hatte. Ueberall wo der Imperator erschien mußten die Gemeinden und Corporationen ihm ihre Huldigungen darbringen, und das rheinbündische Beamtenthum verstand vortrefflich "den freien Ausdruck der Freude und öffentlichen Dankbarkeit anzufeuern". Byzantinische Adressen priesen Na- poleons Unbesiegbarkeit, seine weise Gerechtigkeit und vornehmlich seine menschenfreundliche Friedensliebe. "Jedesmal, sagten ihm die Stände des Großherzogthums Berg, jedesmal wenn Sie gezwungen waren die Waffen zu ergreifen, schienen Sie grundsätzlich dem Kriege selbst den Krieg zu erklären!"
Wirkliche Gesinnung war im Rheinbunde wie im kaiserlichen Frank- reich fast allein noch bei den Truppen zu finden. Es ging zu Ende mit jenen philisterhaften Friedensoffizieren der alten Reichsarmee, die sich aus dem Kampfgetümmel wehmüthig zu den Schweinchen und Hühnern ihres heimischen Hofes zurücksehnten. Ein neues Geschlecht wuchs heran, voll prahlerischen militärischen Selbstgefühls, begeistert für die Glorie der kaiserlichen Adler; ein tüchtiger bairischer Offizier mußte zu jedem Früh- stück ein Dutzend Oesterreicher verspeisen, denn was hatte Baierns Kriegs- geschichte Herrlicheres aufzuweisen als jene glänzenden Gefechte um Re- gensburg? Napoleon unterließ nichts was den vaterlandslosen Landsknechts- geist dieser Tapferen nähren konnte. Sie sollten ihm ihre Seele ver- schreiben; darum verwendete er sie gern zur Besetzung der preußischen Festungen und schickte auch gegen die aufständischen Tyroler meistentheils rheinbündische Truppen, Baiern und Sachsen, ins Feld.
Das System der napoleonischen Präfectenverwaltung fand nirgends einen dankbareren Boden als in den geschichtslosen neuen Mittelstaaten des Südens. Hier nahm das Organisiren und Reorganisiren kein Ende -- in Baden wurden die Verwaltungsbezirke binnen sieben Jahren drei- mal völlig umgestaltet -- bis es schließlich gelang den verworrenen Hau- fen buntscheckiger Staatentrümmer nach Flußläufen zu ordnen und in regelrechte Departements zurechtzuschneiden. Der Protector hütete sich weislich, den Dünkel seiner Getreuen durch unnützes Eingreifen in ihre Landesverwaltung zu reizen. Von selbst verstand sich, daß seine Gesandten vor den Prinzen der Vasallenstaaten überall den Vortritt hatten. Brauchte er neue Truppen, so ließ er sich die Einnahmebudgets seiner Könige und Großherzoge ohne Weiteres vorlegen und entschied nach Gefallen. Auch hielt er als Schirmvogt der römischen Kirche streng darauf, daß die Katho- liken im Staatsdienste nicht zu kurz kamen, und befahl überall wachsame Beaufsichtigung der Feinde Frankreichs, namentlich unter dem Adel. Im Uebrigen durften die kleinen Despoten ziemlich ungestört schalten.
Am stärksten und nachhaltigsten wirkte die bonapartistische Völkerbe- glückung in Baiern; kein anderer Theil Deutschlands hat während der jüngsten drei Menschenalter größere Wandlungen erlebt. Seit jenem Un- heilsjahre 1524, da die alten Wittelsbacher ihre Erblande der evangeli-
