Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

I. 3. Preußens Erhebung.
hatte. Ueberall wo der Imperator erschien mußten die Gemeinden und
Corporationen ihm ihre Huldigungen darbringen, und das rheinbündische
Beamtenthum verstand vortrefflich "den freien Ausdruck der Freude und
öffentlichen Dankbarkeit anzufeuern". Byzantinische Adressen priesen Na-
poleons Unbesiegbarkeit, seine weise Gerechtigkeit und vornehmlich seine
menschenfreundliche Friedensliebe. "Jedesmal, sagten ihm die Stände
des Großherzogthums Berg, jedesmal wenn Sie gezwungen waren die
Waffen zu ergreifen, schienen Sie grundsätzlich dem Kriege selbst den Krieg
zu erklären!"

Wirkliche Gesinnung war im Rheinbunde wie im kaiserlichen Frank-
reich fast allein noch bei den Truppen zu finden. Es ging zu Ende mit
jenen philisterhaften Friedensoffizieren der alten Reichsarmee, die sich
aus dem Kampfgetümmel wehmüthig zu den Schweinchen und Hühnern
ihres heimischen Hofes zurücksehnten. Ein neues Geschlecht wuchs heran,
voll prahlerischen militärischen Selbstgefühls, begeistert für die Glorie der
kaiserlichen Adler; ein tüchtiger bairischer Offizier mußte zu jedem Früh-
stück ein Dutzend Oesterreicher verspeisen, denn was hatte Baierns Kriegs-
geschichte Herrlicheres aufzuweisen als jene glänzenden Gefechte um Re-
gensburg? Napoleon unterließ nichts was den vaterlandslosen Landsknechts-
geist dieser Tapferen nähren konnte. Sie sollten ihm ihre Seele ver-
schreiben; darum verwendete er sie gern zur Besetzung der preußischen
Festungen und schickte auch gegen die aufständischen Tyroler meistentheils
rheinbündische Truppen, Baiern und Sachsen, ins Feld.

Das System der napoleonischen Präfectenverwaltung fand nirgends
einen dankbareren Boden als in den geschichtslosen neuen Mittelstaaten
des Südens. Hier nahm das Organisiren und Reorganisiren kein Ende
-- in Baden wurden die Verwaltungsbezirke binnen sieben Jahren drei-
mal völlig umgestaltet -- bis es schließlich gelang den verworrenen Hau-
fen buntscheckiger Staatentrümmer nach Flußläufen zu ordnen und in
regelrechte Departements zurechtzuschneiden. Der Protector hütete sich
weislich, den Dünkel seiner Getreuen durch unnützes Eingreifen in ihre
Landesverwaltung zu reizen. Von selbst verstand sich, daß seine Gesandten
vor den Prinzen der Vasallenstaaten überall den Vortritt hatten. Brauchte
er neue Truppen, so ließ er sich die Einnahmebudgets seiner Könige und
Großherzoge ohne Weiteres vorlegen und entschied nach Gefallen. Auch
hielt er als Schirmvogt der römischen Kirche streng darauf, daß die Katho-
liken im Staatsdienste nicht zu kurz kamen, und befahl überall wachsame
Beaufsichtigung der Feinde Frankreichs, namentlich unter dem Adel. Im
Uebrigen durften die kleinen Despoten ziemlich ungestört schalten.

Am stärksten und nachhaltigsten wirkte die bonapartistische Völkerbe-
glückung in Baiern; kein anderer Theil Deutschlands hat während der
jüngsten drei Menschenalter größere Wandlungen erlebt. Seit jenem Un-
heilsjahre 1524, da die alten Wittelsbacher ihre Erblande der evangeli-

I. 3. Preußens Erhebung.
hatte. Ueberall wo der Imperator erſchien mußten die Gemeinden und
Corporationen ihm ihre Huldigungen darbringen, und das rheinbündiſche
Beamtenthum verſtand vortrefflich „den freien Ausdruck der Freude und
öffentlichen Dankbarkeit anzufeuern“. Byzantiniſche Adreſſen prieſen Na-
poleons Unbeſiegbarkeit, ſeine weiſe Gerechtigkeit und vornehmlich ſeine
menſchenfreundliche Friedensliebe. „Jedesmal, ſagten ihm die Stände
des Großherzogthums Berg, jedesmal wenn Sie gezwungen waren die
Waffen zu ergreifen, ſchienen Sie grundſätzlich dem Kriege ſelbſt den Krieg
zu erklären!“

