Glaubens- freiheit gegen die Mehrheit des Reichstags zu sichern. Das Corpus Evangelicorum blieb in milderen Formen doch ein nicht minder anarchi- scher, staatswidriger Nothbehelf, als die Conföderationen der polnischen Adelsrepublik.
Nur ein revolutionärer Entschluß, nur die Umwandlung des heiligen Reichs in einen Bund weltlicher Staaten konnte die Nation erretten aus solcher Unwahrheit ihres politischen Lebens; nur eine nationale Staatsgewalt, die ehrlich ihr weltliches Wesen eingestand, konnte den Altgläubigen wie den Evangelischen auf dem Boden des Gesetzes gerecht werden. Schon den beiden größten Publicisten unseres siebzehnten Jahr- hunderts drängte sich diese Ueberzeugung auf: der Wortführer der schwe- dischen Partei, Hippolithus a Lapide predigte mit heißer Leidenschaft den Vernichtungskrieg wider das Kaiserthum; der besonnenere Samuel
I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
laut, daß die geiſtlichen Gebiete heimgeramſcht, den benachbarten weltlichen Fürſten unterworfen würden; und an allen großen Wendepunkten der Reichspolitik iſt der nothwendige Gedanke der Seculariſation ſeitdem regelmäßig wieder aufgetaucht, denn aus ihm ſprach die Natur der Dinge. Aber das unheilvolle Gleichgewicht der Kräfte und der Gegenkräfte, das jede Bewegung des Reiches hemmte, vereitelte auch dieſe unabweisbare Folge der Reformation. Die Mehrzahl der geiſtlichen Fürſten blieb er- halten, und mit ihnen die traumhaften Herrſchaftsanſprüche der Sacra Caesarea Majestas, obſchon das deutſche Königthum, das dieſe römiſche Krone trug, längſt aller Macht entkleidet, alle Hoheitsrechte der alten Monarchie längſt übergegangen waren in die Hände der Landesherren.
Zwei Drittel des deutſchen Volkes außerhalb der kaiſerlichen Erb- lande bekannten das Evangelium, desgleichen alle mächtigen Fürſtenhäuſer mit Ausnahme der Wittelsbacher und der Albertiner. Das amtliche Deutſchland aber blieb katholiſch. Die Altgläubigen behaupteten die Mehrheit im Kurfürſten- wie im Fürſtenrathe, und das Kaiſerthum be- wahrte noch immer ſeinen halb prieſterlichen Charakter. Der Kaiſer wurde durch die Krönung „ein Theilhaber unſeres geiſtlichen Amtes“, gelobte dem Papſte und der Kirche die gebührenden geiſtlichen Ehren zu erweiſen; er war von Amtswegen Canonicus mehrerer katholiſcher Stifter und empfing darum das Abendmahl in beiderlei Geſtalt. Es iſt nicht anders, unter dieſer römiſchen Theokratie konnte die Ketzerei rechtlich nicht beſtehen. Die erſte große politiſche That der deutſchen Lutheraner war jene Proteſtation von Speyer, die dem neuen Glauben den Namen gab; ſie erklärte rund heraus, die Evangeliſchen würden der Mehrheit im Reiche ſich nicht fügen. Und alſo im Kampfe gegen das Reich, wie er begonnen, in beſtändiger Empörung hat ſich der Proteſtantismus auch fürderhin behauptet. Er erzwang die Religionsfriedensſchlüſſe, dem alten Kaiſereide wie dem Grundgedanken des heiligen Reichs ſchnurſtracks zuwider, und bildete einen Staat im Staate, um die ertrotzte Glaubens- freiheit gegen die Mehrheit des Reichstags zu ſichern. Das Corpus Evangelicorum blieb in milderen Formen doch ein nicht minder anarchi- ſcher, ſtaatswidriger Nothbehelf, als die Conföderationen der polniſchen Adelsrepublik.
