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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Friede von Tilsit.
drei Blätter eines Kleeblatts durch schmale Streifen verbunden; jeden
Augenblick konnten, auf einen Wink des Imperators, die Polen vom
Osten, die Sachsen vom Süden her, die Westphalen aus Magdeburg,
die Franzosen aus Mecklenburg und Hamburg gleichzeitig gegen Berlin
vorbrechen und das Netz über dem Haupte der Hohenzollern zusammen-
ziehen.

Die gesammten polnischen Provinzen der Monarchie wurden, mit
Ausnahme eines Theiles von Westpreußen, dem Könige von Sachsen zu-
getheilt, der den Namen eines Großherzogs von Warschau annahm. Diese
vierte Theilung Polens stellte also die verderbliche sächsisch-polnische Union
wieder her, und zugleich gewann das Haus Wettin eine Etappenstraße
durch Schlesien, die von den polnischen Augusten so oft erstrebte Via regia.
Das neue Herzogthum bildete sich nach französischem Muster rasch eine
tüchtige Armee, wie sie die alte Adelsrepublik nie gekannt. Der Deutschen-
haß des sarmatischen Adels schaltete zügellos unter der weichen Herrschaft
des ängstlichen Wettiners, der den stolzen Königswählern nichts wehren
mochte, und jagte sofort alle deutsche Beamten aus dem Lande, gegen
die ausdrückliche Vorschrift des Tilsiter Friedens aber mit der geheimen
Zustimmung des französischen Schutzherrn. Um dem polnischen Fanatis-
mus einen Rückhalt zu sichern erhob Napoleon die Festung Danzig zu
einer freien Stadt mit starker französischer Besatzung. Und um den
Czaren für immer mit seinen preußischen Freunden zu entzweien beredete er
ihn sich auf Kosten seines unglücklichen Bundesgenossen zu bereichern und
den Bezirk von Bialystock mit dem russischen Reiche zu vereinigen. Ge-
fügig wie Friedrich August von Sachsen ging Alexander auf die häßliche
Zumuthung ein; sein Gewissen tröstete sich mit der Erwägung, sonst wäre
der Landstrich doch mit Warschau verbunden worden. Aus den preußischen
Landen rechts der Elbe, aus den welfischen und kurhessischen Gebieten
wurde ein Königreich Westphalen gebildet und dem Bruder des Impera-
tors Hieronymus übergeben mit der strengen Weisung, daß er den Ge-
horsam gegen Frankreich als seine erste Fürstenpflicht zu betrachten habe;
eine "regelmäßige Verfassung" sollte hier alle "jene leeren und lächer-
lichen Unterschiede" der Stände und Landschaften beseitigen, welche der
bureaukratischen Centralisation des Weltreichs gefährlich schienen.

An den Höfen des Rheinbundes herrschte lauter Jubel, da der einzige
deutsche Staat, der eine Geschichte, ein eigenes Leben besaß, also wieder
hinabgestoßen wurde in das allgemeine deutsche Elend. Die Mittelstaaten
standen am Ziele ihrer Wünsche, sie hatten keine deutsche Macht mehr zu
fürchten und zu beneiden. Ihre Offiziere prahlten gern, wie wacker sie
selber mitgeholfen hätten bei der Demüthigung des norddeutschen Ueber-
muths, wußten nicht genug zu erzählen von den Wundern der preu-
ßischen Dummheit. Hörte man auf die Stimmen der amtlichen Presse
in München und Stuttgart, so war die Schlacht von Jena die einzige

Friede von Tilſit.
drei Blätter eines Kleeblatts durch ſchmale Streifen verbunden; jeden
Augenblick konnten, auf einen Wink des Imperators, die Polen vom
Oſten, die Sachſen vom Süden her, die Weſtphalen aus Magdeburg,
die Franzoſen aus Mecklenburg und Hamburg gleichzeitig gegen Berlin
vorbrechen und das Netz über dem Haupte der Hohenzollern zuſammen-
ziehen.

Die geſammten polniſchen Provinzen der Monarchie wurden, mit
Ausnahme eines Theiles von Weſtpreußen, dem Könige von Sachſen zu-
getheilt, der den Namen eines Großherzogs von Warſchau annahm. Dieſe
vierte Theilung Polens ſtellte alſo die verderbliche ſächſiſch-polniſche Union
wieder her, und zugleich gewann das Haus Wettin eine Etappenſtraße
durch Schleſien, die von den polniſchen Auguſten ſo oft erſtrebte Via regia.
Das neue Herzogthum bildete ſich nach franzöſiſchem Muſter raſch eine
tüchtige Armee, wie ſie die alte Adelsrepublik nie gekannt. Der Deutſchen-
haß des ſarmatiſchen Adels ſchaltete zügellos unter der weichen Herrſchaft
des ängſtlichen Wettiners, der den ſtolzen Königswählern nichts wehren
mochte, und jagte ſofort alle deutſche Beamten aus dem Lande, gegen
die ausdrückliche Vorſchrift des Tilſiter Friedens aber mit der geheimen
Zuſtimmung des franzöſiſchen Schutzherrn. Um dem polniſchen Fanatis-
mus einen Rückhalt zu ſichern erhob Napoleon die Feſtung Danzig zu
einer freien Stadt mit ſtarker franzöſiſcher Beſatzung. Und um den
Czaren für immer mit ſeinen preußiſchen Freunden zu entzweien beredete er
ihn ſich auf Koſten ſeines unglücklichen Bundesgenoſſen zu bereichern und
den Bezirk von Bialyſtock mit dem ruſſiſchen Reiche zu vereinigen. Ge-
fügig wie Friedrich Auguſt von Sachſen ging Alexander auf die häßliche
Zumuthung ein; ſein Gewiſſen tröſtete ſich mit der Erwägung, ſonſt wäre
der Landſtrich doch mit Warſchau verbunden worden. Aus den preußiſchen
Landen rechts der Elbe, aus den welfiſchen und kurheſſiſchen Gebieten
wurde ein Königreich Weſtphalen gebildet und dem Bruder des Impera-
tors Hieronymus übergeben mit der ſtrengen Weiſung, daß er den Ge-
horſam gegen Frankreich als ſeine erſte Fürſtenpflicht zu betrachten habe;
eine „regelmäßige Verfaſſung“ ſollte hier alle „jene leeren und lächer-
lichen Unterſchiede“ der Stände und Landſchaften beſeitigen, welche der
bureaukratiſchen Centraliſation des Weltreichs gefährlich ſchienen.