I. 3. Preußens Erhebung.
hatte. Ueberall wo der Imperator erſchien mußten die Gemeinden und Corporationen ihm ihre Huldigungen darbringen, und das rheinbündiſche Beamtenthum verſtand vortrefflich „den freien Ausdruck der Freude und öffentlichen Dankbarkeit anzufeuern“. Byzantiniſche Adreſſen prieſen Na- poleons Unbeſiegbarkeit, ſeine weiſe Gerechtigkeit und vornehmlich ſeine menſchenfreundliche Friedensliebe. „Jedesmal, ſagten ihm die Stände des Großherzogthums Berg, jedesmal wenn Sie gezwungen waren die Waffen zu ergreifen, ſchienen Sie grundſätzlich dem Kriege ſelbſt den Krieg zu erklären!“
Wirkliche Geſinnung war im Rheinbunde wie im kaiſerlichen Frank- reich faſt allein noch bei den Truppen zu finden. Es ging zu Ende mit jenen philiſterhaften Friedensoffizieren der alten Reichsarmee, die ſich aus dem Kampfgetümmel wehmüthig zu den Schweinchen und Hühnern ihres heimiſchen Hofes zurückſehnten. Ein neues Geſchlecht wuchs heran, voll prahleriſchen militäriſchen Selbſtgefühls, begeiſtert für die Glorie der kaiſerlichen Adler; ein tüchtiger bairiſcher Offizier mußte zu jedem Früh- ſtück ein Dutzend Oeſterreicher verſpeiſen, denn was hatte Baierns Kriegs- geſchichte Herrlicheres aufzuweiſen als jene glänzenden Gefechte um Re- gensburg? Napoleon unterließ nichts was den vaterlandsloſen Landsknechts- geiſt dieſer Tapferen nähren konnte. Sie ſollten ihm ihre Seele ver- ſchreiben; darum verwendete er ſie gern zur Beſetzung der preußiſchen Feſtungen und ſchickte auch gegen die aufſtändiſchen Tyroler meiſtentheils rheinbündiſche Truppen, Baiern und Sachſen, ins Feld.
Das Syſtem der napoleoniſchen Präfectenverwaltung fand nirgends einen dankbareren Boden als in den geſchichtsloſen neuen Mittelſtaaten des Südens. Hier nahm das Organiſiren und Reorganiſiren kein Ende — in Baden wurden die Verwaltungsbezirke binnen ſieben Jahren drei- mal völlig umgeſtaltet — bis es ſchließlich gelang den verworrenen Hau- fen buntſcheckiger Staatentrümmer nach Flußläufen zu ordnen und in regelrechte Departements zurechtzuſchneiden. Der Protector hütete ſich weislich, den Dünkel ſeiner Getreuen durch unnützes Eingreifen in ihre Landesverwaltung zu reizen. Von ſelbſt verſtand ſich, daß ſeine Geſandten vor den Prinzen der Vaſallenſtaaten überall den Vortritt hatten. Brauchte er neue Truppen, ſo ließ er ſich die Einnahmebudgets ſeiner Könige und Großherzoge ohne Weiteres vorlegen und entſchied nach Gefallen. Auch hielt er als Schirmvogt der römiſchen Kirche ſtreng darauf, daß die Katho- liken im Staatsdienſte nicht zu kurz kamen, und befahl überall wachſame Beaufſichtigung der Feinde Frankreichs, namentlich unter dem Adel. Im Uebrigen durften die kleinen Despoten ziemlich ungeſtört ſchalten.