Wirkliche Geſinnung war im Rheinbunde wie im kaiſerlichen Frank-
reich faſt allein noch bei den Truppen zu finden. Es ging zu Ende mit
jenen philiſterhaften Friedensoffizieren der alten Reichsarmee, die ſich
aus dem Kampfgetümmel wehmüthig zu den Schweinchen und Hühnern
ihres heimiſchen Hofes zurückſehnten. Ein neues Geſchlecht wuchs heran,
voll prahleriſchen militäriſchen Selbſtgefühls, begeiſtert für die Glorie der
kaiſerlichen Adler; ein tüchtiger bairiſcher Offizier mußte zu jedem Früh-
ſtück ein Dutzend Oeſterreicher verſpeiſen, denn was hatte Baierns Kriegs-
geſchichte Herrlicheres aufzuweiſen als jene glänzenden Gefechte um Re-
gensburg? Napoleon unterließ nichts was den vaterlandsloſen Landsknechts-
geiſt dieſer Tapferen nähren konnte. Sie ſollten ihm ihre Seele ver-
ſchreiben; darum verwendete er ſie gern zur Beſetzung der preußiſchen
Feſtungen und ſchickte auch gegen die aufſtändiſchen Tyroler meiſtentheils
rheinbündiſche Truppen, Baiern und Sachſen, ins Feld.

Das Syſtem der napoleoniſchen Präfectenverwaltung fand nirgends
einen dankbareren Boden als in den geſchichtsloſen neuen Mittelſtaaten
des Südens. Hier nahm das Organiſiren und Reorganiſiren kein Ende
— in Baden wurden die Verwaltungsbezirke binnen ſieben Jahren drei-
mal völlig umgeſtaltet — bis es ſchließlich gelang den verworrenen Hau-
fen buntſcheckiger Staatentrümmer nach Flußläufen zu ordnen und in
regelrechte Departements zurechtzuſchneiden. Der Protector hütete ſich
weislich, den Dünkel ſeiner Getreuen durch unnützes Eingreifen in ihre
Landesverwaltung zu reizen. Von ſelbſt verſtand ſich, daß ſeine Geſandten
vor den Prinzen der Vaſallenſtaaten überall den Vortritt hatten. Brauchte
er neue Truppen, ſo ließ er ſich die Einnahmebudgets ſeiner Könige und
Großherzoge ohne Weiteres vorlegen und entſchied nach Gefallen. Auch
hielt er als Schirmvogt der römiſchen Kirche ſtreng darauf, daß die Katho-
liken im Staatsdienſte nicht zu kurz kamen, und befahl überall wachſame
Beaufſichtigung der Feinde Frankreichs, namentlich unter dem Adel. Im
Uebrigen durften die kleinen Despoten ziemlich ungeſtört ſchalten.

