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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Ministerium Altenstein-Dohna.

Alsbald nach Steins Abgang gerieth sein Reformwerk ins Stocken.
Alle die bedeutenden Talente, die unter ihm gearbeitet, vermochten nichts
mehr seit sein belebender mächtiger Wille fehlte. Der Staat bedurfte, so
lange die neue Organisation nicht vollendet war, eines leitenden Staats-
mannes, dem die Minister sich unterordneten. Da indeß Hardenberg
durch Napoleons Mißgunst den Geschäften noch immer fern gehalten
wurde und Niemand sonst den Ausscheidenden ersetzen konnte, so behalf
man sich mit einer collegialischen Ministerregierung. Der neue Minister
des Innern, Graf Alexander Dohna war ein feingebildeter ehrenhafter
Patriot -- wie alle Söhne jenes alten protestantischen Heldengeschlechts,
von dem das ostpreußische Sprichwort sagte: gut wie ein Dohna -- doch
weder ein ideenreicher Kopf noch ein Mann des durchgreifenden Entschlusses.
Der König verhehlte sich nicht, daß die neue Organisation nicht mehr auf
halbem Wege stehen bleiben durfte; er überwand jetzt sogar seine Abnei-
gung gegen das Repräsentativsystem, befahl dem Minister des Innern,
die Neugestaltung der ständischen Verfassung sowie der ländlichen Polizei-
verwaltung schleunig in Angriff zu nehmen.*) Sein gesunder Verstand
erkannte, daß die Polizeigewalt der Gutsherrschaften das feste Bollwerk
der alten ständischen Vorrechte bildete.

Kaum wurden diese Absichten des Monarchen ruchbar, so erhob sich
wieder die Opposition der Landtage, und sie trat jetzt dreister auf als
unter Steins kraftvollem Regimente. Die Stände der Kurmark verlang-
ten trotzig, daß man sie zu der Berathung des Verfassungsentwurfes zu-
ziehe.**) Die pommersche Ritterschaft protestirte auf ihrem Stargarder
Landtage feierlich gegen jede Abänderung der alten Landschafts-Verfassung,
desgleichen gegen den Plan einer allgemeinen Einkommensteuer, während
die Städte des Landes umgekehrt den König beschworen, bei seinen Plänen
auszuharren, denn nur die Aufhebung der Privilegien könne die heute
durch Mißmuth niedergeschlagene thätige Vaterlandsliebe wieder erwecken.***)
Die gesammte feudale Welt gerieth in Unruhe. Der neue brandenbur-
gische Oberpräsident Sack und die Mitglieder der Potsdamer Regierung,
Vincke, Maassen, Beuth, Bassewitz, durchweg eifrige Anhänger der Re-
formpartei, lebten in beständiger Fehde mit den Ständen der Kurmark.
Alle diese trefflichen Männer, die sich nachher sämmtlich einen ehrenvollen
Platz in Preußens Annalen erworben haben, bezichtigte Marwitz der
revolutionären Gesinnung. Vornehmlich Sack galt bei den Landständen
als der Ausbund bureaukratischen Jacobinerthums. Und in der That
stand die altväterische Schulden- und Steuerverwaltung, welche den Land-
tagen noch verblieben war, schlechterdings nicht mehr im Einklang mit

*) Cabinets-Ordres v. 10. Jan. und 4. März 1809.
**) Bericht des Oberpräsidenten Sack an Dohna, 19. Sept. 1809.
***) Eingabe der hinterpommerschen Städte an den König, Stargard 28. Sept. 1809.
Miniſterium Altenſtein-Dohna.

Alsbald nach Steins Abgang gerieth ſein Reformwerk ins Stocken.
Alle die bedeutenden Talente, die unter ihm gearbeitet, vermochten nichts
mehr ſeit ſein belebender mächtiger Wille fehlte. Der Staat bedurfte, ſo
lange die neue Organiſation nicht vollendet war, eines leitenden Staats-
mannes, dem die Miniſter ſich unterordneten. Da indeß Hardenberg
durch Napoleons Mißgunſt den Geſchäften noch immer fern gehalten
wurde und Niemand ſonſt den Ausſcheidenden erſetzen konnte, ſo behalf
man ſich mit einer collegialiſchen Miniſterregierung. Der neue Miniſter
des Innern, Graf Alexander Dohna war ein feingebildeter ehrenhafter
Patriot — wie alle Söhne jenes alten proteſtantiſchen Heldengeſchlechts,
von dem das oſtpreußiſche Sprichwort ſagte: gut wie ein Dohna — doch
weder ein ideenreicher Kopf noch ein Mann des durchgreifenden Entſchluſſes.
Der König verhehlte ſich nicht, daß die neue Organiſation nicht mehr auf
halbem Wege ſtehen bleiben durfte; er überwand jetzt ſogar ſeine Abnei-
gung gegen das Repräſentativſyſtem, befahl dem Miniſter des Innern,
die Neugeſtaltung der ſtändiſchen Verfaſſung ſowie der ländlichen Polizei-
verwaltung ſchleunig in Angriff zu nehmen.*) Sein geſunder Verſtand
erkannte, daß die Polizeigewalt der Gutsherrſchaften das feſte Bollwerk
der alten ſtändiſchen Vorrechte bildete.