Am ſtärkſten und nachhaltigſten wirkte die bonapartiſtiſche Völkerbe- glückung in Baiern; kein anderer Theil Deutſchlands hat während der jüngſten drei Menſchenalter größere Wandlungen erlebt. Seit jenem Un- heilsjahre 1524, da die alten Wittelsbacher ihre Erblande der evangeli-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0372"n="356"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">I.</hi> 3. Preußens Erhebung.</fw><lb/>
hatte. Ueberall wo der Imperator erſchien mußten die Gemeinden und<lb/>
Corporationen ihm ihre Huldigungen darbringen, und das rheinbündiſche<lb/>
Beamtenthum verſtand vortrefflich „den freien Ausdruck der Freude und<lb/>
öffentlichen Dankbarkeit anzufeuern“. Byzantiniſche Adreſſen prieſen Na-<lb/>
poleons Unbeſiegbarkeit, ſeine weiſe Gerechtigkeit und vornehmlich ſeine<lb/>
menſchenfreundliche Friedensliebe. „Jedesmal, ſagten ihm die Stände<lb/>
des Großherzogthums Berg, jedesmal wenn Sie gezwungen waren die<lb/>
Waffen zu ergreifen, ſchienen Sie grundſätzlich dem Kriege ſelbſt den Krieg<lb/>
zu erklären!“</p><lb/><p>Wirkliche Geſinnung war im Rheinbunde wie im kaiſerlichen Frank-<lb/>
reich faſt allein noch bei den Truppen zu finden. Es ging zu Ende mit<lb/>
jenen philiſterhaften Friedensoffizieren der alten Reichsarmee, die ſich<lb/>
aus dem Kampfgetümmel wehmüthig zu den Schweinchen und Hühnern<lb/>
ihres heimiſchen Hofes zurückſehnten. Ein neues Geſchlecht wuchs heran,<lb/>
voll prahleriſchen militäriſchen Selbſtgefühls, begeiſtert für die Glorie der<lb/>
kaiſerlichen Adler; ein tüchtiger bairiſcher Offizier mußte zu jedem Früh-<lb/>ſtück ein Dutzend Oeſterreicher verſpeiſen, denn was hatte Baierns Kriegs-<lb/>
geſchichte Herrlicheres aufzuweiſen als jene glänzenden Gefechte um Re-<lb/>
gensburg? Napoleon unterließ nichts was den vaterlandsloſen Landsknechts-<lb/>
geiſt dieſer Tapferen nähren konnte. Sie ſollten ihm ihre Seele ver-<lb/>ſchreiben; darum verwendete er ſie gern zur Beſetzung der preußiſchen<lb/>
Feſtungen und ſchickte auch gegen die aufſtändiſchen Tyroler meiſtentheils<lb/>
rheinbündiſche Truppen, Baiern und Sachſen, ins Feld.</p><lb/><p>Das Syſtem der napoleoniſchen Präfectenverwaltung fand nirgends<lb/>
einen dankbareren Boden als in den geſchichtsloſen neuen Mittelſtaaten<lb/>
des Südens. Hier nahm das Organiſiren und Reorganiſiren kein Ende<lb/>— in Baden wurden die Verwaltungsbezirke binnen ſieben Jahren drei-<lb/>
mal völlig umgeſtaltet — bis es ſchließlich gelang den verworrenen Hau-<lb/>
fen buntſcheckiger Staatentrümmer nach Flußläufen zu ordnen und in<lb/>
regelrechte Departements zurechtzuſchneiden. Der Protector hütete ſich<lb/>
weislich, den Dünkel ſeiner Getreuen durch unnützes Eingreifen in ihre<lb/>
Landesverwaltung zu reizen. Von ſelbſt verſtand ſich, daß ſeine Geſandten<lb/>
vor den Prinzen der Vaſallenſtaaten überall den Vortritt hatten. Brauchte<lb/>
er neue Truppen, ſo ließ er ſich die Einnahmebudgets ſeiner Könige und<lb/>
Großherzoge ohne Weiteres vorlegen und entſchied nach Gefallen. Auch<lb/>
hielt er als Schirmvogt der römiſchen Kirche ſtreng darauf, daß die Katho-<lb/>
liken im Staatsdienſte nicht zu kurz kamen, und befahl überall wachſame<lb/>
Beaufſichtigung der Feinde Frankreichs, namentlich unter dem Adel. Im<lb/>
Uebrigen durften die kleinen Despoten ziemlich ungeſtört ſchalten.</p><lb/><p>Am ſtärkſten und nachhaltigſten wirkte die bonapartiſtiſche Völkerbe-<lb/>
glückung in Baiern; kein anderer Theil Deutſchlands hat während der<lb/>
jüngſten drei Menſchenalter größere Wandlungen erlebt. Seit jenem Un-<lb/>
heilsjahre 1524, da die alten Wittelsbacher ihre Erblande der evangeli-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[356/0372]
