Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Scharnhorsts Freunde.
arm, genügsam, bedürfnißlos, ohne jede Selbstsucht allein der Sache
dienend und bei allem Freimuth tief innerlich bescheiden, wie es dem be-
gabten Soldaten natürlich ist; denn das einsame Schaffen des Künstlers
und des Gelehrten verführt leicht zur Eitelkeit, der Soldat wirkt nur als
ein Glied des großen Ganzen und kann nicht zeigen was er vermag,
wenn ihn das unerforschliche Schicksal nicht zur rechten Zeit an die rechte
Stelle führt. Allzu bescheiden nannte sich Gneisenau selber nur einen
Pygmäen neben dem Riesen Scharnhorst. Ihm fehlte die schwere Ge-
lehrsamkeit des Meisters und er empfand, gleich so vielen Männern der
That, die Lücken seines Wissens wie ein Gebrechen der Begabung; dafür
besaß er in weit höherem Maaße die begeisternde Zuversicht des Helden,
jenen freudigen Fatalismus, der den Feldherrn macht. Wie stolz und
sicher spannte er jetzt seine Segel aus, da er endlich nach den Irrfahrten
einer leidenschaftlichen Jugend und nach der langen traurigen Windstille
des subalternen Dienstes auf die hohe See des Lebens gelangt war. Jede
Aufgabe, die ihm das Schicksal bot, griff er mit glücklichem Leichtsinn an,
unbedenklich übernahm der Infanterist das Commando der Ingenieure
und die Aufsicht über die Festungen. Während Scharnhorst bedächtig die
Gefahren des nächsten Tages erwog, dachte Gneisenau immer mit glühen-
der Sehnsucht an die Stunde der Erhebung und hieß auch die Narren
freundlich willkommen, wenn sie nur mithelfen wollten bei der großen
Verschwörung.

Eine verwandte Natur war Grolmann, hochherzig, hell und freudig,
geschaffen für das Schlachtgewühl, für das kühne Ergreifen der Gunst
des Augenblicks; doch er sollte die Grausamkeit des Soldatenschicksals
schwer erfahren und niemals im Kriege an erster Stelle stehen. In
der Weise seines Auftretens schien Boyen dem General am Aehnlich-
sten, ein ernsthafter, verschlossener Ostpreuße, der zu den Füßen von
Kant und Kraus gesessen hatte, auch als Poet mit der neuen Literatur
in regem Verkehre stand. Nur die feurigen Augen unter den buschigen
Brauen verriethen, welche stürmische Verwegenheit in dem einfachen, wort-
kargen Manne schlummerte. Er hat die organisatorischen Ideen Scharn-
horsts nach seiner stillen Art in sich verarbeitet und fortgebildet und nach
den Kriegen dem neuen Volksheere seine bleibende Verfassung gegeben.
Der Jüngste endlich aus diesem Freundeskreise, Carl von Clausewitz, war
mehr als die Aelteren ein vertrauter Schüler Scharnhorsts, tief eingeweiht
in die neuen kriegswissenschaftlichen Theorien, womit Jener sich trug; nach-
her hat sie er selbständig ausgestaltet und durch eine Reihe von Werken,
deren classische Form die Schriften des Meisters weit übertraf, der Lehre
vom Kriege ihren Platz in der Reihe der Staatswissenschaften gesichert.
Ein großer wissenschaftlicher Kopf, ein Meister des historischen Urtheils
war er vielleicht zu kritisch und nachdenklich um so beherzt wie Gneisenau
das Glück der Schlachten bei der Locke zu fassen, aber keineswegs blos

19*

Scharnhorſts Freunde.
