und doch nicht in das Gebiet bloßer Ideen hinüberschweife. Mitten in der ästhetischen Schwelgerei seiner römischen Jahre packte ihn oft die Sehnsucht nach den herzerhebenden Klängen der Muttersprache; er liebte das deutsche Volk als den gottbegnadeten Träger der neuen europäischen Cultur und weissagte ihm eine vergeltende Zeit, "wo es dem Folgege- schlecht zeichnet die leuchtende Bahn." So war es denn eine innere Nothwendigkeit, daß auch ihn endlich die mächtige politische Strömung jener Tage berührte. Das Pflichtgefühl des Patrioten und der Drang nach allseitiger Bethätigung seiner Kräfte bewogen ihn dem Staate zu dienen, der ihm einst nur als der lästige Vormund der freien Geselligkeit erschie- nen war.
Seine Natur war nicht für alle Aufgaben des praktischen Staats- mannes geschaffen. Ein tiefer politischer Denker wie Hugo Grotius, wurde Humboldt wie dieser im diplomatischen Kampfe von vielen kleineren Köpfen übertroffen, weil ihm der grobe Ehrgeiz des Mannes der That und die Freude an den tausend nothwendigen Nichtigkeiten des Gesandtenberufes fehlte. Er war zu groß für einen Diplomaten. Wo die Politik in die Welt der Ideale hineinragte, da zeigte sich die lautere Hoheit seines Sinnes, die Thatkraft seines Humanismus. Von ganz anderen Aus- gangspunkten her gelangte er zu derselben Ansicht von der Selbstverwal- tung wie Stein; er verehrte den Schöpfer der Städteordnung, weil er in der freien Bewegung der Gemeinden die Schule sah zur Erziehung sittlicher, thatkräftiger Menschen. Doch die dürre Prosa der internationa- len Machtfragen ließ ihn völlig kalt. Seine diplomatischen Denkschriften sind allesammt zu breit und zu scharfsinnig. Sein reicher Geist ergeht sich oft zwecklos im Genusse seiner eigenen Klarheit, wendet den Gegen- stand nach allen Seiten hin und her und findet kein Ende, sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht; ihm gebricht jene Lust am Handeln, welche dem Leser unwillkürlich einen bestimmten Entschluß abzwingt. Nicht ohne Grund nannte ihn Talleyrand le sophisme incarne. Von den schalen Freuden der vornehmen Welt genoß er nur was seinen hellenischen Schönheitssinn reizte; die schwere Kunst sich mit Anstand zu langweilen, allerhand unbedeutende Menschen über die Geheimnisse des Augenblicks auszuforschen wollte er niemals lernen. Mit peinlicher Gewis- senhaftigkeit, wie er Alles betrieb, hat er auch seine diplomatischen Pflichten erfüllt; doch jene leidenschaftliche Freude am Erfolge, die zu allem großen menschlichen Schaffen gehört, kannte er in diesem Berufe nicht.
Dagegen war Niemand so wie er geeignet für die Leitung des Un- terrichtswesens, die ihm der König im Frühjahr 1809 übertrug. Durch die kurze Wirksamkeit von fünfviertel Jahren gab er der preußischen Un- terrichtsverwaltung jenen humanen, idealistischen Zug, der auch unter schwächeren Nachfolgern sich nicht wieder ganz verlieren konnte. Sein universaler Geist wußte jeden Zweig der Wissenschaften und Künste in
I. 3. Preußens Erhebung.
und doch nicht in das Gebiet bloßer Ideen hinüberſchweife. Mitten in der äſthetiſchen Schwelgerei ſeiner römiſchen Jahre packte ihn oft die Sehnſucht nach den herzerhebenden Klängen der Mutterſprache; er liebte das deutſche Volk als den gottbegnadeten Träger der neuen europäiſchen Cultur und weiſſagte ihm eine vergeltende Zeit, „wo es dem Folgege- ſchlecht zeichnet die leuchtende Bahn.“ So war es denn eine innere Nothwendigkeit, daß auch ihn endlich die mächtige politiſche Strömung jener Tage berührte. Das Pflichtgefühl des Patrioten und der Drang nach allſeitiger Bethätigung ſeiner Kräfte bewogen ihn dem Staate zu dienen, der ihm einſt nur als der läſtige Vormund der freien Geſelligkeit erſchie- nen war.
Seine Natur war nicht für alle Aufgaben des praktiſchen Staats- mannes geſchaffen. Ein tiefer politiſcher Denker wie Hugo Grotius, wurde Humboldt wie dieſer im diplomatiſchen Kampfe von vielen kleineren Köpfen übertroffen, weil ihm der grobe Ehrgeiz des Mannes der That und die Freude an den tauſend nothwendigen Nichtigkeiten des Geſandtenberufes fehlte. Er war zu groß für einen Diplomaten. Wo die Politik in die Welt der Ideale hineinragte, da zeigte ſich die lautere Hoheit ſeines Sinnes, die Thatkraft ſeines Humanismus. Von ganz anderen Aus- gangspunkten her gelangte er zu derſelben Anſicht von der Selbſtverwal- tung wie Stein; er verehrte den Schöpfer der Städteordnung, weil er in der freien Bewegung der Gemeinden die Schule ſah zur Erziehung ſittlicher, thatkräftiger Menſchen. Doch die dürre Proſa der internationa- len Machtfragen ließ ihn völlig kalt. Seine diplomatiſchen Denkſchriften ſind alleſammt zu breit und zu ſcharfſinnig. Sein reicher Geiſt ergeht ſich oft zwecklos im Genuſſe ſeiner eigenen Klarheit, wendet den Gegen- ſtand nach allen Seiten hin und her und findet kein Ende, ſieht den Wald vor lauter Bäumen nicht; ihm gebricht jene Luſt am Handeln, welche dem Leſer unwillkürlich einen beſtimmten Entſchluß abzwingt. Nicht ohne Grund nannte ihn Talleyrand le sophisme incarné. Von den ſchalen Freuden der vornehmen Welt genoß er nur was ſeinen helleniſchen Schönheitsſinn reizte; die ſchwere Kunſt ſich mit Anſtand zu langweilen, allerhand unbedeutende Menſchen über die Geheimniſſe des Augenblicks auszuforſchen wollte er niemals lernen. Mit peinlicher Gewiſ- ſenhaftigkeit, wie er Alles betrieb, hat er auch ſeine diplomatiſchen Pflichten erfüllt; doch jene leidenſchaftliche Freude am Erfolge, die zu allem großen menſchlichen Schaffen gehört, kannte er in dieſem Berufe nicht.
