Deutschland -- und erlebte noch die Freude, daß die alte Rupertina zum dritten male, wie einst in den Zeiten Otto Heinrichs und Karl Ludwigs, mit neuen schöpferischen Gedanken in den Gang des deutschen Lebens eingriff.
Hier in dem lieblichsten Winkel unserer rheinischen Lande stand die Wiege der neuen romantischen Schule. Das epheuumrankte, in den Blüthen der Bäume wie verschneite Schloß, die Thürme der alten Dome drunten in der sonnigen Ebene, die geborstenen Ritterburgen, die wie Schwalbennester an den Felsen hängen, Alles erinnerte hier an eine hochgemuthe Vorzeit, die der Sehnsucht so viel tröstlicher schien als die nüchterne Gegenwart. Achim Arnim und Clemens Brentano fanden sich hier zusammen, auch Görres, der phantastische Schweber, der es drüben auf dem französischen Ufer, so nahe dem Pariser Höllenschlunde nicht mehr ausgehalten. Die Dichter des achtzehnten Jahrhunderts hatten sich auf deutscher Erde überall wohl gefühlt wo sie warmherzige Freunde fanden und ungestört ihren Idealen leben konnten; jetzt begannen die Nord- deutschen mit Sehnsucht nach den schönen Landen der Reben und der Sagen hinüberzuschauen. Wie frohlockte Heinrich Kleist als er aus seinem armen Brandenburg in die Berge Süddeutschlands hinaufzog. Erst in diesen romantischen Kreisen sind Land und Leute unseres Südens und Westens wieder recht zu Ehren gekommen. Die Vorliebe für den Rhein, die jedem Deutschen im Blute liegt, wurde zu einem schwärmerischen Cultus, nun da man ihn in fremden Händen sah. Wie oft wenn die vollen Römergläser an einander klangen, wiederholte man die Klage Friedrich Schlegels:
Du freundlich ernste starke Woge, Vaterland am lieben Rheine, sieh, die Thränen muß ich weinen weil das Alles nun verloren!
Der Rhein war jetzt Deutschlands heiliger Strom, über jeder seiner Kirchen schwebte ein Engel, um jedes verfallene Gemäuer spielten die Nixen und Elfen oder die Heldengestalten einer großen Geschichte. Eine Menge von Liedern und Romanzen, wie sie die Lust des Weines und des Wanderns eingab, versuchte diese Bilder festzuhalten. Die Balladen der classischen Dichtung hatten zumeist irgendwo in grauer Vorzeit, auf einem unbe- stimmten idealen Schauplatze gespielt; jetzt mußte der Dichter auch seinen kurzen Erzählungen einen bestimmten landschaftlichen Hintergrund, seinen Figuren ein historisches Costüm geben. Man wollte die Wellen des Rheins und des Neckars hinter den Sagenbildern des Dichters rauschen hören, die biderben Sitten der deutschen Altvordern in seinen Helden wiederfinden.
Jener Theil der vaterländischen Geschichte, der allein noch in der Er- innerung des Volkes lebte, die letzten hundertundfünfzig Jahre waren den Patrioten widerwärtig als die Zeit der deutschen Zerrissenheit, den Poeten abschreckend durch die Prosa ihrer Lebensformen. Nur im Mittelalter
Die Heidelberger Romantiker.
Deutſchland — und erlebte noch die Freude, daß die alte Rupertina zum dritten male, wie einſt in den Zeiten Otto Heinrichs und Karl Ludwigs, mit neuen ſchöpferiſchen Gedanken in den Gang des deutſchen Lebens eingriff.
Hier in dem lieblichſten Winkel unſerer rheiniſchen Lande ſtand die Wiege der neuen romantiſchen Schule. Das epheuumrankte, in den Blüthen der Bäume wie verſchneite Schloß, die Thürme der alten Dome drunten in der ſonnigen Ebene, die geborſtenen Ritterburgen, die wie Schwalbenneſter an den Felſen hängen, Alles erinnerte hier an eine hochgemuthe Vorzeit, die der Sehnſucht ſo viel tröſtlicher ſchien als die nüchterne Gegenwart. Achim Arnim und Clemens Brentano fanden ſich hier zuſammen, auch Görres, der phantaſtiſche Schweber, der es drüben auf dem franzöſiſchen Ufer, ſo nahe dem Pariſer Höllenſchlunde nicht mehr ausgehalten. Die Dichter des achtzehnten Jahrhunderts hatten ſich auf deutſcher Erde überall wohl gefühlt wo ſie warmherzige Freunde fanden und ungeſtört ihren Idealen leben konnten; jetzt begannen die Nord- deutſchen mit Sehnſucht nach den ſchönen Landen der Reben und der Sagen hinüberzuſchauen. Wie frohlockte Heinrich Kleiſt als er aus ſeinem armen Brandenburg in die Berge Süddeutſchlands hinaufzog. Erſt in dieſen romantiſchen Kreiſen ſind Land und Leute unſeres Südens und Weſtens wieder recht zu Ehren gekommen. Die Vorliebe für den Rhein, die jedem Deutſchen im Blute liegt, wurde zu einem ſchwärmeriſchen Cultus, nun da man ihn in fremden Händen ſah. Wie oft wenn die vollen Römergläſer an einander klangen, wiederholte man die Klage Friedrich Schlegels:
Du freundlich ernſte ſtarke Woge, Vaterland am lieben Rheine, ſieh, die Thränen muß ich weinen weil das Alles nun verloren!
