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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Unterwerfung der norddeutschen Fürsten.
Verwandten vor. Nur eine der eingesessenen norddeutschen Dynastien
war ihm als ein natürlicher Freund willkommen: die alten Nebenbuhler
der Hohenzollern, die Albertiner, für deren Souveränität er ja angeblich
die Waffen ergriffen hatte. Am 11. December wurde Kursachsen durch
den Posener Frieden in den Rheinbund aufgenommen und mit der Königs-
krone begnadigt. Um den neuen König für immer von Preußen zu trennen
schenkte ihm Napoleon die preußische Niederlausitz, das treue Cottbuser
Land, und befahl ihm, sofort ein Hilfscorps gegen den verrathenen Bundes-
genossen ins Feld zu senden. Auch die persönliche Dankbarkeit des bigotten
Friedrich August gewann sich der Imperator, da er die Gleichberechtigung
der Katholiken und der Protestanten in Sachsen anordnete, eine Neuerung,
welche der Dresdner Hof bei seinen hartlutherischen Ständen niemals
hätte durchsetzen können. Dieser letztere Schritt Napoleons war übrigens
mehr als ein diplomatischer Schachzug; denn immer deutlicher von Jahr
zu Jahr trat die innere Verwandtschaft hervor, welche jedes moderne
Weltreich mit der römischen Weltkirche verbindet. Auch der Erbe der Re-
volution konnte den Beistand Roms nicht entbehren, so wenig wie einst
Karl der Fünfte; seine Briefe an den heiligen Stuhl wie seine Botschaften
an den Senat betonten nachdrücklich, wie er überall unsere heilige Religion
von ihren protestantischen Verfolgern befreit habe und den Todfeind der
römischen Kirche, England, unablässig bekämpfe.

In Kursachsen aber feierte die deutsche Unterthänigkeit ihre Satur-
nalien, gemeiner noch als ein Jahr zuvor in Baiern. Wie fühlte man
sich so glücklich, dem stolzen preußischen Nachbarn endlich wieder im Range
gleich zu stehen! Auf Neujahr 1807, während an der Weichsel um die
letzten Splitter deutscher Freiheit gefochten wurde, veranstaltete die Stadt
Leipzig ein prächtiges Freudenfest zu Ehren der neuen Rautenkrone. Die
Sonne Napoleons, das prahlerische Sinnbild, das er von seinem Vor-
fahren Ludwig XIV. entlehnt hatte, leuchtete weithin durch die geschmückten
Gassen. Auf dem Markte prangte der Altar des Vaterlandes; die Stu-
denten rückten in feierlichem Zuge heran und verbrannten dort ihre Fackeln
unter dem Jubelgesange: "gerettet ist das Vaterland!" Auch die Cadaver
in der akademischen Anatomie schlossen sich dem kursächsischen National-
vergnügen an; eine erleuchtete Inschrift über der Eingangsthüre verkündete:
"Selbst die Todten rufen: Lebe!"

Die übrigen kleinen Herren des Nordens waren in Napoleons
Augen nur preußische Vasallen und Offiziere, gern hätte er sie alle-
sammt entfernt. Aber die zerstreute Lage dieser wundersamen Staats-
gebilde erschwerte die Einverleibung, auch stand ein zuverlässiger Rhein-
bundskönig, dem man sie schenken konnte, augenblicklich nicht zur Ver-
fügung. Den Imperator quälten ernstere Sorgen, er legte auf die Frage
nicht mehr Werth als sie verdiente und wünschte vor Allem raschen Abschluß
des Handels, weil er die kleinen Contingente sogleich in dem preußischen

Unterwerfung der norddeutſchen Fürſten.
Verwandten vor. Nur eine der eingeſeſſenen norddeutſchen Dynaſtien
war ihm als ein natürlicher Freund willkommen: die alten Nebenbuhler
der Hohenzollern, die Albertiner, für deren Souveränität er ja angeblich
die Waffen ergriffen hatte. Am 11. December wurde Kurſachſen durch
den Poſener Frieden in den Rheinbund aufgenommen und mit der Königs-
krone begnadigt. Um den neuen König für immer von Preußen zu trennen
ſchenkte ihm Napoleon die preußiſche Niederlauſitz, das treue Cottbuſer
Land, und befahl ihm, ſofort ein Hilfscorps gegen den verrathenen Bundes-
genoſſen ins Feld zu ſenden. Auch die perſönliche Dankbarkeit des bigotten
Friedrich Auguſt gewann ſich der Imperator, da er die Gleichberechtigung
der Katholiken und der Proteſtanten in Sachſen anordnete, eine Neuerung,
welche der Dresdner Hof bei ſeinen hartlutheriſchen Ständen niemals
hätte durchſetzen können. Dieſer letztere Schritt Napoleons war übrigens
mehr als ein diplomatiſcher Schachzug; denn immer deutlicher von Jahr
zu Jahr trat die innere Verwandtſchaft hervor, welche jedes moderne
Weltreich mit der römiſchen Weltkirche verbindet. Auch der Erbe der Re-
volution konnte den Beiſtand Roms nicht entbehren, ſo wenig wie einſt
Karl der Fünfte; ſeine Briefe an den heiligen Stuhl wie ſeine Botſchaften
an den Senat betonten nachdrücklich, wie er überall unſere heilige Religion
von ihren proteſtantiſchen Verfolgern befreit habe und den Todfeind der
römiſchen Kirche, England, unabläſſig bekämpfe.

