wetteifernd um die Hofburg. Napoleon bot ihr Schlesien zum Austausche gegen Galizien; der Czar sendete den Todfeind des Hauses Bonaparte, Pozzo di Borgo, mit dringenden Mahnungen nach Wien; der König von Preußen erklärte sich in seiner Bedrängniß sogar bereit, einem öster- reichischen Hilfsheere die vorläufige Besetzung der schlesischen Festungen zu gestatten. Doch Erzherzog Karl blieb obenauf mit seiner friedfertigen Politik; um die Unthätigkeit zu bemänteln erbot sich Oesterreich endlich zu einer Friedensvermittlung, die in solcher Lage nichts fruchten konnte. Die Freundschaft des Czaren bot der wankenden preußischen Monarchie die letzte Stütze, und an schönen Worten ließ es der schwärmerische junge Herr nicht fehlen, als er im Frühjahr selber auf dem Kriegsschauplatze erschien. Wie strahlte er in zärtlicher Liebenswürdigkeit inmitten der könig- lichen Familie: verzückte blaue Augen, und doch verschwommen, ohne Tiefe; edle und doch unreife, halb durchgearbeitete Züge. "Nicht wahr? Keiner von uns Beiden fällt allein!" sagte er inbrünstig zu seinem un- glücklichen Freunde. Mancher ehrliche Preuße meinte nun erst Alexanders großes Herz ganz zu verstehen.
Es bezeichnet Hardenbergs ganzes Wesen, seinen unerschrockenen Muth wie seine leichtlebige Beweglichkeit, daß er in solcher Zeit, während Preußens Dasein noch in Frage stand, bereits einen großgedachten, weit- umfassenden Plan für die Neuordnung Deutschlands und des gesammten Staatensystems zu entwerfen wagte. Mehr als zehn Jahre lang hatte er der Hoffnung gelebt, mit Frankreichs Beistand eine norddeutsche Groß- macht, die dem Hause Oesterreich die Stange hielte, zu bilden; sobald er die Hohlheit dieser Träume erkannte, ergriff er sofort ein neues System deutscher Politik, dem er dann bis zum Tode treu blieb: die Politik des geregelten Dualismus. Gar zu vernehmlich hatte doch das Schicksal ge- sprochen: vereinzelt waren Oesterreich und Preußen unterlegen, nur ihre treue Eintracht konnte Deutschland befreien. In diesem Gedanken be- gegnen sich während der folgenden Jahre alle preußischen Patrioten ohne Unterschied der Partei; wie ein Naturlaut bricht er gleichzeitig aus hunderten besorgter Herzen hervor. In den Schriften von Gentz kehrt er als ein ceterum censeo wieder; auf den kunstvollen Zeichnungen, worin Oberst Knesebeck die Zukunft des Welttheils darzustellen liebte, wird die Wage Europas immer durch den Bund Oesterreichs und Preußens aufrecht erhalten. Arndt und Kleist beschwören die beiden mächtigsten Söhne Germaniens sich zu vertragen; die Königin Luise ersehnt den Tag, da die versöhnten deutschen Brüder gemeinsam in den heiligen Krieg ziehen werden. Nur der König hielt in aller Stille seine alte Meinung fest und dachte, wenn er auf ein europäisches Bündniß gegen Frankreich rechnete, stets in erster Linie an Rußland. Hardenberg dagegen betrachtete jetzt die Nebenbuhlerschaft der beiden deutschen Mächte als ein überwundenes un- glückseliges Vorurtheil, ihre Interessen als schlechthin gleich. Arglos, groß-
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
wetteifernd um die Hofburg. Napoleon bot ihr Schleſien zum Austauſche gegen Galizien; der Czar ſendete den Todfeind des Hauſes Bonaparte, Pozzo di Borgo, mit dringenden Mahnungen nach Wien; der König von Preußen erklärte ſich in ſeiner Bedrängniß ſogar bereit, einem öſter- reichiſchen Hilfsheere die vorläufige Beſetzung der ſchleſiſchen Feſtungen zu geſtatten. Doch Erzherzog Karl blieb obenauf mit ſeiner friedfertigen Politik; um die Unthätigkeit zu bemänteln erbot ſich Oeſterreich endlich zu einer Friedensvermittlung, die in ſolcher Lage nichts fruchten konnte. Die Freundſchaft des Czaren bot der wankenden preußiſchen Monarchie die letzte Stütze, und an ſchönen Worten ließ es der ſchwärmeriſche junge Herr nicht fehlen, als er im Frühjahr ſelber auf dem Kriegsſchauplatze erſchien. Wie ſtrahlte er in zärtlicher Liebenswürdigkeit inmitten der könig- lichen Familie: verzückte blaue Augen, und doch verſchwommen, ohne Tiefe; edle und doch unreife, halb durchgearbeitete Züge. „Nicht wahr? Keiner von uns Beiden fällt allein!“ ſagte er inbrünſtig zu ſeinem un- glücklichen Freunde. Mancher ehrliche Preuße meinte nun erſt Alexanders großes Herz ganz zu verſtehen.
