Paris, vergeblich erbot er sich, sammt seiner edlen Gemahlin als Geisel in französischer Haft zu bleiben bis zur Abtragung der Kriegsschuld. Der Imperator sagte dem Prinzen drohend: "ich weiß, daß alle Preußen mich hassen," und ließ seine Intendanten hausen wie in Feindesland. Während der zwei Jahre der Occupation wurden dem verarmten Lande an Con- tributionen, Verpflegungen und Lieferungen eine Milliarde und 129 Mil- lionen Franken abgepreßt, etwa der sechzehnfache Jahresbetrag der ge- sammten Roh-Einnahme des Staats *); die Provinz Preußen allein zahlte 113 Mill. Thaler. Nie und nirgends ward ein gesittetes Volk grausamer mißhandelt.
Als die Sieger nach Monaten sich endlich herbeiließen den Betrag ihrer Forderungen anzugeben, berechneten sie einen Rest von 1541/2 Mill. Fr., während die preußischen Behörden nachwiesen, daß nach Napoleons ausdrücklichem Versprechen die Lieferungen von der Contribution abzu- rechnen seien und demnach nur noch eine Schuld von 19 Mill. Fr. verbleibe. Was wollte es dieser ungeheuren Zumuthung gegenüber bedeuten, daß die Landstände der Provinzen sich für einen Theil der Kriegsschuld ver- bürgten? Die Forderung blieb unerschwinglich. Dazu die unablässigen Rüstungen in Magdeburg, die französischen Armeecorps in Schwedisch- Pommern, in Warschau, überall in den Landen diesseits der Weichsel; und die wiederholte Versicherung, der Imperator werde es als ein Zeichen des Vertrauens betrachten, wenn der König bald aus dem sicheren Königs- berg nach Berlin übersiedle! Und endlich noch eine neue unerhörte Gau- nerei: Napoleon confiscirte, abermals den Tilsiter Verträgen zuwider, die von den preußischen Credit- und Wohlthätigkeitsanstalten im Großherzog- thum Warschau ausgeliehenen Capitalien, desgleichen die Schuldforderungen der preußischen Privatleute, und verkaufte dann seinen Raub, da gestoh- lenes Gut immer niedrig im Preise steht, etwas unter dem Nennwerthe an den König von Sachsen, der für die Gnade dieses Bayonner Vertrages seinen unterthänigen Dank aussprach. Das preußische Volksvermögen war wieder um 30 Mill. Thlr. verringert, die Bank allein verlor an 10 Mill.
Unterdessen währte der Krieg zwischen dem Wolf und dem Fisch mit steigender Erbitterung fort. Der völkerrechtswidrige Einbruch der Briten in Dänemark wurde von Napoleon gewandt benutzt um den öffentlichen Unwillen aufzuregen gegen diese Macht, die Alles was den Menschen heilig unter die Füße trete. In der That fand das Märchen, daß das neue Weltreich nur die Freiheit der Meere bezwecke, noch immer manche gläubige Hörer. Die Cabinette des Ostens zählten nicht zu ihnen. Keine der drei Ostmächte hat seit dem Tilsiter Frieden je wieder ein rückhaltloses Ver- trauen zu dem Weltherrscher gefaßt, wie unstet auch ihre Politik zuweilen
*) Nach der Berechnung von M. Duncker, Aus der Zeit Friedrichs d. Gr. und Fr. Wilhelms III. S. 505 f.
Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 21
Die preußiſche Contribution.
Paris, vergeblich erbot er ſich, ſammt ſeiner edlen Gemahlin als Geiſel in franzöſiſcher Haft zu bleiben bis zur Abtragung der Kriegsſchuld. Der Imperator ſagte dem Prinzen drohend: „ich weiß, daß alle Preußen mich haſſen,“ und ließ ſeine Intendanten hauſen wie in Feindesland. Während der zwei Jahre der Occupation wurden dem verarmten Lande an Con- tributionen, Verpflegungen und Lieferungen eine Milliarde und 129 Mil- lionen Franken abgepreßt, etwa der ſechzehnfache Jahresbetrag der ge- ſammten Roh-Einnahme des Staats *); die Provinz Preußen allein zahlte 113 Mill. Thaler. Nie und nirgends ward ein geſittetes Volk grauſamer mißhandelt.