Nur ein revolutionärer Entſchluß, nur die Umwandlung des heiligen Reichs in einen Bund weltlicher Staaten konnte die Nation erretten aus ſolcher Unwahrheit ihres politiſchen Lebens; nur eine nationale Staatsgewalt, die ehrlich ihr weltliches Weſen eingeſtand, konnte den Altgläubigen wie den Evangeliſchen auf dem Boden des Geſetzes gerecht werden. Schon den beiden größten Publiciſten unſeres ſiebzehnten Jahr- hunderts drängte ſich dieſe Ueberzeugung auf: der Wortführer der ſchwe- diſchen Partei, Hippolithus a Lapide predigte mit heißer Leidenſchaft den Vernichtungskrieg wider das Kaiſerthum; der beſonnenere Samuel
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I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
laut, daß die geiſtlichen Gebiete heimgeramſcht, den benachbarten weltlichen
Fürſten unterworfen würden; und an allen großen Wendepunkten der
Reichspolitik iſt der nothwendige Gedanke der Seculariſation ſeitdem
regelmäßig wieder aufgetaucht, denn aus ihm ſprach die Natur der Dinge.
Aber das unheilvolle Gleichgewicht der Kräfte und der Gegenkräfte, das
jede Bewegung des Reiches hemmte, vereitelte auch dieſe unabweisbare
Folge der Reformation. Die Mehrzahl der geiſtlichen Fürſten blieb er-
halten, und mit ihnen die traumhaften Herrſchaftsanſprüche der Sacra
Caesarea Majestas, obſchon das deutſche Königthum, das dieſe römiſche
Krone trug, längſt aller Macht entkleidet, alle Hoheitsrechte der alten
Monarchie längſt übergegangen waren in die Hände der Landesherren.
Zwei Drittel des deutſchen Volkes außerhalb der kaiſerlichen Erb-
lande bekannten das Evangelium, desgleichen alle mächtigen Fürſtenhäuſer
mit Ausnahme der Wittelsbacher und der Albertiner. Das amtliche
Deutſchland aber blieb katholiſch. Die Altgläubigen behaupteten die
Mehrheit im Kurfürſten- wie im Fürſtenrathe, und das Kaiſerthum be-
wahrte noch immer ſeinen halb prieſterlichen Charakter. Der Kaiſer
wurde durch die Krönung „ein Theilhaber unſeres geiſtlichen Amtes“,
gelobte dem Papſte und der Kirche die gebührenden geiſtlichen Ehren zu
erweiſen; er war von Amtswegen Canonicus mehrerer katholiſcher Stifter
und empfing darum das Abendmahl in beiderlei Geſtalt. Es iſt nicht
anders, unter dieſer römiſchen Theokratie konnte die Ketzerei rechtlich
nicht beſtehen. Die erſte große politiſche That der deutſchen Lutheraner
war jene Proteſtation von Speyer, die dem neuen Glauben den Namen
gab; ſie erklärte rund heraus, die Evangeliſchen würden der Mehrheit
im Reiche ſich nicht fügen. Und alſo im Kampfe gegen das Reich, wie
er begonnen, in beſtändiger Empörung hat ſich der Proteſtantismus auch
fürderhin behauptet. Er erzwang die Religionsfriedensſchlüſſe, dem alten
Kaiſereide wie dem Grundgedanken des heiligen Reichs ſchnurſtracks
zuwider, und bildete einen Staat im Staate, um die ertrotzte Glaubens-
freiheit gegen die Mehrheit des Reichstags zu ſichern. Das Corpus
Evangelicorum blieb in milderen Formen doch ein nicht minder anarchi-
ſcher, ſtaatswidriger Nothbehelf, als die Conföderationen der polniſchen
Adelsrepublik.
Nur ein revolutionärer Entſchluß, nur die Umwandlung des heiligen
Reichs in einen Bund weltlicher Staaten konnte die Nation erretten
aus ſolcher Unwahrheit ihres politiſchen Lebens; nur eine nationale
Staatsgewalt, die ehrlich ihr weltliches Weſen eingeſtand, konnte den
Altgläubigen wie den Evangeliſchen auf dem Boden des Geſetzes gerecht
werden. Schon den beiden größten Publiciſten unſeres ſiebzehnten Jahr-
hunderts drängte ſich dieſe Ueberzeugung auf: der Wortführer der ſchwe-
diſchen Partei, Hippolithus a Lapide predigte mit heißer Leidenſchaft den
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/24>, abgerufen am 21.11.2024.
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