Am ſtärkſten und nachhaltigſten wirkte die bonapartiſtiſche Völkerbe-
glückung in Baiern; kein anderer Theil Deutſchlands hat während der
jüngſten drei Menſchenalter größere Wandlungen erlebt. Seit jenem Un-
heilsjahre 1524, da die alten Wittelsbacher ihre Erblande der evangeli-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0372" n="356"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> 3. Preußens Erhebung.</fw><lb/>
hatte. Ueberall wo der Imperator er&#x017F;chien mußten die Gemeinden und<lb/>
Corporationen ihm ihre Huldigungen darbringen, und das rheinbündi&#x017F;che<lb/>
Beamtenthum ver&#x017F;tand vortrefflich &#x201E;den freien Ausdruck der Freude und<lb/>
öffentlichen Dankbarkeit anzufeuern&#x201C;. Byzantini&#x017F;che Adre&#x017F;&#x017F;en prie&#x017F;en Na-<lb/>
poleons Unbe&#x017F;iegbarkeit, &#x017F;eine wei&#x017F;e Gerechtigkeit und vornehmlich &#x017F;eine<lb/>
men&#x017F;chenfreundliche Friedensliebe. &#x201E;Jedesmal, &#x017F;agten ihm die Stände<lb/>
des Großherzogthums Berg, jedesmal wenn Sie gezwungen waren die<lb/>
Waffen zu ergreifen, &#x017F;chienen Sie grund&#x017F;ätzlich dem Kriege &#x017F;elb&#x017F;t den Krieg<lb/>
zu erklären!&#x201C;</p><lb/>
            <p>Wirkliche Ge&#x017F;innung war im Rheinbunde wie im kai&#x017F;erlichen Frank-<lb/>
reich fa&#x017F;t allein noch bei den Truppen zu finden. Es ging zu Ende mit<lb/>
jenen phili&#x017F;terhaften Friedensoffizieren der alten Reichsarmee, die &#x017F;ich<lb/>
aus dem Kampfgetümmel wehmüthig zu den Schweinchen und Hühnern<lb/>
ihres heimi&#x017F;chen Hofes zurück&#x017F;ehnten. Ein neues Ge&#x017F;chlecht wuchs heran,<lb/>
voll prahleri&#x017F;chen militäri&#x017F;chen Selb&#x017F;tgefühls, begei&#x017F;tert für die Glorie der<lb/>
kai&#x017F;erlichen Adler; ein tüchtiger bairi&#x017F;cher Offizier mußte zu jedem Früh-<lb/>
&#x017F;tück ein Dutzend Oe&#x017F;terreicher ver&#x017F;pei&#x017F;en, denn was hatte Baierns Kriegs-<lb/>
ge&#x017F;chichte Herrlicheres aufzuwei&#x017F;en als jene glänzenden Gefechte um Re-<lb/>
gensburg? Napoleon unterließ nichts was den vaterlandslo&#x017F;en Landsknechts-<lb/>
gei&#x017F;t die&#x017F;er Tapferen nähren konnte. Sie &#x017F;ollten ihm ihre Seele ver-<lb/>
&#x017F;chreiben; darum verwendete er &#x017F;ie gern zur Be&#x017F;etzung der preußi&#x017F;chen<lb/>
Fe&#x017F;tungen und &#x017F;chickte auch gegen die auf&#x017F;tändi&#x017F;chen Tyroler mei&#x017F;tentheils<lb/>
rheinbündi&#x017F;che Truppen, Baiern und Sach&#x017F;en, ins Feld.</p><lb/>
            <p>Das Sy&#x017F;tem der napoleoni&#x017F;chen Präfectenverwaltung fand nirgends<lb/>
einen dankbareren Boden als in den ge&#x017F;chichtslo&#x017F;en neuen Mittel&#x017F;taaten<lb/>
des Südens. Hier nahm das Organi&#x017F;iren und Reorgani&#x017F;iren kein Ende<lb/>
&#x2014; in Baden wurden die Verwaltungsbezirke binnen &#x017F;ieben Jahren drei-<lb/>
mal völlig umge&#x017F;taltet &#x2014; bis es &#x017F;chließlich gelang den verworrenen Hau-<lb/>
fen bunt&#x017F;checkiger Staatentrümmer nach Flußläufen zu ordnen und in<lb/>
regelrechte Departements zurechtzu&#x017F;chneiden. Der Protector hütete &#x017F;ich<lb/>
weislich, den Dünkel &#x017F;einer Getreuen durch unnützes Eingreifen in ihre<lb/>
Landesverwaltung zu reizen. Von &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;tand &#x017F;ich, daß &#x017F;eine Ge&#x017F;andten<lb/>
vor den Prinzen der Va&#x017F;allen&#x017F;taaten überall den Vortritt hatten. Brauchte<lb/>
er neue Truppen, &#x017F;o ließ er &#x017F;ich die Einnahmebudgets &#x017F;einer Könige und<lb/>
Großherzoge ohne Weiteres vorlegen und ent&#x017F;chied nach Gefallen. Auch<lb/>
hielt er als Schirmvogt der römi&#x017F;chen Kirche &#x017F;treng darauf, daß die Katho-<lb/>
