Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Stimmungen im Rheinbunde. so General Schlieffen und der Minister Schulenburg-Kehnert. AuchDohm, der geistreiche Publicist, der so oft für die Krone Preußen Für- stenbundspläne geschmiedet, büßte sein altes Ansehen ein, da er jetzt plötz- lich den Glauben an seinen Staat verlor und bei König Jerome Dienste nahm. Da und dort führte ein trotziger Edelmann von altem Schrot und Korn auf seine Weise den kleinen Krieg gegen die Fremden. Der Freiherr von Wylich in Cleve brachte das Archiv des alten ständischen Landtags auf seinem Schlosse unter, trat überall als der einzige recht- mäßige Vertreter des clevischen Landes auf, da seine ritterbürtigen Ge- nossen unterdessen hinwegstarben, und als die Preußen endlich wieder ein- zogen, verlangte er getrost, daß sie den zweibeinigen Landtag sofort in seine alten Rechte einsetzen müßten. Wie lachte der magdeburgische Adel, als der unbändige Heinrich Krosigk einmal die Gensdarmen des Königs Jerome in das Spritzenhaus sperren ließ und dann befriedigt seine Festungs- haft absaß; so lange "die Franzosenzeit" währte hatte der wilde Junker die geladenen Pistolen immer auf dem Tische liegen, und sobald sein alter König rief, eilte er spornstreichs über die Elbe zu den geliebten Fahnen. In Sachsen und in Süddeutschland klagte man wohl über die tau- Wer das Schalten des Allgewaltigen scharf beobachtete, mußte freilich Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 23
Stimmungen im Rheinbunde. ſo General Schlieffen und der Miniſter Schulenburg-Kehnert. AuchDohm, der geiſtreiche Publiciſt, der ſo oft für die Krone Preußen Für- ſtenbundspläne geſchmiedet, büßte ſein altes Anſehen ein, da er jetzt plötz- lich den Glauben an ſeinen Staat verlor und bei König Jerome Dienſte nahm. Da und dort führte ein trotziger Edelmann von altem Schrot und Korn auf ſeine Weiſe den kleinen Krieg gegen die Fremden. Der Freiherr von Wylich in Cleve brachte das Archiv des alten ſtändiſchen Landtags auf ſeinem Schloſſe unter, trat überall als der einzige recht- mäßige Vertreter des cleviſchen Landes auf, da ſeine ritterbürtigen Ge- noſſen unterdeſſen hinwegſtarben, und als die Preußen endlich wieder ein- zogen, verlangte er getroſt, daß ſie den zweibeinigen Landtag ſofort in ſeine alten Rechte einſetzen müßten. Wie lachte der magdeburgiſche Adel, als der unbändige Heinrich Kroſigk einmal die Gensdarmen des Königs Jerome in das Spritzenhaus ſperren ließ und dann befriedigt ſeine Feſtungs- haft abſaß; ſo lange „die Franzoſenzeit“ währte hatte der wilde Junker die geladenen Piſtolen immer auf dem Tiſche liegen, und ſobald ſein alter König rief, eilte er ſpornſtreichs über die Elbe zu den geliebten Fahnen. In Sachſen und in Süddeutſchland klagte man wohl über die tau- Wer das Schalten des Allgewaltigen ſcharf beobachtete, mußte freilich Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 23
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Stimmungen im Rheinbunde.
ſo General Schlieffen und der Miniſter Schulenburg-Kehnert. Auch
Dohm, der geiſtreiche Publiciſt, der ſo oft für die Krone Preußen Für-
ſtenbundspläne geſchmiedet, büßte ſein altes Anſehen ein, da er jetzt plötz-
lich den Glauben an ſeinen Staat verlor und bei König Jerome Dienſte
nahm. Da und dort führte ein trotziger Edelmann von altem Schrot
und Korn auf ſeine Weiſe den kleinen Krieg gegen die Fremden. Der
Freiherr von Wylich in Cleve brachte das Archiv des alten ſtändiſchen
Landtags auf ſeinem Schloſſe unter, trat überall als der einzige recht-
mäßige Vertreter des cleviſchen Landes auf, da ſeine ritterbürtigen Ge-
noſſen unterdeſſen hinwegſtarben, und als die Preußen endlich wieder ein-
zogen, verlangte er getroſt, daß ſie den zweibeinigen Landtag ſofort in
ſeine alten Rechte einſetzen müßten. Wie lachte der magdeburgiſche Adel,
als der unbändige Heinrich Kroſigk einmal die Gensdarmen des Königs
Jerome in das Spritzenhaus ſperren ließ und dann befriedigt ſeine Feſtungs-
haft abſaß; ſo lange „die Franzoſenzeit“ währte hatte der wilde Junker
die geladenen Piſtolen immer auf dem Tiſche liegen, und ſobald ſein alter
König rief, eilte er ſpornſtreichs über die Elbe zu den geliebten Fahnen.
In Sachſen und in Süddeutſchland klagte man wohl über die tau-
ſendfache Noth der Zeit; doch die vielhundertjährige Entfremdung vom
öffentlichen Leben und die Verkümmerung der Kleinſtaaterei ließen einen
rechtſchaffenen Haß ſelten aufkommen. Die Preußen glaubten nicht an
die Dauer des Weltreichs; in den Kleinſtaaten gab man allmählich jede
Hoffnung auf. Die leidſame deutſche Geduld machte aus der Noth eine
Tugend, verehrte den Rheinbund als das letzte Band, das die Nation
noch zuſammenhalte. Nicht blos der Schwächling Dalberg pries begeiſtert,
wie durch den rheiniſchen Bund die Vaterlandsliebe in jeder reinen Seele
erweckt werde. Auch Hans Gagern hoffte ein neues, weſentlich deutſches
Karolingerreich aus den Staatenbildungen des Imperators hervorgehen
zu ſehen. Der Bremer Smidt, ein durchaus patriotiſcher und nüchterner
junger Staatsmann, beſchwor ſeine Hanſeſtädte ſich dem Rheinbunde an-
zuſchließen, der doch bald zum germaniſchen Bunde werden müſſe; nur
ſo könnten die Hanſeaten wieder Deutſche ſein!
Wer das Schalten des Allgewaltigen ſcharf beobachtete, mußte freilich
jetzt ſchon erkennen, daß dieſe Vaſallenlande alleſammt beſtimmt waren,
dereinſt unmittelbar in „die große Familie“ des Kaiſerreichs aufgenommen
zu werden. Kaum waren die alten Fürſten entthront, ſo begann der
Unerſättliche ſeine eignen Brüder zu berauben, die neu geſchaffenen Staa-
ten wieder zu zerſtören. Kein Jahr verging, das nicht den Staaten des
Rheinbundes neue Grenzverſchiebungen brachte. Der Erbe der Revolution
betrachtete, genau wie die Cabinetspolitik des alten Jahrhunderts, den
Beſitz von Land und Leuten nur als eine perſönliche Verſorgung für
ſeine Angehörigen und Getreuen; als er das Großherzogthum Berg ver-
größerte, ſagte er amtlich, das geſchehe um der Prinzeſſin Karoline einen
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 23
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