Kaum wurden dieſe Abſichten des Monarchen ruchbar, ſo erhob ſich
wieder die Oppoſition der Landtage, und ſie trat jetzt dreiſter auf als
unter Steins kraftvollem Regimente. Die Stände der Kurmark verlang-
ten trotzig, daß man ſie zu der Berathung des Verfaſſungsentwurfes zu-
ziehe.**) Die pommerſche Ritterſchaft proteſtirte auf ihrem Stargarder
Landtage feierlich gegen jede Abänderung der alten Landſchafts-Verfaſſung,
desgleichen gegen den Plan einer allgemeinen Einkommenſteuer, während
die Städte des Landes umgekehrt den König beſchworen, bei ſeinen Plänen
auszuharren, denn nur die Aufhebung der Privilegien könne die heute
durch Mißmuth niedergeſchlagene thätige Vaterlandsliebe wieder erwecken.***)
Die geſammte feudale Welt gerieth in Unruhe. Der neue brandenbur-
giſche Oberpräſident Sack und die Mitglieder der Potsdamer Regierung,
Vincke, Maaſſen, Beuth, Baſſewitz, durchweg eifrige Anhänger der Re-
formpartei, lebten in beſtändiger Fehde mit den Ständen der Kurmark.
Alle dieſe trefflichen Männer, die ſich nachher ſämmtlich einen ehrenvollen
Platz in Preußens Annalen erworben haben, bezichtigte Marwitz der
revolutionären Geſinnung. Vornehmlich Sack galt bei den Landſtänden
als der Ausbund bureaukratiſchen Jacobinerthums. Und in der That
ſtand die altväteriſche Schulden- und Steuerverwaltung, welche den Land-
tagen noch verblieben war, ſchlechterdings nicht mehr im Einklang mit

*) Cabinets-Ordres v. 10. Jan. und 4. März 1809.
**) Bericht des Oberpräſidenten Sack an Dohna, 19. Sept. 1809.
***) Eingabe der hinterpommerſchen Städte an den König, Stargard 28. Sept. 1809.
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[331/0347] Miniſterium Altenſtein-Dohna. Alsbald nach Steins Abgang gerieth ſein Reformwerk ins Stocken. Alle die bedeutenden Talente, die unter ihm gearbeitet, vermochten nichts mehr ſeit ſein belebender mächtiger Wille fehlte. Der Staat bedurfte, ſo lange die neue Organiſation nicht vollendet war, eines leitenden Staats- mannes, dem die Miniſter ſich unterordneten. Da indeß Hardenberg durch Napoleons Mißgunſt den Geſchäften noch immer fern gehalten wurde und Niemand ſonſt den Ausſcheidenden erſetzen konnte, ſo behalf man ſich mit einer collegialiſchen Miniſterregierung. Der neue Miniſter des Innern, Graf Alexander Dohna war ein feingebildeter ehrenhafter Patriot — wie alle Söhne jenes alten proteſtantiſchen Heldengeſchlechts, von dem das oſtpreußiſche Sprichwort ſagte: gut wie ein Dohna — doch weder ein ideenreicher Kopf noch ein Mann des durchgreifenden Entſchluſſes. Der König verhehlte ſich nicht, daß die neue Organiſation nicht mehr auf halbem Wege ſtehen bleiben durfte; er überwand jetzt ſogar ſeine Abnei- gung gegen das Repräſentativſyſtem, befahl dem Miniſter des Innern, die Neugeſtaltung der ſtändiſchen Verfaſſung ſowie der ländlichen Polizei- verwaltung ſchleunig in Angriff zu nehmen. *) Sein geſunder Verſtand erkannte, daß die Polizeigewalt der Gutsherrſchaften das feſte Bollwerk der alten ſtändiſchen Vorrechte bildete. Kaum wurden dieſe Abſichten des Monarchen ruchbar, ſo erhob ſich wieder die Oppoſition der Landtage, und ſie trat jetzt dreiſter auf als unter Steins kraftvollem Regimente. Die Stände der Kurmark verlang- ten trotzig, daß man ſie zu der Berathung des Verfaſſungsentwurfes zu- ziehe. **) Die pommerſche Ritterſchaft proteſtirte auf ihrem Stargarder Landtage feierlich gegen jede Abänderung der alten Landſchafts-Verfaſſung, desgleichen gegen den Plan einer allgemeinen Einkommenſteuer, während die Städte des Landes umgekehrt den König beſchworen, bei ſeinen Plänen auszuharren, denn nur die Aufhebung der Privilegien könne die heute durch Mißmuth niedergeſchlagene thätige Vaterlandsliebe wieder erwecken. ***) Die geſammte feudale Welt gerieth in Unruhe. Der neue brandenbur- giſche Oberpräſident Sack und die Mitglieder der Potsdamer Regierung, Vincke, Maaſſen, Beuth, Baſſewitz, durchweg eifrige Anhänger der Re- formpartei, lebten in beſtändiger Fehde mit den Ständen der Kurmark. Alle dieſe trefflichen Männer, die ſich nachher ſämmtlich einen ehrenvollen Platz in Preußens Annalen erworben haben, bezichtigte Marwitz der revolutionären Geſinnung. Vornehmlich Sack galt bei den Landſtänden als der Ausbund bureaukratiſchen Jacobinerthums. Und in der That ſtand die altväteriſche Schulden- und Steuerverwaltung, welche den Land- tagen noch verblieben war, ſchlechterdings nicht mehr im Einklang mit *) Cabinets-Ordres v. 10. Jan. und 4. März 1809. **) Bericht des Oberpräſidenten Sack an Dohna, 19. Sept. 1809. ***) Eingabe der hinterpommerſchen Städte an den König, Stargard 28. Sept. 1809.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/347>, abgerufen am 22.11.2024.