Der Rhein war jetzt Deutſchlands heiliger Strom, über jeder ſeiner Kirchen ſchwebte ein Engel, um jedes verfallene Gemäuer ſpielten die Nixen und Elfen oder die Heldengeſtalten einer großen Geſchichte. Eine Menge von Liedern und Romanzen, wie ſie die Luſt des Weines und des Wanderns eingab, verſuchte dieſe Bilder feſtzuhalten. Die Balladen der claſſiſchen Dichtung hatten zumeiſt irgendwo in grauer Vorzeit, auf einem unbe- ſtimmten idealen Schauplatze geſpielt; jetzt mußte der Dichter auch ſeinen kurzen Erzählungen einen beſtimmten landſchaftlichen Hintergrund, ſeinen Figuren ein hiſtoriſches Coſtüm geben. Man wollte die Wellen des Rheins und des Neckars hinter den Sagenbildern des Dichters rauſchen hören, die biderben Sitten der deutſchen Altvordern in ſeinen Helden wiederfinden.
Jener Theil der vaterländiſchen Geſchichte, der allein noch in der Er- innerung des Volkes lebte, die letzten hundertundfünfzig Jahre waren den Patrioten widerwärtig als die Zeit der deutſchen Zerriſſenheit, den Poeten abſchreckend durch die Proſa ihrer Lebensformen. Nur im Mittelalter
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Die Heidelberger Romantiker.
Deutſchland — und erlebte noch die Freude, daß die alte Rupertina zum
dritten male, wie einſt in den Zeiten Otto Heinrichs und Karl Ludwigs,
mit neuen ſchöpferiſchen Gedanken in den Gang des deutſchen Lebens eingriff.
Hier in dem lieblichſten Winkel unſerer rheiniſchen Lande ſtand die
Wiege der neuen romantiſchen Schule. Das epheuumrankte, in den
Blüthen der Bäume wie verſchneite Schloß, die Thürme der alten Dome
drunten in der ſonnigen Ebene, die geborſtenen Ritterburgen, die wie
Schwalbenneſter an den Felſen hängen, Alles erinnerte hier an eine
hochgemuthe Vorzeit, die der Sehnſucht ſo viel tröſtlicher ſchien als die
nüchterne Gegenwart. Achim Arnim und Clemens Brentano fanden ſich
hier zuſammen, auch Görres, der phantaſtiſche Schweber, der es drüben
auf dem franzöſiſchen Ufer, ſo nahe dem Pariſer Höllenſchlunde nicht mehr
ausgehalten. Die Dichter des achtzehnten Jahrhunderts hatten ſich auf
deutſcher Erde überall wohl gefühlt wo ſie warmherzige Freunde fanden
und ungeſtört ihren Idealen leben konnten; jetzt begannen die Nord-
deutſchen mit Sehnſucht nach den ſchönen Landen der Reben und der
Sagen hinüberzuſchauen. Wie frohlockte Heinrich Kleiſt als er aus ſeinem
armen Brandenburg in die Berge Süddeutſchlands hinaufzog. Erſt in
dieſen romantiſchen Kreiſen ſind Land und Leute unſeres Südens und
Weſtens wieder recht zu Ehren gekommen. Die Vorliebe für den Rhein,
die jedem Deutſchen im Blute liegt, wurde zu einem ſchwärmeriſchen
Cultus, nun da man ihn in fremden Händen ſah. Wie oft wenn die
vollen Römergläſer an einander klangen, wiederholte man die Klage
Friedrich Schlegels:
Du freundlich ernſte ſtarke Woge,
Vaterland am lieben Rheine,
ſieh, die Thränen muß ich weinen
weil das Alles nun verloren!
Der Rhein war jetzt Deutſchlands heiliger Strom, über jeder ſeiner
Kirchen ſchwebte ein Engel, um jedes verfallene Gemäuer ſpielten die Nixen
und Elfen oder die Heldengeſtalten einer großen Geſchichte. Eine Menge
von Liedern und Romanzen, wie ſie die Luſt des Weines und des Wanderns
eingab, verſuchte dieſe Bilder feſtzuhalten. Die Balladen der claſſiſchen
Dichtung hatten zumeiſt irgendwo in grauer Vorzeit, auf einem unbe-
ſtimmten idealen Schauplatze geſpielt; jetzt mußte der Dichter auch ſeinen
kurzen Erzählungen einen beſtimmten landſchaftlichen Hintergrund, ſeinen
Figuren ein hiſtoriſches Coſtüm geben. Man wollte die Wellen des Rheins
und des Neckars hinter den Sagenbildern des Dichters rauſchen hören,
die biderben Sitten der deutſchen Altvordern in ſeinen Helden wiederfinden.
Jener Theil der vaterländiſchen Geſchichte, der allein noch in der Er-
innerung des Volkes lebte, die letzten hundertundfünfzig Jahre waren den
Patrioten widerwärtig als die Zeit der deutſchen Zerriſſenheit, den Poeten
abſchreckend durch die Proſa ihrer Lebensformen. Nur im Mittelalter
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/325>, abgerufen am 22.11.2024.
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