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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Der Rheinbund.
freilich nicht fehlen lassen. Die Mehrzahl war zu einer Frankfurter
Union zusammengetreten und hielt sich in Paris einen gemeinschaft-
lichen Gesandten. Fort und fort wurde der Gewaltige von den geäng-
steten Kleinfürsten mit Bitten und Anliegen behelligt; wenn er bei guter
Stimmung war, so ließ er sich auch wohl durch seinen Talleyrand be-
richten ce que c'est que ce prince-la und gab eine gnädige Antwort.
Doch mit waffenlosen Vasallen wußte der Eroberer nichts anzufangen;
auch beargwöhnte er die Freundschaft, welche einige dieser kleinen Herren
mit Preußen, die Meisten mit Oesterreich verband. Sein Entschluß war
gefaßt: "es liegt in der Natur der gegenwärtigen Verhältnisse, daß die
kleinen Fürsten vernichtet werden." Schon erhob sich über den Trümmern
der alten Staatengesellschaft das neue Foederativsystem: die "Sonnen-
Nation" Frankreich umgeben von Trabantenstaaten. Zwei Brüder des
Imperators bestiegen die Throne von Holland und Neapel; das übrige
Italien und die Schweiz hielt er unter seiner Botmäßigkeit. Für den
Deutschen Bund, der die Reihe dieser Trabantenvölker zu verstärken be-
stimmt war, rechnete er zunächst auf die vier süddeutschen Mittelstaaten
und auf das neue niederrheinische Großherzogthum Joachim Murats; von
den kleineren dachte er nur wenige zu verschonen, die sich durch Unter-
thänigkeit oder hohe Verwandtschaft empfahlen.

Im Frühjahr 1806 verbreitete sich an den deutschen Höfen das Ge-
rücht, eine neue umfassende Mediatisirung sei im Anzuge. Abermals wie
vier Jahre zuvor eilten die Gesandten unseres hohen Adels nach Paris
um durch Schmeichelei und Bestechung ihren Herren den Beutetheil zu
sichern. Wieder wie damals mußte ein Elsasser das Geschäft der deutschen
Ländervertheilung besorgen: der alte Reichspublicist Pfeffel unter der
Leitung Talleyrands und Labesnardieres. Währenddem gelangte die Ver-
fassung des Rheinbundes in Napoleons Cabinet zum Abschluß; mit keinem
der deutschen Höfe wurden Unterhandlungen geführt, selbst von den Ge-
sandten in Paris erhielten nur vier die Urkunde zum Lesen, bevor Talley-
rand am 12. Juli die Getreuen zur Sitzung berief. Hier hielt er ihnen-ihre
hilflose Lage vor, wie sie als Rebellen gegen das Reich nicht mehr auf
halbem Wege stehen bleiben dürften; dann wurde die Urkunde ohne jede
Berathung angenommen. Der rheinische Bund Ludwigs XIV. lebte wieder
auf, in ungleich stärkeren Formen. Sechzehn deutsche Fürsten sagten sich
vom Reiche los, erklärten sich selbst für souverän, jedes Gesetz des altehr-
würdigen nationalen Gemeinwesens für nichtig und wirkungslos; sie er-
kannten Napoleon als ihren Protector an, stellten ihm für jeden Festlands-
krieg Frankreichs ein Heer von 63,000 Mann zur Verfügung. Unbedingte
Unterwerfung in Sachen der europäischen Politik und ebenso unbeschränkte
Souveränität im Innern -- das waren die beiden aus gründlicher Kennt-
niß des deutschen Fürstenstandes geschöpften leitenden Gedanken der Rhein-
bundsverfassung. Die Höfe ertrugen die Unterwerfung, weil sie eingepreßt

Der Rheinbund.
freilich nicht fehlen laſſen. Die Mehrzahl war zu einer Frankfurter
Union zuſammengetreten und hielt ſich in Paris einen gemeinſchaft-
lichen Geſandten. Fort und fort wurde der Gewaltige von den geäng-
ſteten Kleinfürſten mit Bitten und Anliegen behelligt; wenn er bei guter
Stimmung war, ſo ließ er ſich auch wohl durch ſeinen Talleyrand be-
richten ce que c’est que ce prince-là und gab eine gnädige Antwort.
Doch mit waffenloſen Vaſallen wußte der Eroberer nichts anzufangen;
auch beargwöhnte er die Freundſchaft, welche einige dieſer kleinen Herren
mit Preußen, die Meiſten mit Oeſterreich verband. Sein Entſchluß war
gefaßt: „es liegt in der Natur der gegenwärtigen Verhältniſſe, daß die
kleinen Fürſten vernichtet werden.“ Schon erhob ſich über den Trümmern
der alten Staatengeſellſchaft das neue Foederativſyſtem: die „Sonnen-
Nation“ Frankreich umgeben von Trabantenſtaaten. Zwei Brüder des
Imperators beſtiegen die Throne von Holland und Neapel; das übrige
Italien und die Schweiz hielt er unter ſeiner Botmäßigkeit. Für den
Deutſchen Bund, der die Reihe dieſer Trabantenvölker zu verſtärken be-
ſtimmt war, rechnete er zunächſt auf die vier ſüddeutſchen Mittelſtaaten
und auf das neue niederrheiniſche Großherzogthum Joachim Murats; von
den kleineren dachte er nur wenige zu verſchonen, die ſich durch Unter-
thänigkeit oder hohe Verwandtſchaft empfahlen.