arm, genügſam, bedürfnißlos, ohne jede Selbſtſucht allein der Sache
dienend und bei allem Freimuth tief innerlich beſcheiden, wie es dem be-
gabten Soldaten natürlich iſt; denn das einſame Schaffen des Künſtlers
und des Gelehrten verführt leicht zur Eitelkeit, der Soldat wirkt nur als
ein Glied des großen Ganzen und kann nicht zeigen was er vermag,
wenn ihn das unerforſchliche Schickſal nicht zur rechten Zeit an die rechte
Stelle führt. Allzu beſcheiden nannte ſich Gneiſenau ſelber nur einen
Pygmäen neben dem Rieſen Scharnhorſt. Ihm fehlte die ſchwere Ge-
lehrſamkeit des Meiſters und er empfand, gleich ſo vielen Männern der
That, die Lücken ſeines Wiſſens wie ein Gebrechen der Begabung; dafür
beſaß er in weit höherem Maaße die begeiſternde Zuverſicht des Helden,
jenen freudigen Fatalismus, der den Feldherrn macht. Wie ſtolz und
ſicher ſpannte er jetzt ſeine Segel aus, da er endlich nach den Irrfahrten
einer leidenſchaftlichen Jugend und nach der langen traurigen Windſtille
des ſubalternen Dienſtes auf die hohe See des Lebens gelangt war. Jede
Aufgabe, die ihm das Schickſal bot, griff er mit glücklichem Leichtſinn an,
unbedenklich übernahm der Infanteriſt das Commando der Ingenieure
und die Aufſicht über die Feſtungen. Während Scharnhorſt bedächtig die
Gefahren des nächſten Tages erwog, dachte Gneiſenau immer mit glühen-
der Sehnſucht an die Stunde der Erhebung und hieß auch die Narren
freundlich willkommen, wenn ſie nur mithelfen wollten bei der großen
Verſchwörung.

Eine verwandte Natur war Grolmann, hochherzig, hell und freudig,
geſchaffen für das Schlachtgewühl, für das kühne Ergreifen der Gunſt
des Augenblicks; doch er ſollte die Grauſamkeit des Soldatenſchickſals
ſchwer erfahren und niemals im Kriege an erſter Stelle ſtehen. In
der Weiſe ſeines Auftretens ſchien Boyen dem General am Aehnlich-
ſten, ein ernſthafter, verſchloſſener Oſtpreuße, der zu den Füßen von
Kant und Kraus geſeſſen hatte, auch als Poet mit der neuen Literatur
in regem Verkehre ſtand. Nur die feurigen Augen unter den buſchigen
Brauen verriethen, welche ſtürmiſche Verwegenheit in dem einfachen, wort-
kargen Manne ſchlummerte. Er hat die organiſatoriſchen Ideen Scharn-
horſts nach ſeiner ſtillen Art in ſich verarbeitet und fortgebildet und nach
den Kriegen dem neuen Volksheere ſeine bleibende Verfaſſung gegeben.
Der Jüngſte endlich aus dieſem Freundeskreiſe, Carl von Clauſewitz, war
mehr als die Aelteren ein vertrauter Schüler Scharnhorſts, tief eingeweiht
in die neuen kriegswiſſenſchaftlichen Theorien, womit Jener ſich trug; nach-
her hat ſie er ſelbſtändig ausgeſtaltet und durch eine Reihe von Werken,
deren claſſiſche Form die Schriften des Meiſters weit übertraf, der Lehre
vom Kriege ihren Platz in der Reihe der Staatswiſſenſchaften geſichert.
Ein großer wiſſenſchaftlicher Kopf, ein Meiſter des hiſtoriſchen Urtheils
war er vielleicht zu kritiſch und nachdenklich um ſo beherzt wie Gneiſenau
das Glück der Schlachten bei der Locke zu faſſen, aber keineswegs blos

19*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0307" n="291"/><fw place="top" type="header">Scharnhor&#x017F;ts Freunde.</fw><lb/>
arm, genüg&#x017F;am, bedürfnißlos, ohne jede Selb&#x017F;t&#x017F;ucht allein der Sache<lb/>
dienend und bei allem Freimuth tief innerlich be&#x017F;cheiden, wie es dem be-<lb/>
gabten Soldaten natürlich i&#x017F;t; denn das ein&#x017F;ame Schaffen des Kün&#x017F;tlers<lb/>
und des Gelehrten verführt leicht zur Eitelkeit, der Soldat wirkt nur als<lb/>
