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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Cornelius.
liebe, der Humor der Studenten, die Schlaglust der Soldaten und die
Sonnenflüge des deutschen Gedankens -- fast Alles was unser Leben aus-
macht. In keinem seiner größeren Werke seit dem Götz hatte Goethe so
volksthümlich geschrieben. Die einfachen Reimpaare der alten Fastnachts-
schwänke gaben mit wunderbarer Kraft und Klarheit jeden Farbenwechsel
der Stimmung wieder; dem schlichten Leser schien Alles verständlich, dem
geistvollen unergründlich.

Die jungen Poeten priesen den Faust als die Vollendung der roman-
tischen Kunst; sie fühlten sich bestärkt und ermuthigt in ihrem eigenen
Thun, da nun auch der Fürst der classischen Dichtung in die Nebel-
welt der Romantik sich verlor und die Hexen um den Blocksberg tanzen
ließ. Der alte Herr zeigte freilich bald, wie hoch er über den literarischen
Parteien des Tages stand. Kurz nach dem Faust gab er die Wahlver-
wandtschaften heraus. Man bewunderte den psychologischen Tiefsinn und
den hohen Kunstverstand des Meisters -- denn eine so vollendete, so fest
geschlossene Composition war ihm noch nie gelungen -- doch man fühlte
auch mit Befremden, daß diese Dichtung mit den Empfindungen der Zeit
gar nichts gemein hatte; sie schien geschrieben für ein Geschlecht das nicht
mehr war. Was verschlug es? -- der Jugend blieb Goethe der ver-
götterte Dichter des Faust, und da auch Schillers Werke erst jetzt die
volle Würdigung fanden, so wurde die gemeinsame Verehrung für die
Heroen von Weimar ein Band der Einheit für alle Gebildeten. Auch
dieser Cultus kam dem Selbstgefühle der unglücklichen Nation zu gute.

Selbst in den bildenden Künsten erwachte endlich wieder fröhliche
Werdelust; die Anfänge unserer neuen Malerei verknüpften sich unmittel-
bar mit der Wiederentdeckung des deutschen Alterthums. Wie einsam
war noch Asmus Carstens geblieben mit seinem genialen Drange nach
der Einfalt der Natur und der Großheit der Antike -- der Prophet einer
schöneren Zeit, die er nicht mehr sehen sollte. Jetzt aber fand sich in
dem Kloster von San Isidoro zu Rom eine ganze Schaar deutscher Maler
zusammen, ein begeistertes, streitbares junges Geschlecht, das für Dürer,
Memling, van Eyck schwärmte und sich berufen hielt, zu Ehren Gottes
und des deutschen Vaterlandes die akademische Kunst der Franzosen durch
die Treue und den Tiefsinn des alten christlich-germanischen Wesens zu
besiegen. Die Katholiken waren unter den jungen Malern von Haus aus
stärker vertreten als unter den Dichtern und Gelehrten; ein Katholik war
auch der Größte unter ihnen, Peter Cornelius, nur daß auch er an dem
Borne der norddeutschen Bildung getrunken hatte und sein Bekenntniß in
einem weiten und großen Sinne auffaßte. Ein heiliger Ehrgeiz schwellte
ihm die Seele und er betete: "so schufst Du dies Herz nach himmlischen
Thaten sich sehnend, in der Demuth groß und in unendlicher Liebe zu
Dir." Glühend und strenge, nach Dürerischer Art, sollte die deutsche
Malerei sich zeigen, denn nur durch die Deutschen könne die Kunst eine

Cornelius.
liebe, der Humor der Studenten, die Schlagluſt der Soldaten und die
Sonnenflüge des deutſchen Gedankens — faſt Alles was unſer Leben aus-
macht. In keinem ſeiner größeren Werke ſeit dem Götz hatte Goethe ſo
volksthümlich geſchrieben. Die einfachen Reimpaare der alten Faſtnachts-
ſchwänke gaben mit wunderbarer Kraft und Klarheit jeden Farbenwechſel
der Stimmung wieder; dem ſchlichten Leſer ſchien Alles verſtändlich, dem
geiſtvollen unergründlich.

Die jungen Poeten prieſen den Fauſt als die Vollendung der roman-
tiſchen Kunſt; ſie fühlten ſich beſtärkt und ermuthigt in ihrem eigenen
Thun, da nun auch der Fürſt der claſſiſchen Dichtung in die Nebel-
welt der Romantik ſich verlor und die Hexen um den Blocksberg tanzen
ließ. Der alte Herr zeigte freilich bald, wie hoch er über den literariſchen
Parteien des Tages ſtand. Kurz nach dem Fauſt gab er die Wahlver-
wandtſchaften heraus. Man bewunderte den pſychologiſchen Tiefſinn und
den hohen Kunſtverſtand des Meiſters — denn eine ſo vollendete, ſo feſt
geſchloſſene Compoſition war ihm noch nie gelungen — doch man fühlte
auch mit Befremden, daß dieſe Dichtung mit den Empfindungen der Zeit
gar nichts gemein hatte; ſie ſchien geſchrieben für ein Geſchlecht das nicht
mehr war. Was verſchlug es? — der Jugend blieb Goethe der ver-
götterte Dichter des Fauſt, und da auch Schillers Werke erſt jetzt die
volle Würdigung fanden, ſo wurde die gemeinſame Verehrung für die
Heroen von Weimar ein Band der Einheit für alle Gebildeten. Auch
dieſer Cultus kam dem Selbſtgefühle der unglücklichen Nation zu gute.