Es bezeichnet Hardenbergs ganzes Weſen, ſeinen unerſchrockenen Muth wie ſeine leichtlebige Beweglichkeit, daß er in ſolcher Zeit, während Preußens Daſein noch in Frage ſtand, bereits einen großgedachten, weit- umfaſſenden Plan für die Neuordnung Deutſchlands und des geſammten Staatenſyſtems zu entwerfen wagte. Mehr als zehn Jahre lang hatte er der Hoffnung gelebt, mit Frankreichs Beiſtand eine norddeutſche Groß- macht, die dem Hauſe Oeſterreich die Stange hielte, zu bilden; ſobald er die Hohlheit dieſer Träume erkannte, ergriff er ſofort ein neues Syſtem deutſcher Politik, dem er dann bis zum Tode treu blieb: die Politik des geregelten Dualismus. Gar zu vernehmlich hatte doch das Schickſal ge- ſprochen: vereinzelt waren Oeſterreich und Preußen unterlegen, nur ihre treue Eintracht konnte Deutſchland befreien. In dieſem Gedanken be- gegnen ſich während der folgenden Jahre alle preußiſchen Patrioten ohne Unterſchied der Partei; wie ein Naturlaut bricht er gleichzeitig aus hunderten beſorgter Herzen hervor. In den Schriften von Gentz kehrt er als ein ceterum censeo wieder; auf den kunſtvollen Zeichnungen, worin Oberſt Kneſebeck die Zukunft des Welttheils darzuſtellen liebte, wird die Wage Europas immer durch den Bund Oeſterreichs und Preußens aufrecht erhalten. Arndt und Kleiſt beſchwören die beiden mächtigſten Söhne Germaniens ſich zu vertragen; die Königin Luiſe erſehnt den Tag, da die verſöhnten deutſchen Brüder gemeinſam in den heiligen Krieg ziehen werden. Nur der König hielt in aller Stille ſeine alte Meinung feſt und dachte, wenn er auf ein europäiſches Bündniß gegen Frankreich rechnete, ſtets in erſter Linie an Rußland. Hardenberg dagegen betrachtete jetzt die Nebenbuhlerſchaft der beiden deutſchen Mächte als ein überwundenes un- glückſeliges Vorurtheil, ihre Intereſſen als ſchlechthin gleich. Arglos, groß-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0276"n="260"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">I.</hi> 2. Revolution und Fremdherrſchaft.</fw><lb/>
wetteifernd um die Hofburg. Napoleon bot ihr Schleſien zum Austauſche<lb/>
gegen Galizien; der Czar ſendete den Todfeind des Hauſes Bonaparte,<lb/>
Pozzo di Borgo, mit dringenden Mahnungen nach Wien; der König von<lb/>
Preußen erklärte ſich in ſeiner Bedrängniß ſogar bereit, einem öſter-<lb/>
reichiſchen Hilfsheere die vorläufige Beſetzung der ſchleſiſchen Feſtungen<lb/>
zu geſtatten. Doch Erzherzog Karl blieb obenauf mit ſeiner friedfertigen<lb/>
Politik; um die Unthätigkeit zu bemänteln erbot ſich Oeſterreich endlich zu<lb/>
einer Friedensvermittlung, die in ſolcher Lage nichts fruchten konnte. Die<lb/>
Freundſchaft des Czaren bot der wankenden preußiſchen Monarchie die<lb/>
letzte Stütze, und an ſchönen Worten ließ es der ſchwärmeriſche junge<lb/>
Herr nicht fehlen, als er im Frühjahr ſelber auf dem Kriegsſchauplatze<lb/>
