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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 3. Preußens Erhebung.
diesen zwei Jahrhunderten des Weltbürgerthums Niemand mehr zu unserem
Volke geredet hatte, aber auch mit der ganzen unklaren Ueberschwänglich-
keit des neuen literarischen Nationalstolzes: die Deutschen allein sind noch
ursprüngliche Menschen, nicht in willkürlichen Satzungen erstorben, das
Volk der Ideen, des Charakters; wenn sie versinken, so versinkt das ganze
menschliche Geschlecht mit. Soll der Menschheit noch eine Hoffnung bleiben,
so muß ein neues deutsches Geschlecht erzogen werden, das in seinem
Vaterlande den Träger und das Unterpfand der irdischen Ewigkeit ver-
ehrt und dereinst den Kampf aufnimmt gegen den vernunftlosen, hassens-
würdigen Gedanken der Universalmonarchie.

Die Predigten Schleiermachers erregten den Argwohn der fran-
zösischen Spione. Mit dem hochfliegenden Pathos dieses Redners, der
die Erfüllung seiner Träume auf eine zukünftige Generation verschob,
wußten die Fremden nichts anzufangen; sie ahnten nicht, wie unwider-
stehlich grade der überschwängliche Idealismus die Gemüther dieses philo-
sophischen Geschlechts ergriff. Der Jugend ging das Herz auf bei der
Lehre: sich der Gattung zu opfern sei der Triumph der Bildung, sei
die Seligkeit des Ich. Die Zeit erlebte, wie Fichte mit philosophischer
Herablassung sagte, "den seltenen Fall, wo Regierung und Wissenschaft
übereinkommen"; sie fühlte, daß die Wiederaufrichtung des deutschen
Staates mehr noch eine sittliche als eine politische Pflicht war; sie
brauchte nichts dringender als jenen "festen und gewissen Geist", den
dieser Redner ihr zu erwecken suchte. Unwillkürlich gedachten die Hörer
bei dem herrischen Wesen und der zermalmenden sittlichen Strenge des
Philosophen an den Freiherrn vom Stein.

In gleichem Sinne schrieb Arndt während und nach dem Kriege
neue Bände seines Geistes der Zeit. Er zog zu Felde wider unsere Viel-
herrschaft, die zur Allknechtschaft geworden, wider die unpolitische Gerech-
tigkeit der Deutschen, die das Veraltete gewissenhaft verschonten bis die
Fremden damit aufräumten, und vor Allem wider die übergeistige, über-
zärtliche Bildung, die da wähne, daß Kriegsruhm wenig, daß Tapferkeit
zu kühn, daß Mannlichkeit trotzig und Festigkeit beschwerlich sei. Frisch-
auf zum Rhein -- so lautete sein Schluß -- und dann gerufen: Frei-
heit und Oesterreich! Franz unser Kaiser, nicht Bonaparte!

In dem polternden Treiben des wunderlichen Recken Jahn zeigten
sich schon einige der fratzenhaften Züge, welche das neue Deutschthum ver-
unzierten: rauher und hochmüthiger Fremdenhaß, vorlaute Prahlerei, Ver-
achtung aller Anmuth und feinen Sitte -- ein formloses Wesen, das für
unsere Jugend um so schädlicher werden mußte, da der Germane ohne-
hin geneigt ist Grobheit und Wahrhaftigkeit zu verwechseln. Es blieb ein
krankhafter Zustand, daß die Söhne eines geistreichen Volkes einen lärmen-
den Barbaren als ihren Lehrer verehrten. Indeß war die Wirksamkeit des
Alten im Bart während dieser ersten Jahre noch überwiegend heilsam.

I. 3. Preußens Erhebung.
dieſen zwei Jahrhunderten des Weltbürgerthums Niemand mehr zu unſerem
Volke geredet hatte, aber auch mit der ganzen unklaren Ueberſchwänglich-
keit des neuen literariſchen Nationalſtolzes: die Deutſchen allein ſind noch
urſprüngliche Menſchen, nicht in willkürlichen Satzungen erſtorben, das
Volk der Ideen, des Charakters; wenn ſie verſinken, ſo verſinkt das ganze
menſchliche Geſchlecht mit. Soll der Menſchheit noch eine Hoffnung bleiben,
ſo muß ein neues deutſches Geſchlecht erzogen werden, das in ſeinem
Vaterlande den Träger und das Unterpfand der irdiſchen Ewigkeit ver-
ehrt und dereinſt den Kampf aufnimmt gegen den vernunftloſen, haſſens-
würdigen Gedanken der Univerſalmonarchie.

Die Predigten Schleiermachers erregten den Argwohn der fran-
zöſiſchen Spione. Mit dem hochfliegenden Pathos dieſes Redners, der
die Erfüllung ſeiner Träume auf eine zukünftige Generation verſchob,
wußten die Fremden nichts anzufangen; ſie ahnten nicht, wie unwider-
ſtehlich grade der überſchwängliche Idealismus die Gemüther dieſes philo-
ſophiſchen Geſchlechts ergriff. Der Jugend ging das Herz auf bei der
Lehre: ſich der Gattung zu opfern ſei der Triumph der Bildung, ſei
die Seligkeit des Ich. Die Zeit erlebte, wie Fichte mit philoſophiſcher
Herablaſſung ſagte, „den ſeltenen Fall, wo Regierung und Wiſſenſchaft
übereinkommen“; ſie fühlte, daß die Wiederaufrichtung des deutſchen
Staates mehr noch eine ſittliche als eine politiſche Pflicht war; ſie
brauchte nichts dringender als jenen „feſten und gewiſſen Geiſt“, den
dieſer Redner ihr zu erwecken ſuchte. Unwillkürlich gedachten die Hörer
bei dem herriſchen Weſen und der zermalmenden ſittlichen Strenge des
Philoſophen an den Freiherrn vom Stein.