Im Frühjahr 1806 verbreitete ſich an den deutſchen Höfen das Ge-
rücht, eine neue umfaſſende Mediatiſirung ſei im Anzuge. Abermals wie
vier Jahre zuvor eilten die Geſandten unſeres hohen Adels nach Paris
um durch Schmeichelei und Beſtechung ihren Herren den Beutetheil zu
ſichern. Wieder wie damals mußte ein Elſaſſer das Geſchäft der deutſchen
Ländervertheilung beſorgen: der alte Reichspubliciſt Pfeffel unter der
Leitung Talleyrands und Labesnardieres. Währenddem gelangte die Ver-
faſſung des Rheinbundes in Napoleons Cabinet zum Abſchluß; mit keinem
der deutſchen Höfe wurden Unterhandlungen geführt, ſelbſt von den Ge-
ſandten in Paris erhielten nur vier die Urkunde zum Leſen, bevor Talley-
rand am 12. Juli die Getreuen zur Sitzung berief. Hier hielt er ihnen-ihre
hilfloſe Lage vor, wie ſie als Rebellen gegen das Reich nicht mehr auf
halbem Wege ſtehen bleiben dürften; dann wurde die Urkunde ohne jede
Berathung angenommen. Der rheiniſche Bund Ludwigs XIV. lebte wieder
auf, in ungleich ſtärkeren Formen. Sechzehn deutſche Fürſten ſagten ſich
vom Reiche los, erklärten ſich ſelbſt für ſouverän, jedes Geſetz des altehr-
würdigen nationalen Gemeinweſens für nichtig und wirkungslos; ſie er-
kannten Napoleon als ihren Protector an, ſtellten ihm für jeden Feſtlands-
krieg Frankreichs ein Heer von 63,000 Mann zur Verfügung. Unbedingte
Unterwerfung in Sachen der europäiſchen Politik und ebenſo unbeſchränkte
Souveränität im Innern — das waren die beiden aus gründlicher Kennt-
niß des deutſchen Fürſtenſtandes geſchöpften leitenden Gedanken der Rhein-
bundsverfaſſung. Die Höfe ertrugen die Unterwerfung, weil ſie eingepreßt

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[231/0247] Der Rheinbund. freilich nicht fehlen laſſen. Die Mehrzahl war zu einer Frankfurter Union zuſammengetreten und hielt ſich in Paris einen gemeinſchaft- lichen Geſandten. Fort und fort wurde der Gewaltige von den geäng- ſteten Kleinfürſten mit Bitten und Anliegen behelligt; wenn er bei guter Stimmung war, ſo ließ er ſich auch wohl durch ſeinen Talleyrand be- richten ce que c’est que ce prince-là und gab eine gnädige Antwort. Doch mit waffenloſen Vaſallen wußte der Eroberer nichts anzufangen; auch beargwöhnte er die Freundſchaft, welche einige dieſer kleinen Herren mit Preußen, die Meiſten mit Oeſterreich verband. Sein Entſchluß war gefaßt: „es liegt in der Natur der gegenwärtigen Verhältniſſe, daß die kleinen Fürſten vernichtet werden.“ Schon erhob ſich über den Trümmern der alten Staatengeſellſchaft das neue Foederativſyſtem: die „Sonnen- Nation“ Frankreich umgeben von Trabantenſtaaten. Zwei Brüder des Imperators beſtiegen die Throne von Holland und Neapel; das übrige Italien und die Schweiz hielt er unter ſeiner Botmäßigkeit. Für den Deutſchen Bund, der die Reihe dieſer Trabantenvölker zu verſtärken be- ſtimmt war, rechnete er zunächſt auf die vier ſüddeutſchen Mittelſtaaten und auf das neue niederrheiniſche Großherzogthum Joachim Murats; von den kleineren dachte er nur wenige zu verſchonen, die ſich durch Unter- thänigkeit oder hohe Verwandtſchaft empfahlen. Im Frühjahr 1806 verbreitete ſich an den deutſchen Höfen das Ge- rücht, eine neue umfaſſende Mediatiſirung ſei im Anzuge. Abermals wie vier Jahre zuvor eilten die Geſandten unſeres hohen Adels nach Paris um durch Schmeichelei und Beſtechung ihren Herren den Beutetheil zu ſichern. Wieder wie damals mußte ein Elſaſſer das Geſchäft der deutſchen Ländervertheilung beſorgen: der alte Reichspubliciſt Pfeffel unter der Leitung Talleyrands und Labesnardieres. Währenddem gelangte die Ver- faſſung des Rheinbundes in Napoleons Cabinet zum Abſchluß; mit keinem der deutſchen Höfe wurden Unterhandlungen geführt, ſelbſt von den Ge- ſandten in Paris erhielten nur vier die Urkunde zum Leſen, bevor Talley- rand am 12. Juli die Getreuen zur Sitzung berief. Hier hielt er ihnen-ihre hilfloſe Lage vor, wie ſie als Rebellen gegen das Reich nicht mehr auf halbem Wege ſtehen bleiben dürften; dann wurde die Urkunde ohne jede Berathung angenommen. Der rheiniſche Bund Ludwigs XIV. lebte wieder auf, in ungleich ſtärkeren Formen. Sechzehn deutſche Fürſten ſagten ſich vom Reiche los, erklärten ſich ſelbſt für ſouverän, jedes Geſetz des altehr- würdigen nationalen Gemeinweſens für nichtig und wirkungslos; ſie er- kannten Napoleon als ihren Protector an, ſtellten ihm für jeden Feſtlands- krieg Frankreichs ein Heer von 63,000 Mann zur Verfügung. Unbedingte Unterwerfung in Sachen der europäiſchen Politik und ebenſo unbeſchränkte Souveränität im Innern — das waren die beiden aus gründlicher Kennt- niß des deutſchen Fürſtenſtandes geſchöpften leitenden Gedanken der Rhein- bundsverfaſſung. Die Höfe ertrugen die Unterwerfung, weil ſie eingepreßt

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/247>, abgerufen am 22.11.2024.