erſchien. Wie ſtrahlte er in zärtlicher Liebenswürdigkeit inmitten der könig-<lb/>
lichen Familie: verzückte blaue Augen, und doch verſchwommen, ohne<lb/>
Tiefe; edle und doch unreife, halb durchgearbeitete Züge. „Nicht wahr?<lb/>
Keiner von uns Beiden fällt allein!“ſagte er inbrünſtig zu ſeinem un-<lb/>
glücklichen Freunde. Mancher ehrliche Preuße meinte nun erſt Alexanders<lb/>
großes Herz ganz zu verſtehen.</p><lb/><p>Es bezeichnet Hardenbergs ganzes Weſen, ſeinen unerſchrockenen<lb/>
Muth wie ſeine leichtlebige Beweglichkeit, daß er in ſolcher Zeit, während<lb/>
Preußens Daſein noch in Frage ſtand, bereits einen großgedachten, weit-<lb/>
umfaſſenden Plan für die Neuordnung Deutſchlands und des geſammten<lb/>
Staatenſyſtems zu entwerfen wagte. Mehr als zehn Jahre lang hatte<lb/>
er der Hoffnung gelebt, mit Frankreichs Beiſtand eine norddeutſche Groß-<lb/>
macht, die dem Hauſe Oeſterreich die Stange hielte, zu bilden; ſobald er<lb/>
die Hohlheit dieſer Träume erkannte, ergriff er ſofort ein neues Syſtem<lb/>
deutſcher Politik, dem er dann bis zum Tode treu blieb: die Politik des<lb/>
geregelten Dualismus. Gar zu vernehmlich hatte doch das Schickſal ge-<lb/>ſprochen: vereinzelt waren Oeſterreich und Preußen unterlegen, nur ihre<lb/>
treue Eintracht konnte Deutſchland befreien. In dieſem Gedanken be-<lb/>
gegnen ſich während der folgenden Jahre alle preußiſchen Patrioten<lb/>
ohne Unterſchied der Partei; wie ein Naturlaut bricht er gleichzeitig aus<lb/>
hunderten beſorgter Herzen hervor. In den Schriften von Gentz kehrt<lb/>
er als ein <hirendition="#aq">ceterum censeo</hi> wieder; auf den kunſtvollen Zeichnungen,<lb/>
worin Oberſt Kneſebeck die Zukunft des Welttheils darzuſtellen liebte, wird<lb/>
die Wage Europas immer durch den Bund Oeſterreichs und Preußens<lb/>
aufrecht erhalten. Arndt und Kleiſt beſchwören die beiden mächtigſten<lb/>
Söhne Germaniens ſich zu vertragen; die Königin Luiſe erſehnt den Tag,<lb/>
da die verſöhnten deutſchen Brüder gemeinſam in den heiligen Krieg ziehen<lb/>
werden. Nur der König hielt in aller Stille ſeine alte Meinung feſt und<lb/>
dachte, wenn er auf ein europäiſches Bündniß gegen Frankreich rechnete,<lb/>ſtets in erſter Linie an Rußland. Hardenberg dagegen betrachtete jetzt die<lb/>
Nebenbuhlerſchaft der beiden deutſchen Mächte als ein überwundenes un-<lb/>
glückſeliges Vorurtheil, ihre Intereſſen als ſchlechthin gleich. Arglos, groß-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[260/0276]
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
wetteifernd um die Hofburg. Napoleon bot ihr Schleſien zum Austauſche
gegen Galizien; der Czar ſendete den Todfeind des Hauſes Bonaparte,
Pozzo di Borgo, mit dringenden Mahnungen nach Wien; der König von
Preußen erklärte ſich in ſeiner Bedrängniß ſogar bereit, einem öſter-