I. 3. Preußens Erhebung.
hatte. Ueberall wo der Imperator erſchien mußten die Gemeinden und
Corporationen ihm ihre Huldigungen darbringen, und das rheinbündiſche
Beamtenthum verſtand vortrefflich „den freien Ausdruck der Freude und
öffentlichen Dankbarkeit anzufeuern“. Byzantiniſche Adreſſen prieſen Na-
poleons Unbeſiegbarkeit, ſeine weiſe Gerechtigkeit und vornehmlich ſeine
menſchenfreundliche Friedensliebe. „Jedesmal, ſagten ihm die Stände
des Großherzogthums Berg, jedesmal wenn Sie gezwungen waren die
Waffen zu ergreifen, ſchienen Sie grundſätzlich dem Kriege ſelbſt den Krieg
zu erklären!“
Wirkliche Geſinnung war im Rheinbunde wie im kaiſerlichen Frank-
reich faſt allein noch bei den Truppen zu finden. Es ging zu Ende mit
jenen philiſterhaften Friedensoffizieren der alten Reichsarmee, die ſich
aus dem Kampfgetümmel wehmüthig zu den Schweinchen und Hühnern
ihres heimiſchen Hofes zurückſehnten. Ein neues Geſchlecht wuchs heran,
voll prahleriſchen militäriſchen Selbſtgefühls, begeiſtert für die Glorie der
kaiſerlichen Adler; ein tüchtiger bairiſcher Offizier mußte zu jedem Früh-
ſtück ein Dutzend Oeſterreicher verſpeiſen, denn was hatte Baierns Kriegs-
geſchichte Herrlicheres aufzuweiſen als jene glänzenden Gefechte um Re-
gensburg? Napoleon unterließ nichts was den vaterlandsloſen Landsknechts-
geiſt dieſer Tapferen nähren konnte. Sie ſollten ihm ihre Seele ver-
ſchreiben; darum verwendete er ſie gern zur Beſetzung der preußiſchen
Feſtungen und ſchickte auch gegen die aufſtändiſchen Tyroler meiſtentheils
rheinbündiſche Truppen, Baiern und Sachſen, ins Feld.
Das Syſtem der napoleoniſchen Präfectenverwaltung fand nirgends
einen dankbareren Boden als in den geſchichtsloſen neuen Mittelſtaaten
des Südens. Hier nahm das Organiſiren und Reorganiſiren kein Ende
— in Baden wurden die Verwaltungsbezirke binnen ſieben Jahren drei-
mal völlig umgeſtaltet — bis es ſchließlich gelang den verworrenen Hau-
fen buntſcheckiger Staatentrümmer nach Flußläufen zu ordnen und in
regelrechte Departements zurechtzuſchneiden. Der Protector hütete ſich
weislich, den Dünkel ſeiner Getreuen durch unnützes Eingreifen in ihre
Landesverwaltung zu reizen. Von ſelbſt verſtand ſich, daß ſeine Geſandten
vor den Prinzen der Vaſallenſtaaten überall den Vortritt hatten. Brauchte
er neue Truppen, ſo ließ er ſich die Einnahmebudgets ſeiner Könige und
Großherzoge ohne Weiteres vorlegen und entſchied nach Gefallen. Auch
hielt er als Schirmvogt der römiſchen Kirche ſtreng darauf, daß die Katho-
liken im Staatsdienſte nicht zu kurz kamen, und befahl überall wachſame
Beaufſichtigung der Feinde Frankreichs, namentlich unter dem Adel. Im
Uebrigen durften die kleinen Despoten ziemlich ungeſtört ſchalten.
Am ſtärkſten und nachhaltigſten wirkte die bonapartiſtiſche Völkerbe-
glückung in Baiern; kein anderer Theil Deutſchlands hat während der
jüngſten drei Menſchenalter größere Wandlungen erlebt. Seit jenem Un-
heilsjahre 1524, da die alten Wittelsbacher ihre Erblande der evangeli-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/372>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.