In Kurſachſen aber feierte die deutſche Unterthänigkeit ihre Satur-
nalien, gemeiner noch als ein Jahr zuvor in Baiern. Wie fühlte man
ſich ſo glücklich, dem ſtolzen preußiſchen Nachbarn endlich wieder im Range
gleich zu ſtehen! Auf Neujahr 1807, während an der Weichſel um die
letzten Splitter deutſcher Freiheit gefochten wurde, veranſtaltete die Stadt
Leipzig ein prächtiges Freudenfeſt zu Ehren der neuen Rautenkrone. Die
Sonne Napoleons, das prahleriſche Sinnbild, das er von ſeinem Vor-
fahren Ludwig XIV. entlehnt hatte, leuchtete weithin durch die geſchmückten
Gaſſen. Auf dem Markte prangte der Altar des Vaterlandes; die Stu-
denten rückten in feierlichem Zuge heran und verbrannten dort ihre Fackeln
unter dem Jubelgeſange: „gerettet iſt das Vaterland!“ Auch die Cadaver
in der akademiſchen Anatomie ſchloſſen ſich dem kurſächſiſchen National-
vergnügen an; eine erleuchtete Inſchrift über der Eingangsthüre verkündete:
„Selbſt die Todten rufen: Lebe!“

Die übrigen kleinen Herren des Nordens waren in Napoleons
Augen nur preußiſche Vaſallen und Offiziere, gern hätte er ſie alle-
ſammt entfernt. Aber die zerſtreute Lage dieſer wunderſamen Staats-
gebilde erſchwerte die Einverleibung, auch ſtand ein zuverläſſiger Rhein-
bundskönig, dem man ſie ſchenken konnte, augenblicklich nicht zur Ver-
fügung. Den Imperator quälten ernſtere Sorgen, er legte auf die Frage
nicht mehr Werth als ſie verdiente und wünſchte vor Allem raſchen Abſchluß
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[255/0271] Unterwerfung der norddeutſchen Fürſten. Verwandten vor. Nur eine der eingeſeſſenen norddeutſchen Dynaſtien war ihm als ein natürlicher Freund willkommen: die alten Nebenbuhler der Hohenzollern, die Albertiner, für deren Souveränität er ja angeblich die Waffen ergriffen hatte. Am 11. December wurde Kurſachſen durch den Poſener Frieden in den Rheinbund aufgenommen und mit der Königs- krone begnadigt. Um den neuen König für immer von Preußen zu trennen ſchenkte ihm Napoleon die preußiſche Niederlauſitz, das treue Cottbuſer Land, und befahl ihm, ſofort ein Hilfscorps gegen den verrathenen Bundes- genoſſen ins Feld zu ſenden. Auch die perſönliche Dankbarkeit des bigotten Friedrich Auguſt gewann ſich der Imperator, da er die Gleichberechtigung der Katholiken und der Proteſtanten in Sachſen anordnete, eine Neuerung, welche der Dresdner Hof bei ſeinen hartlutheriſchen Ständen niemals hätte durchſetzen können. Dieſer letztere Schritt Napoleons war übrigens mehr als ein diplomatiſcher Schachzug; denn immer deutlicher von Jahr zu Jahr trat die innere Verwandtſchaft hervor, welche jedes moderne Weltreich mit der römiſchen Weltkirche verbindet. Auch der Erbe der Re- volution konnte den Beiſtand Roms nicht entbehren, ſo wenig wie einſt Karl der Fünfte; ſeine Briefe an den heiligen Stuhl wie ſeine Botſchaften an den Senat betonten nachdrücklich, wie er überall unſere heilige Religion von ihren proteſtantiſchen Verfolgern befreit habe und den Todfeind der römiſchen Kirche, England, unabläſſig bekämpfe. In Kurſachſen aber feierte die deutſche Unterthänigkeit ihre Satur- nalien, gemeiner noch als ein Jahr zuvor in Baiern. Wie fühlte man ſich ſo glücklich, dem ſtolzen preußiſchen Nachbarn endlich wieder im Range gleich zu ſtehen! Auf Neujahr 1807, während an der Weichſel um die letzten Splitter deutſcher Freiheit gefochten wurde, veranſtaltete die Stadt Leipzig ein prächtiges Freudenfeſt zu Ehren der neuen Rautenkrone. Die Sonne Napoleons, das prahleriſche Sinnbild, das er von ſeinem Vor- fahren Ludwig XIV. entlehnt hatte, leuchtete weithin durch die geſchmückten Gaſſen. Auf dem Markte prangte der Altar des Vaterlandes; die Stu- denten rückten in feierlichem Zuge heran und verbrannten dort ihre Fackeln unter dem Jubelgeſange: „gerettet iſt das Vaterland!“ Auch die Cadaver in der akademiſchen Anatomie ſchloſſen ſich dem kurſächſiſchen National- vergnügen an; eine erleuchtete Inſchrift über der Eingangsthüre verkündete: „Selbſt die Todten rufen: Lebe!“ Die übrigen kleinen Herren des Nordens waren in Napoleons Augen nur preußiſche Vaſallen und Offiziere, gern hätte er ſie alle- ſammt entfernt. Aber die zerſtreute Lage dieſer wunderſamen Staats- gebilde erſchwerte die Einverleibung, auch ſtand ein zuverläſſiger Rhein- bundskönig, dem man ſie ſchenken konnte, augenblicklich nicht zur Ver- fügung. Den Imperator quälten ernſtere Sorgen, er legte auf die Frage nicht mehr Werth als ſie verdiente und wünſchte vor Allem raſchen Abſchluß des Handels, weil er die kleinen Contingente ſogleich in dem preußiſchen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/271>, abgerufen am 09.11.2024.