Dagegen war Niemand ſo wie er geeignet für die Leitung des Un- terrichtsweſens, die ihm der König im Frühjahr 1809 übertrug. Durch die kurze Wirkſamkeit von fünfviertel Jahren gab er der preußiſchen Un- terrichtsverwaltung jenen humanen, idealiſtiſchen Zug, der auch unter ſchwächeren Nachfolgern ſich nicht wieder ganz verlieren konnte. Sein univerſaler Geiſt wußte jeden Zweig der Wiſſenſchaften und Künſte in
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I. 3. Preußens Erhebung.
und doch nicht in das Gebiet bloßer Ideen hinüberſchweife. Mitten in
der äſthetiſchen Schwelgerei ſeiner römiſchen Jahre packte ihn oft die
Sehnſucht nach den herzerhebenden Klängen der Mutterſprache; er liebte
das deutſche Volk als den gottbegnadeten Träger der neuen europäiſchen
Cultur und weiſſagte ihm eine vergeltende Zeit, „wo es dem Folgege-
ſchlecht zeichnet die leuchtende Bahn.“ So war es denn eine innere
Nothwendigkeit, daß auch ihn endlich die mächtige politiſche Strömung
jener Tage berührte. Das Pflichtgefühl des Patrioten und der Drang nach
allſeitiger Bethätigung ſeiner Kräfte bewogen ihn dem Staate zu dienen,
der ihm einſt nur als der läſtige Vormund der freien Geſelligkeit erſchie-
nen war.
Seine Natur war nicht für alle Aufgaben des praktiſchen Staats-
mannes geſchaffen. Ein tiefer politiſcher Denker wie Hugo Grotius,
wurde Humboldt wie dieſer im diplomatiſchen Kampfe von vielen kleineren
Köpfen übertroffen, weil ihm der grobe Ehrgeiz des Mannes der That und
die Freude an den tauſend nothwendigen Nichtigkeiten des Geſandtenberufes
fehlte. Er war zu groß für einen Diplomaten. Wo die Politik in die
Welt der Ideale hineinragte, da zeigte ſich die lautere Hoheit ſeines
Sinnes, die Thatkraft ſeines Humanismus. Von ganz anderen Aus-
gangspunkten her gelangte er zu derſelben Anſicht von der Selbſtverwal-
tung wie Stein; er verehrte den Schöpfer der Städteordnung, weil er
in der freien Bewegung der Gemeinden die Schule ſah zur Erziehung
ſittlicher, thatkräftiger Menſchen. Doch die dürre Proſa der internationa-
len Machtfragen ließ ihn völlig kalt. Seine diplomatiſchen Denkſchriften
ſind alleſammt zu breit und zu ſcharfſinnig. Sein reicher Geiſt ergeht
ſich oft zwecklos im Genuſſe ſeiner eigenen Klarheit, wendet den Gegen-
ſtand nach allen Seiten hin und her und findet kein Ende, ſieht den
Wald vor lauter Bäumen nicht; ihm gebricht jene Luſt am Handeln,
welche dem Leſer unwillkürlich einen beſtimmten Entſchluß abzwingt.
Nicht ohne Grund nannte ihn Talleyrand le sophisme incarné. Von
den ſchalen Freuden der vornehmen Welt genoß er nur was ſeinen
helleniſchen Schönheitsſinn reizte; die ſchwere Kunſt ſich mit Anſtand zu
langweilen, allerhand unbedeutende Menſchen über die Geheimniſſe des
Augenblicks auszuforſchen wollte er niemals lernen. Mit peinlicher Gewiſ-
ſenhaftigkeit, wie er Alles betrieb, hat er auch ſeine diplomatiſchen Pflichten
erfüllt; doch jene leidenſchaftliche Freude am Erfolge, die zu allem großen
menſchlichen Schaffen gehört, kannte er in dieſem Berufe nicht.
Dagegen war Niemand ſo wie er geeignet für die Leitung des Un-
terrichtsweſens, die ihm der König im Frühjahr 1809 übertrug. Durch
die kurze Wirkſamkeit von fünfviertel Jahren gab er der preußiſchen Un-
terrichtsverwaltung jenen humanen, idealiſtiſchen Zug, der auch unter
ſchwächeren Nachfolgern ſich nicht wieder ganz verlieren konnte. Sein
univerſaler Geiſt wußte jeden Zweig der Wiſſenſchaften und Künſte in
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/352>, abgerufen am 22.11.2024.
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