In gleichem Sinne ſchrieb Arndt während und nach dem Kriege
neue Bände ſeines Geiſtes der Zeit. Er zog zu Felde wider unſere Viel-
herrſchaft, die zur Allknechtſchaft geworden, wider die unpolitiſche Gerech-
tigkeit der Deutſchen, die das Veraltete gewiſſenhaft verſchonten bis die
Fremden damit aufräumten, und vor Allem wider die übergeiſtige, über-
zärtliche Bildung, die da wähne, daß Kriegsruhm wenig, daß Tapferkeit
zu kühn, daß Mannlichkeit trotzig und Feſtigkeit beſchwerlich ſei. Friſch-
auf zum Rhein — ſo lautete ſein Schluß — und dann gerufen: Frei-
heit und Oeſterreich! Franz unſer Kaiſer, nicht Bonaparte!

In dem polternden Treiben des wunderlichen Recken Jahn zeigten
ſich ſchon einige der fratzenhaften Züge, welche das neue Deutſchthum ver-
unzierten: rauher und hochmüthiger Fremdenhaß, vorlaute Prahlerei, Ver-
achtung aller Anmuth und feinen Sitte — ein formloſes Weſen, das für
unſere Jugend um ſo ſchädlicher werden mußte, da der Germane ohne-
hin geneigt iſt Grobheit und Wahrhaftigkeit zu verwechſeln. Es blieb ein
krankhafter Zuſtand, daß die Söhne eines geiſtreichen Volkes einen lärmen-
den Barbaren als ihren Lehrer verehrten. Indeß war die Wirkſamkeit des
Alten im Bart während dieſer erſten Jahre noch überwiegend heilſam.

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[306/0322] I. 3. Preußens Erhebung. dieſen zwei Jahrhunderten des Weltbürgerthums Niemand mehr zu unſerem Volke geredet hatte, aber auch mit der ganzen unklaren Ueberſchwänglich- keit des neuen literariſchen Nationalſtolzes: die Deutſchen allein ſind noch urſprüngliche Menſchen, nicht in willkürlichen Satzungen erſtorben, das Volk der Ideen, des Charakters; wenn ſie verſinken, ſo verſinkt das ganze menſchliche Geſchlecht mit. Soll der Menſchheit noch eine Hoffnung bleiben, ſo muß ein neues deutſches Geſchlecht erzogen werden, das in ſeinem Vaterlande den Träger und das Unterpfand der irdiſchen Ewigkeit ver- ehrt und dereinſt den Kampf aufnimmt gegen den vernunftloſen, haſſens- würdigen Gedanken der Univerſalmonarchie. Die Predigten Schleiermachers erregten den Argwohn der fran- zöſiſchen Spione. Mit dem hochfliegenden Pathos dieſes Redners, der die Erfüllung ſeiner Träume auf eine zukünftige Generation verſchob, wußten die Fremden nichts anzufangen; ſie ahnten nicht, wie unwider- ſtehlich grade der überſchwängliche Idealismus die Gemüther dieſes philo- ſophiſchen Geſchlechts ergriff. Der Jugend ging das Herz auf bei der Lehre: ſich der Gattung zu opfern ſei der Triumph der Bildung, ſei die Seligkeit des Ich. Die Zeit erlebte, wie Fichte mit philoſophiſcher Herablaſſung ſagte, „den ſeltenen Fall, wo Regierung und Wiſſenſchaft übereinkommen“; ſie fühlte, daß die Wiederaufrichtung des deutſchen Staates mehr noch eine ſittliche als eine politiſche Pflicht war; ſie brauchte nichts dringender als jenen „feſten und gewiſſen Geiſt“, den dieſer Redner ihr zu erwecken ſuchte. Unwillkürlich gedachten die Hörer bei dem herriſchen Weſen und der zermalmenden ſittlichen Strenge des Philoſophen an den Freiherrn vom Stein. In gleichem Sinne ſchrieb Arndt während und nach dem Kriege neue Bände ſeines Geiſtes der Zeit. Er zog zu Felde wider unſere Viel- herrſchaft, die zur Allknechtſchaft geworden, wider die unpolitiſche Gerech- tigkeit der Deutſchen, die das Veraltete gewiſſenhaft verſchonten bis die Fremden damit aufräumten, und vor Allem wider die übergeiſtige, über- zärtliche Bildung, die da wähne, daß Kriegsruhm wenig, daß Tapferkeit zu kühn, daß Mannlichkeit trotzig und Feſtigkeit beſchwerlich ſei. Friſch- auf zum Rhein — ſo lautete ſein Schluß — und dann gerufen: Frei- heit und Oeſterreich! Franz unſer Kaiſer, nicht Bonaparte! In dem polternden Treiben des wunderlichen Recken Jahn zeigten ſich ſchon einige der fratzenhaften Züge, welche das neue Deutſchthum ver- unzierten: rauher und hochmüthiger Fremdenhaß, vorlaute Prahlerei, Ver- achtung aller Anmuth und feinen Sitte — ein formloſes Weſen, das für unſere Jugend um ſo ſchädlicher werden mußte, da der Germane ohne- hin geneigt iſt Grobheit und Wahrhaftigkeit zu verwechſeln. Es blieb ein krankhafter Zuſtand, daß die Söhne eines geiſtreichen Volkes einen lärmen- den Barbaren als ihren Lehrer verehrten. Indeß war die Wirkſamkeit des Alten im Bart während dieſer erſten Jahre noch überwiegend heilſam.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/322>, abgerufen am 22.11.2024.