Selbſt in den bildenden Künſten erwachte endlich wieder fröhliche
Werdeluſt; die Anfänge unſerer neuen Malerei verknüpften ſich unmittel-
bar mit der Wiederentdeckung des deutſchen Alterthums. Wie einſam
war noch Asmus Carſtens geblieben mit ſeinem genialen Drange nach
der Einfalt der Natur und der Großheit der Antike — der Prophet einer
ſchöneren Zeit, die er nicht mehr ſehen ſollte. Jetzt aber fand ſich in
dem Kloſter von San Iſidoro zu Rom eine ganze Schaar deutſcher Maler
zuſammen, ein begeiſtertes, ſtreitbares junges Geſchlecht, das für Dürer,
Memling, van Eyck ſchwärmte und ſich berufen hielt, zu Ehren Gottes
und des deutſchen Vaterlandes die akademiſche Kunſt der Franzoſen durch
die Treue und den Tiefſinn des alten chriſtlich-germaniſchen Weſens zu
beſiegen. Die Katholiken waren unter den jungen Malern von Haus aus
ſtärker vertreten als unter den Dichtern und Gelehrten; ein Katholik war
auch der Größte unter ihnen, Peter Cornelius, nur daß auch er an dem
Borne der norddeutſchen Bildung getrunken hatte und ſein Bekenntniß in
einem weiten und großen Sinne auffaßte. Ein heiliger Ehrgeiz ſchwellte
ihm die Seele und er betete: „ſo ſchufſt Du dies Herz nach himmliſchen
Thaten ſich ſehnend, in der Demuth groß und in unendlicher Liebe zu
Dir.“ Glühend und ſtrenge, nach Düreriſcher Art, ſollte die deutſche
Malerei ſich zeigen, denn nur durch die Deutſchen könne die Kunſt eine

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[319/0335] Cornelius. liebe, der Humor der Studenten, die Schlagluſt der Soldaten und die Sonnenflüge des deutſchen Gedankens — faſt Alles was unſer Leben aus- macht. In keinem ſeiner größeren Werke ſeit dem Götz hatte Goethe ſo volksthümlich geſchrieben. Die einfachen Reimpaare der alten Faſtnachts- ſchwänke gaben mit wunderbarer Kraft und Klarheit jeden Farbenwechſel der Stimmung wieder; dem ſchlichten Leſer ſchien Alles verſtändlich, dem geiſtvollen unergründlich. Die jungen Poeten prieſen den Fauſt als die Vollendung der roman- tiſchen Kunſt; ſie fühlten ſich beſtärkt und ermuthigt in ihrem eigenen Thun, da nun auch der Fürſt der claſſiſchen Dichtung in die Nebel- welt der Romantik ſich verlor und die Hexen um den Blocksberg tanzen ließ. Der alte Herr zeigte freilich bald, wie hoch er über den literariſchen Parteien des Tages ſtand. Kurz nach dem Fauſt gab er die Wahlver- wandtſchaften heraus. Man bewunderte den pſychologiſchen Tiefſinn und den hohen Kunſtverſtand des Meiſters — denn eine ſo vollendete, ſo feſt geſchloſſene Compoſition war ihm noch nie gelungen — doch man fühlte auch mit Befremden, daß dieſe Dichtung mit den Empfindungen der Zeit gar nichts gemein hatte; ſie ſchien geſchrieben für ein Geſchlecht das nicht mehr war. Was verſchlug es? — der Jugend blieb Goethe der ver- götterte Dichter des Fauſt, und da auch Schillers Werke erſt jetzt die volle Würdigung fanden, ſo wurde die gemeinſame Verehrung für die Heroen von Weimar ein Band der Einheit für alle Gebildeten. Auch dieſer Cultus kam dem Selbſtgefühle der unglücklichen Nation zu gute. Selbſt in den bildenden Künſten erwachte endlich wieder fröhliche Werdeluſt; die Anfänge unſerer neuen Malerei verknüpften ſich unmittel- bar mit der Wiederentdeckung des deutſchen Alterthums. Wie einſam war noch Asmus Carſtens geblieben mit ſeinem genialen Drange nach der Einfalt der Natur und der Großheit der Antike — der Prophet einer ſchöneren Zeit, die er nicht mehr ſehen ſollte. Jetzt aber fand ſich in dem Kloſter von San Iſidoro zu Rom eine ganze Schaar deutſcher Maler zuſammen, ein begeiſtertes, ſtreitbares junges Geſchlecht, das für Dürer, Memling, van Eyck ſchwärmte und ſich berufen hielt, zu Ehren Gottes und des deutſchen Vaterlandes die akademiſche Kunſt der Franzoſen durch die Treue und den Tiefſinn des alten chriſtlich-germaniſchen Weſens zu beſiegen. Die Katholiken waren unter den jungen Malern von Haus aus ſtärker vertreten als unter den Dichtern und Gelehrten; ein Katholik war auch der Größte unter ihnen, Peter Cornelius, nur daß auch er an dem Borne der norddeutſchen Bildung getrunken hatte und ſein Bekenntniß in einem weiten und großen Sinne auffaßte. Ein heiliger Ehrgeiz ſchwellte ihm die Seele und er betete: „ſo ſchufſt Du dies Herz nach himmliſchen Thaten ſich ſehnend, in der Demuth groß und in unendlicher Liebe zu Dir.“ Glühend und ſtrenge, nach Düreriſcher Art, ſollte die deutſche Malerei ſich zeigen, denn nur durch die Deutſchen könne die Kunſt eine

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/335>, abgerufen am 22.11.2024.