An den Höfen des Rheinbundes herrſchte lauter Jubel, da der einzige
deutſche Staat, der eine Geſchichte, ein eigenes Leben beſaß, alſo wieder
hinabgeſtoßen wurde in das allgemeine deutſche Elend. Die Mittelſtaaten
ſtanden am Ziele ihrer Wünſche, ſie hatten keine deutſche Macht mehr zu
fürchten und zu beneiden. Ihre Offiziere prahlten gern, wie wacker ſie
ſelber mitgeholfen hätten bei der Demüthigung des norddeutſchen Ueber-
muths, wußten nicht genug zu erzählen von den Wundern der preu-
ßiſchen Dummheit. Hörte man auf die Stimmen der amtlichen Preſſe
in München und Stuttgart, ſo war die Schlacht von Jena die einzige

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[265/0281] Friede von Tilſit. drei Blätter eines Kleeblatts durch ſchmale Streifen verbunden; jeden Augenblick konnten, auf einen Wink des Imperators, die Polen vom Oſten, die Sachſen vom Süden her, die Weſtphalen aus Magdeburg, die Franzoſen aus Mecklenburg und Hamburg gleichzeitig gegen Berlin vorbrechen und das Netz über dem Haupte der Hohenzollern zuſammen- ziehen. Die geſammten polniſchen Provinzen der Monarchie wurden, mit Ausnahme eines Theiles von Weſtpreußen, dem Könige von Sachſen zu- getheilt, der den Namen eines Großherzogs von Warſchau annahm. Dieſe vierte Theilung Polens ſtellte alſo die verderbliche ſächſiſch-polniſche Union wieder her, und zugleich gewann das Haus Wettin eine Etappenſtraße durch Schleſien, die von den polniſchen Auguſten ſo oft erſtrebte Via regia. Das neue Herzogthum bildete ſich nach franzöſiſchem Muſter raſch eine tüchtige Armee, wie ſie die alte Adelsrepublik nie gekannt. Der Deutſchen- haß des ſarmatiſchen Adels ſchaltete zügellos unter der weichen Herrſchaft des ängſtlichen Wettiners, der den ſtolzen Königswählern nichts wehren mochte, und jagte ſofort alle deutſche Beamten aus dem Lande, gegen die ausdrückliche Vorſchrift des Tilſiter Friedens aber mit der geheimen Zuſtimmung des franzöſiſchen Schutzherrn. Um dem polniſchen Fanatis- mus einen Rückhalt zu ſichern erhob Napoleon die Feſtung Danzig zu einer freien Stadt mit ſtarker franzöſiſcher Beſatzung. Und um den Czaren für immer mit ſeinen preußiſchen Freunden zu entzweien beredete er ihn ſich auf Koſten ſeines unglücklichen Bundesgenoſſen zu bereichern und den Bezirk von Bialyſtock mit dem ruſſiſchen Reiche zu vereinigen. Ge- fügig wie Friedrich Auguſt von Sachſen ging Alexander auf die häßliche Zumuthung ein; ſein Gewiſſen tröſtete ſich mit der Erwägung, ſonſt wäre der Landſtrich doch mit Warſchau verbunden worden. Aus den preußiſchen Landen rechts der Elbe, aus den welfiſchen und kurheſſiſchen Gebieten wurde ein Königreich Weſtphalen gebildet und dem Bruder des Impera- tors Hieronymus übergeben mit der ſtrengen Weiſung, daß er den Ge- horſam gegen Frankreich als ſeine erſte Fürſtenpflicht zu betrachten habe; eine „regelmäßige Verfaſſung“ ſollte hier alle „jene leeren und lächer- lichen Unterſchiede“ der Stände und Landſchaften beſeitigen, welche der bureaukratiſchen Centraliſation des Weltreichs gefährlich ſchienen. An den Höfen des Rheinbundes herrſchte lauter Jubel, da der einzige deutſche Staat, der eine Geſchichte, ein eigenes Leben beſaß, alſo wieder hinabgeſtoßen wurde in das allgemeine deutſche Elend. Die Mittelſtaaten ſtanden am Ziele ihrer Wünſche, ſie hatten keine deutſche Macht mehr zu fürchten und zu beneiden. Ihre Offiziere prahlten gern, wie wacker ſie ſelber mitgeholfen hätten bei der Demüthigung des norddeutſchen Ueber- muths, wußten nicht genug zu erzählen von den Wundern der preu- ßiſchen Dummheit. Hörte man auf die Stimmen der amtlichen Preſſe in München und Stuttgart, ſo war die Schlacht von Jena die einzige

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/281>, abgerufen am 22.11.2024.