ein Glied des großen Ganzen und kann nicht zeigen was er vermag,<lb/>
wenn ihn das unerfor&#x017F;chliche Schick&#x017F;al nicht zur rechten Zeit an die rechte<lb/>
Stelle führt. Allzu be&#x017F;cheiden nannte &#x017F;ich Gnei&#x017F;enau &#x017F;elber nur einen<lb/>
Pygmäen neben dem Rie&#x017F;en Scharnhor&#x017F;t. Ihm fehlte die &#x017F;chwere Ge-<lb/>
lehr&#x017F;amkeit des Mei&#x017F;ters und er empfand, gleich &#x017F;o vielen Männern der<lb/>
That, die Lücken &#x017F;eines Wi&#x017F;&#x017F;ens wie ein Gebrechen der Begabung; dafür<lb/>
be&#x017F;aß er in weit höherem Maaße die begei&#x017F;ternde Zuver&#x017F;icht des Helden,<lb/>
jenen freudigen Fatalismus, der den Feldherrn macht. Wie &#x017F;tolz und<lb/>
&#x017F;icher &#x017F;pannte er jetzt &#x017F;eine Segel aus, da er endlich nach den Irrfahrten<lb/>
einer leiden&#x017F;chaftlichen Jugend und nach der langen traurigen Wind&#x017F;tille<lb/>
des &#x017F;ubalternen Dien&#x017F;tes auf die hohe See des Lebens gelangt war. Jede<lb/>
Aufgabe, die ihm das Schick&#x017F;al bot, griff er mit glücklichem Leicht&#x017F;inn an,<lb/>
unbedenklich übernahm der Infanteri&#x017F;t das Commando der Ingenieure<lb/>
und die Auf&#x017F;icht über die Fe&#x017F;tungen. Während Scharnhor&#x017F;t bedächtig die<lb/>
Gefahren des näch&#x017F;ten Tages erwog, dachte Gnei&#x017F;enau immer mit glühen-<lb/>
der Sehn&#x017F;ucht an die Stunde der Erhebung und hieß auch die Narren<lb/>
freundlich willkommen, wenn &#x017F;ie nur mithelfen wollten bei der großen<lb/>
Ver&#x017F;chwörung.</p><lb/>
            <p>Eine verwandte Natur war Grolmann, hochherzig, hell und freudig,<lb/>
ge&#x017F;chaffen für das Schlachtgewühl, für das kühne Ergreifen der Gun&#x017F;t<lb/>
des Augenblicks; doch er &#x017F;ollte die Grau&#x017F;amkeit des Soldaten&#x017F;chick&#x017F;als<lb/>
&#x017F;chwer erfahren und niemals im Kriege an er&#x017F;ter Stelle &#x017F;tehen. In<lb/>
der Wei&#x017F;e &#x017F;eines Auftretens &#x017F;chien Boyen dem General am Aehnlich-<lb/>
&#x017F;ten, ein ern&#x017F;thafter, ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ener O&#x017F;tpreuße, der zu den Füßen von<lb/>
Kant und Kraus ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en hatte, auch als Poet mit der neuen Literatur<lb/>
in regem Verkehre &#x017F;tand. Nur die feurigen Augen unter den bu&#x017F;chigen<lb/>
Brauen verriethen, welche &#x017F;türmi&#x017F;che Verwegenheit in dem einfachen, wort-<lb/>
kargen Manne &#x017F;chlummerte. Er hat die organi&#x017F;atori&#x017F;chen Ideen Scharn-<lb/>
hor&#x017F;ts nach &#x017F;einer &#x017F;tillen Art in &#x017F;ich verarbeitet und fortgebildet und nach<lb/>
den Kriegen dem neuen Volksheere &#x017F;eine bleibende Verfa&#x017F;&#x017F;ung gegeben.<lb/>
Der Jüng&#x017F;te endlich aus die&#x017F;em Freundeskrei&#x017F;e, Carl von Clau&#x017F;ewitz, war<lb/>
mehr als die Aelteren ein vertrauter Schüler Scharnhor&#x017F;ts, tief eingeweiht<lb/>
in die neuen kriegswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Theorien, womit Jener &#x017F;ich trug; nach-<lb/>
her hat &#x017F;ie er &#x017F;elb&#x017F;tändig ausge&#x017F;taltet und durch eine Reihe von Werken,<lb/>
deren cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Form die Schriften des Mei&#x017F;ters weit übertraf, der Lehre<lb/>
vom Kriege ihren Platz in der Reihe der Staatswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften ge&#x017F;ichert.<lb/>
Ein großer wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlicher Kopf, ein Mei&#x017F;ter des hi&#x017F;tori&#x017F;chen Urtheils<lb/>