liken im Staatsdien&#x017F;te nicht zu kurz kamen, und befahl überall wach&#x017F;ame<lb/>
Beauf&#x017F;ichtigung der Feinde Frankreichs, namentlich unter dem Adel. Im<lb/>
Uebrigen durften die kleinen Despoten ziemlich unge&#x017F;tört &#x017F;chalten.</p><lb/>
            <p>Am &#x017F;tärk&#x017F;ten und nachhaltig&#x017F;ten wirkte die bonaparti&#x017F;ti&#x017F;che Völkerbe-<lb/>
glückung in Baiern; kein anderer Theil Deut&#x017F;chlands hat während der<lb/>
jüng&#x017F;ten drei Men&#x017F;chenalter größere Wandlungen erlebt. Seit jenem Un-<lb/>
heilsjahre 1524, da die alten Wittelsbacher ihre Erblande der evangeli-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[356/0372] I. 3. Preußens Erhebung. hatte. Ueberall wo der Imperator erſchien mußten die Gemeinden und Corporationen ihm ihre Huldigungen darbringen, und das rheinbündiſche Beamtenthum verſtand vortrefflich „den freien Ausdruck der Freude und öffentlichen Dankbarkeit anzufeuern“. Byzantiniſche Adreſſen prieſen Na- poleons Unbeſiegbarkeit, ſeine weiſe Gerechtigkeit und vornehmlich ſeine menſchenfreundliche Friedensliebe. „Jedesmal, ſagten ihm die Stände des Großherzogthums Berg, jedesmal wenn Sie gezwungen waren die Waffen zu ergreifen, ſchienen Sie grundſätzlich dem Kriege ſelbſt den Krieg zu erklären!“ Wirkliche Geſinnung war im Rheinbunde wie im kaiſerlichen Frank- reich faſt allein noch bei den Truppen zu finden. Es ging zu Ende mit jenen philiſterhaften Friedensoffizieren der alten Reichsarmee, die ſich aus dem Kampfgetümmel wehmüthig zu den Schweinchen und Hühnern ihres heimiſchen Hofes zurückſehnten. Ein neues Geſchlecht wuchs heran, voll prahleriſchen militäriſchen Selbſtgefühls, begeiſtert für die Glorie der kaiſerlichen Adler; ein tüchtiger bairiſcher Offizier mußte zu jedem Früh- ſtück ein Dutzend Oeſterreicher verſpeiſen, denn was hatte Baierns Kriegs- geſchichte Herrlicheres aufzuweiſen als jene glänzenden Gefechte um Re- gensburg? Napoleon unterließ nichts was den vaterlandsloſen Landsknechts- geiſt dieſer Tapferen nähren konnte. Sie ſollten ihm ihre Seele ver- ſchreiben; darum verwendete er ſie gern zur Beſetzung der preußiſchen Feſtungen und ſchickte auch gegen die aufſtändiſchen Tyroler meiſtentheils rheinbündiſche Truppen, Baiern und Sachſen, ins Feld. Das Syſtem der napoleoniſchen Präfectenverwaltung fand nirgends einen dankbareren Boden als in den geſchichtsloſen neuen Mittelſtaaten des Südens. Hier nahm das Organiſiren und Reorganiſiren kein Ende — in Baden wurden die Verwaltungsbezirke binnen ſieben Jahren drei- mal völlig umgeſtaltet — bis es ſchließlich gelang den verworrenen Hau- fen buntſcheckiger Staatentrümmer nach Flußläufen zu ordnen und in regelrechte Departements zurechtzuſchneiden. Der Protector hütete ſich weislich, den Dünkel ſeiner Getreuen durch unnützes Eingreifen in ihre Landesverwaltung zu reizen. Von ſelbſt verſtand ſich, daß ſeine Geſandten vor den Prinzen der Vaſallenſtaaten überall den Vortritt hatten. Brauchte er neue Truppen, ſo ließ er ſich die Einnahmebudgets ſeiner Könige und Großherzoge ohne Weiteres vorlegen und entſchied nach Gefallen. Auch hielt er als Schirmvogt der römiſchen Kirche ſtreng darauf, daß die Katho- liken im Staatsdienſte nicht zu kurz kamen, und befahl überall wachſame Beaufſichtigung der Feinde Frankreichs, namentlich unter dem Adel. Im Uebrigen durften die kleinen Despoten ziemlich ungeſtört ſchalten. Am ſtärkſten und nachhaltigſten wirkte die bonapartiſtiſche Völkerbe- glückung in Baiern; kein anderer Theil Deutſchlands hat während der jüngſten drei Menſchenalter größere Wandlungen erlebt. Seit jenem Un- heilsjahre 1524, da die alten Wittelsbacher ihre Erblande der evangeli-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/372
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/372>, abgerufen am 22.11.2024.