Als die Sieger nach Monaten ſich endlich herbeiließen den Betrag ihrer Forderungen anzugeben, berechneten ſie einen Reſt von 154½ Mill. Fr., während die preußiſchen Behörden nachwieſen, daß nach Napoleons ausdrücklichem Verſprechen die Lieferungen von der Contribution abzu- rechnen ſeien und demnach nur noch eine Schuld von 19 Mill. Fr. verbleibe. Was wollte es dieſer ungeheuren Zumuthung gegenüber bedeuten, daß die Landſtände der Provinzen ſich für einen Theil der Kriegsſchuld ver- bürgten? Die Forderung blieb unerſchwinglich. Dazu die unabläſſigen Rüſtungen in Magdeburg, die franzöſiſchen Armeecorps in Schwediſch- Pommern, in Warſchau, überall in den Landen dieſſeits der Weichſel; und die wiederholte Verſicherung, der Imperator werde es als ein Zeichen des Vertrauens betrachten, wenn der König bald aus dem ſicheren Königs- berg nach Berlin überſiedle! Und endlich noch eine neue unerhörte Gau- nerei: Napoleon confiscirte, abermals den Tilſiter Verträgen zuwider, die von den preußiſchen Credit- und Wohlthätigkeitsanſtalten im Großherzog- thum Warſchau ausgeliehenen Capitalien, desgleichen die Schuldforderungen der preußiſchen Privatleute, und verkaufte dann ſeinen Raub, da geſtoh- lenes Gut immer niedrig im Preiſe ſteht, etwas unter dem Nennwerthe an den König von Sachſen, der für die Gnade dieſes Bayonner Vertrages ſeinen unterthänigen Dank ausſprach. Das preußiſche Volksvermögen war wieder um 30 Mill. Thlr. verringert, die Bank allein verlor an 10 Mill.
Unterdeſſen währte der Krieg zwiſchen dem Wolf und dem Fiſch mit ſteigender Erbitterung fort. Der völkerrechtswidrige Einbruch der Briten in Dänemark wurde von Napoleon gewandt benutzt um den öffentlichen Unwillen aufzuregen gegen dieſe Macht, die Alles was den Menſchen heilig unter die Füße trete. In der That fand das Märchen, daß das neue Weltreich nur die Freiheit der Meere bezwecke, noch immer manche gläubige Hörer. Die Cabinette des Oſtens zählten nicht zu ihnen. Keine der drei Oſtmächte hat ſeit dem Tilſiter Frieden je wieder ein rückhaltloſes Ver- trauen zu dem Weltherrſcher gefaßt, wie unſtet auch ihre Politik zuweilen
*) Nach der Berechnung von M. Duncker, Aus der Zeit Friedrichs d. Gr. und Fr. Wilhelms III. S. 505 f.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 21
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0337"n="321"/><fwplace="top"type="header">Die preußiſche Contribution.</fw><lb/>
Paris, vergeblich erbot er ſich, ſammt ſeiner edlen Gemahlin als Geiſel<lb/>
in franzöſiſcher Haft zu bleiben bis zur Abtragung der Kriegsſchuld. Der<lb/>
Imperator ſagte dem Prinzen drohend: „ich weiß, daß alle Preußen mich<lb/>
haſſen,“ und ließ ſeine Intendanten hauſen wie in Feindesland. Während<lb/>
der zwei Jahre der Occupation wurden dem verarmten Lande an Con-<lb/>
tributionen, Verpflegungen und Lieferungen eine Milliarde und 129 Mil-<lb/>
lionen Franken abgepreßt, etwa der ſechzehnfache Jahresbetrag der ge-<lb/>ſammten Roh-Einnahme des Staats <noteplace="foot"n="*)">Nach der Berechnung von M. Duncker, Aus der Zeit Friedrichs d. Gr. und<lb/>
Fr. Wilhelms <hirendition="#aq">III.</hi> S. 505 f.</note>; die Provinz Preußen allein zahlte<lb/>
113 Mill. Thaler. Nie und nirgends ward ein geſittetes Volk grauſamer<lb/>
mißhandelt.</p><lb/><p>Als die Sieger nach Monaten ſich endlich herbeiließen den Betrag<lb/>
ihrer Forderungen anzugeben, berechneten ſie einen Reſt von 154½ Mill.<lb/>
Fr., während die preußiſchen Behörden nachwieſen, daß nach Napoleons<lb/>
ausdrücklichem Verſprechen die Lieferungen von der Contribution abzu-<lb/>
rechnen ſeien und demnach nur noch eine Schuld von 19 Mill. Fr. verbleibe.<lb/>
Was wollte es dieſer ungeheuren Zumuthung gegenüber bedeuten, daß<lb/>
die Landſtände der Provinzen ſich für einen Theil der Kriegsſchuld ver-<lb/>
bürgten? Die Forderung blieb unerſchwinglich. Dazu die unabläſſigen<lb/>
Rüſtungen in Magdeburg, die franzöſiſchen Armeecorps in Schwediſch-<lb/>
Pommern, in Warſchau, überall in den Landen dieſſeits der Weichſel;<lb/>
und die wiederholte Verſicherung, der Imperator werde es als ein Zeichen<lb/>
des Vertrauens betrachten, wenn der König bald aus dem ſicheren Königs-<lb/>
berg nach Berlin überſiedle! Und endlich noch eine neue unerhörte Gau-<lb/>
nerei: Napoleon confiscirte, abermals den Tilſiter Verträgen zuwider, die<lb/>
von den preußiſchen Credit- und Wohlthätigkeitsanſtalten im Großherzog-<lb/>
thum Warſchau ausgeliehenen Capitalien, desgleichen die Schuldforderungen<lb/>
der preußiſchen Privatleute, und verkaufte dann ſeinen Raub, da geſtoh-<lb/>
lenes Gut immer niedrig im Preiſe ſteht, etwas unter dem Nennwerthe<lb/>
an den König von Sachſen, der für die Gnade dieſes Bayonner Vertrages<lb/>ſeinen unterthänigen Dank ausſprach. Das preußiſche Volksvermögen war<lb/>
wieder um 30 Mill. Thlr. verringert, die Bank allein verlor an 10 Mill.</p><lb/><p>Unterdeſſen währte der Krieg zwiſchen dem Wolf und dem Fiſch mit<lb/>ſteigender Erbitterung fort. Der völkerrechtswidrige Einbruch der Briten<lb/>
in Dänemark wurde von Napoleon gewandt benutzt um den öffentlichen<lb/>
Unwillen aufzuregen gegen dieſe Macht, die Alles was den Menſchen heilig<lb/>
unter die Füße trete. In der That fand das Märchen, daß das neue<lb/>
Weltreich nur die Freiheit der Meere bezwecke, noch immer manche gläubige<lb/>
Hörer. Die Cabinette des Oſtens zählten nicht zu ihnen. Keine der drei<lb/>
Oſtmächte hat ſeit dem Tilſiter Frieden je wieder ein rückhaltloſes Ver-<lb/>
trauen zu dem Weltherrſcher gefaßt, wie unſtet auch ihre Politik zuweilen<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Treitſchke</hi>, Deutſche Geſchichte. <hirendition="#aq">I.</hi> 21</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[321/0337]
Die preußiſche Contribution.