reichiſchen Hilfsheere die vorläufige Beſetzung der ſchleſiſchen Feſtungen
zu geſtatten. Doch Erzherzog Karl blieb obenauf mit ſeiner friedfertigen
Politik; um die Unthätigkeit zu bemänteln erbot ſich Oeſterreich endlich zu
einer Friedensvermittlung, die in ſolcher Lage nichts fruchten konnte. Die
Freundſchaft des Czaren bot der wankenden preußiſchen Monarchie die
letzte Stütze, und an ſchönen Worten ließ es der ſchwärmeriſche junge
Herr nicht fehlen, als er im Frühjahr ſelber auf dem Kriegsſchauplatze
erſchien. Wie ſtrahlte er in zärtlicher Liebenswürdigkeit inmitten der könig-
lichen Familie: verzückte blaue Augen, und doch verſchwommen, ohne
Tiefe; edle und doch unreife, halb durchgearbeitete Züge. „Nicht wahr?
Keiner von uns Beiden fällt allein!“ ſagte er inbrünſtig zu ſeinem un-
glücklichen Freunde. Mancher ehrliche Preuße meinte nun erſt Alexanders
großes Herz ganz zu verſtehen.
Es bezeichnet Hardenbergs ganzes Weſen, ſeinen unerſchrockenen
Muth wie ſeine leichtlebige Beweglichkeit, daß er in ſolcher Zeit, während
Preußens Daſein noch in Frage ſtand, bereits einen großgedachten, weit-
umfaſſenden Plan für die Neuordnung Deutſchlands und des geſammten
Staatenſyſtems zu entwerfen wagte. Mehr als zehn Jahre lang hatte
er der Hoffnung gelebt, mit Frankreichs Beiſtand eine norddeutſche Groß-
macht, die dem Hauſe Oeſterreich die Stange hielte, zu bilden; ſobald er
die Hohlheit dieſer Träume erkannte, ergriff er ſofort ein neues Syſtem
deutſcher Politik, dem er dann bis zum Tode treu blieb: die Politik des
geregelten Dualismus. Gar zu vernehmlich hatte doch das Schickſal ge-
ſprochen: vereinzelt waren Oeſterreich und Preußen unterlegen, nur ihre
treue Eintracht konnte Deutſchland befreien. In dieſem Gedanken be-
gegnen ſich während der folgenden Jahre alle preußiſchen Patrioten
ohne Unterſchied der Partei; wie ein Naturlaut bricht er gleichzeitig aus
hunderten beſorgter Herzen hervor. In den Schriften von Gentz kehrt
er als ein ceterum censeo wieder; auf den kunſtvollen Zeichnungen,
worin Oberſt Kneſebeck die Zukunft des Welttheils darzuſtellen liebte, wird
die Wage Europas immer durch den Bund Oeſterreichs und Preußens
aufrecht erhalten. Arndt und Kleiſt beſchwören die beiden mächtigſten
Söhne Germaniens ſich zu vertragen; die Königin Luiſe erſehnt den Tag,
da die verſöhnten deutſchen Brüder gemeinſam in den heiligen Krieg ziehen
werden. Nur der König hielt in aller Stille ſeine alte Meinung feſt und
dachte, wenn er auf ein europäiſches Bündniß gegen Frankreich rechnete,
ſtets in erſter Linie an Rußland. Hardenberg dagegen betrachtete jetzt die
Nebenbuhlerſchaft der beiden deutſchen Mächte als ein überwundenes un-
glückſeliges Vorurtheil, ihre Intereſſen als ſchlechthin gleich. Arglos, groß-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/276>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.