war er vielleicht zu kriti&#x017F;ch und nachdenklich um &#x017F;o beherzt wie Gnei&#x017F;enau<lb/>
das Glück der Schlachten bei der Locke zu fa&#x017F;&#x017F;en, aber keineswegs blos<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">19*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[291/0307] Scharnhorſts Freunde. arm, genügſam, bedürfnißlos, ohne jede Selbſtſucht allein der Sache dienend und bei allem Freimuth tief innerlich beſcheiden, wie es dem be- gabten Soldaten natürlich iſt; denn das einſame Schaffen des Künſtlers und des Gelehrten verführt leicht zur Eitelkeit, der Soldat wirkt nur als ein Glied des großen Ganzen und kann nicht zeigen was er vermag, wenn ihn das unerforſchliche Schickſal nicht zur rechten Zeit an die rechte Stelle führt. Allzu beſcheiden nannte ſich Gneiſenau ſelber nur einen Pygmäen neben dem Rieſen Scharnhorſt. Ihm fehlte die ſchwere Ge- lehrſamkeit des Meiſters und er empfand, gleich ſo vielen Männern der That, die Lücken ſeines Wiſſens wie ein Gebrechen der Begabung; dafür beſaß er in weit höherem Maaße die begeiſternde Zuverſicht des Helden, jenen freudigen Fatalismus, der den Feldherrn macht. Wie ſtolz und ſicher ſpannte er jetzt ſeine Segel aus, da er endlich nach den Irrfahrten einer leidenſchaftlichen Jugend und nach der langen traurigen Windſtille des ſubalternen Dienſtes auf die hohe See des Lebens gelangt war. Jede Aufgabe, die ihm das Schickſal bot, griff er mit glücklichem Leichtſinn an, unbedenklich übernahm der Infanteriſt das Commando der Ingenieure und die Aufſicht über die Feſtungen. Während Scharnhorſt bedächtig die Gefahren des nächſten Tages erwog, dachte Gneiſenau immer mit glühen- der Sehnſucht an die Stunde der Erhebung und hieß auch die Narren freundlich willkommen, wenn ſie nur mithelfen wollten bei der großen Verſchwörung. Eine verwandte Natur war Grolmann, hochherzig, hell und freudig, geſchaffen für das Schlachtgewühl, für das kühne Ergreifen der Gunſt des Augenblicks; doch er ſollte die Grauſamkeit des Soldatenſchickſals ſchwer erfahren und niemals im Kriege an erſter Stelle ſtehen. In der Weiſe ſeines Auftretens ſchien Boyen dem General am Aehnlich- ſten, ein ernſthafter, verſchloſſener Oſtpreuße, der zu den Füßen von Kant und Kraus geſeſſen hatte, auch als Poet mit der neuen Literatur in regem Verkehre ſtand. Nur die feurigen Augen unter den buſchigen Brauen verriethen, welche ſtürmiſche Verwegenheit in dem einfachen, wort- kargen Manne ſchlummerte. Er hat die organiſatoriſchen Ideen Scharn- horſts nach ſeiner ſtillen Art in ſich verarbeitet und fortgebildet und nach den Kriegen dem neuen Volksheere ſeine bleibende Verfaſſung gegeben. Der Jüngſte endlich aus dieſem Freundeskreiſe, Carl von Clauſewitz, war mehr als die Aelteren ein vertrauter Schüler Scharnhorſts, tief eingeweiht in die neuen kriegswiſſenſchaftlichen Theorien, womit Jener ſich trug; nach- her hat ſie er ſelbſtändig ausgeſtaltet und durch eine Reihe von Werken, deren claſſiſche Form die Schriften des Meiſters weit übertraf, der Lehre vom Kriege ihren Platz in der Reihe der Staatswiſſenſchaften geſichert. Ein großer wiſſenſchaftlicher Kopf, ein Meiſter des hiſtoriſchen Urtheils war er vielleicht zu kritiſch und nachdenklich um ſo beherzt wie Gneiſenau das Glück der Schlachten bei der Locke zu faſſen, aber keineswegs blos 19*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/307
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/307>, abgerufen am 22.11.2024.