Paris, vergeblich erbot er ſich, ſammt ſeiner edlen Gemahlin als Geiſel
in franzöſiſcher Haft zu bleiben bis zur Abtragung der Kriegsſchuld. Der
Imperator ſagte dem Prinzen drohend: „ich weiß, daß alle Preußen mich
haſſen,“ und ließ ſeine Intendanten hauſen wie in Feindesland. Während
der zwei Jahre der Occupation wurden dem verarmten Lande an Con-
tributionen, Verpflegungen und Lieferungen eine Milliarde und 129 Mil-
lionen Franken abgepreßt, etwa der ſechzehnfache Jahresbetrag der ge-
ſammten Roh-Einnahme des Staats *); die Provinz Preußen allein zahlte
113 Mill. Thaler. Nie und nirgends ward ein geſittetes Volk grauſamer
mißhandelt.
Als die Sieger nach Monaten ſich endlich herbeiließen den Betrag
ihrer Forderungen anzugeben, berechneten ſie einen Reſt von 154½ Mill.
Fr., während die preußiſchen Behörden nachwieſen, daß nach Napoleons
ausdrücklichem Verſprechen die Lieferungen von der Contribution abzu-
rechnen ſeien und demnach nur noch eine Schuld von 19 Mill. Fr. verbleibe.
Was wollte es dieſer ungeheuren Zumuthung gegenüber bedeuten, daß
die Landſtände der Provinzen ſich für einen Theil der Kriegsſchuld ver-
bürgten? Die Forderung blieb unerſchwinglich. Dazu die unabläſſigen
Rüſtungen in Magdeburg, die franzöſiſchen Armeecorps in Schwediſch-
Pommern, in Warſchau, überall in den Landen dieſſeits der Weichſel;
und die wiederholte Verſicherung, der Imperator werde es als ein Zeichen
des Vertrauens betrachten, wenn der König bald aus dem ſicheren Königs-
berg nach Berlin überſiedle! Und endlich noch eine neue unerhörte Gau-
nerei: Napoleon confiscirte, abermals den Tilſiter Verträgen zuwider, die
von den preußiſchen Credit- und Wohlthätigkeitsanſtalten im Großherzog-
thum Warſchau ausgeliehenen Capitalien, desgleichen die Schuldforderungen
der preußiſchen Privatleute, und verkaufte dann ſeinen Raub, da geſtoh-
lenes Gut immer niedrig im Preiſe ſteht, etwas unter dem Nennwerthe
an den König von Sachſen, der für die Gnade dieſes Bayonner Vertrages
ſeinen unterthänigen Dank ausſprach. Das preußiſche Volksvermögen war
wieder um 30 Mill. Thlr. verringert, die Bank allein verlor an 10 Mill.
Unterdeſſen währte der Krieg zwiſchen dem Wolf und dem Fiſch mit
ſteigender Erbitterung fort. Der völkerrechtswidrige Einbruch der Briten
in Dänemark wurde von Napoleon gewandt benutzt um den öffentlichen
Unwillen aufzuregen gegen dieſe Macht, die Alles was den Menſchen heilig
unter die Füße trete. In der That fand das Märchen, daß das neue
Weltreich nur die Freiheit der Meere bezwecke, noch immer manche gläubige
Hörer. Die Cabinette des Oſtens zählten nicht zu ihnen. Keine der drei
Oſtmächte hat ſeit dem Tilſiter Frieden je wieder ein rückhaltloſes Ver-
trauen zu dem Weltherrſcher gefaßt, wie unſtet auch ihre Politik zuweilen
*) Nach der Berechnung von M. Duncker, Aus der Zeit Friedrichs d. Gr. und
Fr. Wilhelms III. S. 505 f.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 21
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/337>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.